Bergblog 2025
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stefanmitterer.de





Dieser Blog präsentiert meine bergsteigerischen Highlights
des Jahres 2025 in chronologischer Reihenfolge.
Auf die folgenden Punkte möchte ich dabei aufmerksam machen:


Die Darstellung der einzelnen Bergtouren erfolgt (im Gegensatz zu früheren Tourenberichten) in deutlich kompakterer Form. Es werden ausschließlich wenige (ausgewählte) Bilder pro Tour präsentiert, um den Dokumentations- und Arbeitsaufwand für mich auf Dauer beherrschbar zu halten. Der Schwerpunkt bei der Bildauswahl liegt auf ungewöhnlichen Perspektiven, besonderen Stimmungen und Motiven, die mir persönlich etwas bedeuten. Der Bergblog soll in erster Linie eine kurzweilige Inspiration für Besucherinnen und Besucher meiner Website sein - und ein virtuelles Tagebuch bzw. Tourenbuch für mich. Anfragen zur Bereitstellung ausführlicherer Informationen zu den einzelnen Touren werden natürlich weiterhin sehr gerne beantwortet. Bergtouren in den Berchtesgadener Alpen werden (ab 2019) in dem separaten Berchtesgadener Alpen Blog (BGA_Blog) dargestellt. Die entsprechende Verlinkung erfolgt zusätzlich unten über die Tourenliste der Bergtouren des Jahres 2025.




Liste der Bergtouren 2025




Hochwand (2719 m.)


31. August 2025


[Bild: Blick zur Hochwand (2719 m.) beim Zustieg aus dem Alpltal zum Wetterkreuz - Nach einigen Jahren ist es mal wieder soweit: Ich bin in der richtigen „Stimmung“ und motiviert für eine Tour in der Mieminger Kette. Das ist nicht selbstverständlich, gehören Touren zwischen Grünstein und Hoher Munde doch zum Ruppigsten, was man in den Nördlichen Kalkalpen unternehmen kann. Der Begriff „Plaisir“ ist hier im Grunde ein Fremdwort. Während die Gebiete rund um die Coburger Hütte im Westen sowie die Hohe Munde und den Adler Klettersteig (Karkopf) im Osten beliebt und vielfrequentiert sind, fristen Hochwand, Hochplattig sowie v. a. Mitterspitzen und Griesspitzen ein bergsteigerisches Schattendasein. Weitestgehend weglos (die Normalroute auf die Hochwand ist zumindest markiert) und mit meist schauerlich brüchigem Gestein gesegnet, muss man schon über gediegene Trittsicherheit und Schwindelfreiheit, Erfahrung im brüchigen Fels (inkl. Klettergewandtheit bis idealerweise III) sowie eine gewisse Leidensfähigkeit verfügen, um es heil auf einen dieser berüchtigten Mieminger Wettersteinkalk-Riesen herauf und wieder herunter zu schaffen. Von den hohen Gipfeln der Mieminger Ketter ist die Hochwand (auch Hohe Wand bzw. Totenwand genannt) am vermeintlich zugänglichsten, verfügt sie doch über eine durchgehend markierte Normalroute (bis zum Vorgipfel). Hierbei handelt es sich jedoch um eine wirklich äußerst steile (800 Hm Anstieg ab Wetterkreuz bei gerade einmal ca. 1 km Luftlinie Unterschied!) und stellenweise heikle Angelegenheit, bei der man sich über Stunden permanent im Absturzgelände befindet. An der Hochwand haben sich schon viele ambitionierte Wanderer gehörig „die Finger verbrannt“, so mein Wissensstand vor der Tour. Mit einer ordentlichen Portion Demut mache ich mich also nach einem entspannten Zustieg aus dem Alpltal daran, diesen wilden Mieminger Gesellen in Augenschein zu nehmen: Mal schauen, ob die Hochwand ihrem Ruf gerecht wird...]


[Bild: Vom Wetterkreuz (1920 m.) aus scheint die Hochwand ihrem Namen alle Ehre zu machen, doch die Perspektive täuscht! Auch die vermeintlich gutmütige Schrofenflanke (links), über die es via Südflanke empor zum Vorgipfel (2715 m.) geht, ist wesentlich steiler, als es von hier den Anschein hat. Mittig ist die Wegeteilung erkennbar, von wo aus die Normalroute auf die Hochwand und der Aufstieg zum Karkopf (2469 m.) getrennte Wege gehen. Ab da wird es ernst, bis hierher war die Tour nur eine beschauliche, harmlose (aber dafür sehr lohnende und aussichtsreiche) Wanderung]


[Bild: Traumhafte Morgenstimmung beim Wetterkreuz (1920 m.) - Bis zu diesem auch für sich schon sehr lohnenden Aussichtspunkt hoch über Alpl- und Inntal sind es lediglich 700 Hm ab dem Straßberg-Parkplatz, so dass speziell Einheimische gerne im Herbst oder Winter hierherkommen, um Sonne zu tanken. Noch haben sich die Morgennebel über dem Tiroler Oberland nicht aufgelöst und so bleibt (vor dem eigentlichen Anstieg) noch ein bisschen Zeit, um die Wolkenformationen zwischen Mieminger Kette, Karwendel und Zentralalpen zu bestaunen]


[Bild: Von der Wegeteilung Hochwand-Karkopf geht es über mäßig steile, grasbewachsene Schrofen unschwierig bergauf zu den Ausläufern der Südflanke, welche in wilden Felswänden (links ersichtlich) abbricht. Von hier gilt es nun dem Rücken geradewegs bergauf zu folgen, bis linkerhand das Gelände markant aufsteilt und felsig wird. Da die üppigen Markierungen keine Zweifel an der Orientierung aufkommen lassen, wird es nicht schwerfallen, den Durchstieg (steile Felsstufe I+ und A0) auf die Südflanke zu finden]


[Bild: Obgleich mit einer etwas windigen Reepschnur versichert, zeigt sich diese Felsflanke ernster, als es hier vermeintlich den Anschein hat. Das Gelände ist sehr steil und abschüssig, jeder zurückgelegte Kraxelmeter (max. I+) muss aufgrund des brüchigen Gesteins und der latenten Steinschlaggefahr mit Bedacht absolviert werden. Wer hier bereits Probleme bekommt bzw. sich unsicher fühlt, sollte in jedem Fall (!) umkehren. Wirklich einfacher oder gar harmlos wird es nämlich bis zum Gipfel definitiv nicht mehr]


[Bild: Schon krass, was man in den Miemingern unter einem markierten Normalweg mit Kraxelei bis (angeblich) max. I+ so verstehen kann! Links geht es steil in die Tiefe und das Gelände ist über mehrere Meter absolut exponiert. Ein Ausrutscher bzw. Gleichgewichtsverlust bedeutet hier mit ziemlicher Sicherheit den Tod. Auch wenn die reine Kletterschwierigkeit wohl nicht schwieriger als I+ ist, fühlt sich der Gesamtanspruch (nicht zuletzt aufgrund der dubiosen Gesteinsqualität) doch deutlich höher an. Hier muss man wirklich sehr aufpassen und fokussiert klettern (sowie jeden Griff mehrmals prüfen), wobei es ab der Markierung (ganz oben) schnell wieder einfacher und flacher wird]


[Bild: Kaum zu glauben, dass ein technisch relativ einfacher Wanderweg über diese imposanten Flanken hinweg führt und eine Besteigung des Karkopfes (2469 m.) ermöglicht. Während sich die Talnebel über dem Inntal langsam aufzulösen beginnen, präsentiert sich mittig im Hintergrund die unverkennbare Hohe Munde (2662 m.) - Sicherlich wird dieser von allen Seiten imposante, östliche Eckpfeiler der Mieminger Kette am heutigen Traumtag von zahlreichen Wanderern angegangen, handelt es sich doch bei der Überschreitung von der Rauthhütte zur Niederen Munde (und umgekehrt) um eine der lohnendsten Genusstouren weit und breit. Auch ich habe diesen Kalkalpen-Klassiker (Link zum Tourenbericht) im Jahr 2018 bei ebenfalls bestem Wetter bereits erleben dürfen und dabei erstmals Kontakt mit dem „speziellen“ Fels der Mieminger Kette gehabt]


[Bild: Nachdem man den von steilen, ausgesetzten Felsstufen charakterisierten Anstieg auf die eigentliche Südflanke der Hochwand geschafft hat, folgt erst einmal eine gutmütige, grasbewachsene Schrofenflanke, der man in gerader Linie nach oben folgt. Das nächste wichtige Etappenziel ist der markante Felsaufschwung (mittig oben), den es linkerhand (westlich) zu umgehen gilt]


[Bild: Kurz vor dem steilen Felsaufschwung (oben links), den man westseitig im Geröll umgehen muss, wird das Terrain wieder felsiger und rauer. Mit lieblichem Gras wird es das nun erst einmal für viele Stunden gewesen sein. Von jetzt an führt die Route ausschließlich über steile, von splittrigem Geröll bedeckte Felsflanken bis zum Gipfelaufbau]


[Bild: Aussichtsreiche Querung in der Südflanke der Hochwand, bei der man den sperrenden, rippenartigen Felsaufschwung umgeht, der ein direktes Vorwärtskommen für Nicht-Kletterer verunmöglicht. Analog zur Hochwand dürften auch am (im Hintergrund erkennbaren) Hochplattig (2768 m.) heute keine bis kaum Bergsteiger unterwegs sein, obwohl es wettertechnisch kaum besser sein könnte! Zu schroff, zu brüchig, zu einsam und rau ist dem Gros der Bergsteiger eine Tour auf einen der zentralen Mieminger Gipfel]


[Bild: Links (westlich) vom Felsaufschwung in der Hochwand Südflanke geht es über plattigen, in diesem Abschnitt vergleichsweise festen Fels (anhaltend I bzw. „extremes Gehgelände“) bergauf. Aufgrund der anhaltenden Steilheit und Abschüssigkeit muss man die Konzentration dabei stets hochhalten! Das Gelände ist ernster, als es hier den Anschein hat]


[Bild: Inmitten der sehr steilen und abschüssigen Südflanke der Hochwand - Es mag vielleicht so wirken, als könne man hier einfach „entspannt“ von Markierung zu Markierung steigen, das täuscht jedoch gewaltig! Immer wieder ist das Gelände so steil, dass man leichte Kraxelstellen (I) bewältigen muss, wobei der Fels fast durchgehend mit hochgradig lockerem Schotter und Geröll (= tückische Kugellagereffekte inklusive!) bedeckt ist. Hier ist die Steinschlaggefahr extrem hoch, so dass man ganz besonders vorsichtig sein sollte. Auch ist der Fels in diesem Bereich wieder deutlich brüchiger, weshalb man jeden Griff und Tritt 2-3x prüfen sollte. Selten habe ich bei einer markierten und ausgewiesenen Gipfelroute so geschwitzt wie hier]


[Bild: Wildes, äußerst ruppiges Schrofengelände beim Aufstieg über die Hochwand Südflanke! In so einem Terrain wird man keinen Schönheitspreis gewinnen, hier gilt es v. a. einen Schritt vor den anderen zu setzen und sich unbeirrt bzw. fokussiert nach oben zu arbeiten. Nur langsam kommt dabei der Gipfelaufbau (links oben der Vorgipfel) näher, da man hier nur sehr langsam Höhenmeter macht. Nein, dankbar ist diese Route definitiv nicht]


[Bild: So langsam aber sicher nähert sich die Route durch die Südflanke dem Gipfelaufbau der Hochwand. Wer mit gerölligen Steilschrofen bzw. „feinem“ Wettersteinkalk-Bruch vertraut ist, wird sich hier schon irgendwie durchkämpfen. In jedem Fall gilt an diesem Berg: Der Gipfel ist das Ziel, nicht der Weg]


[Bild: Abgesehen vom unglaublichen, unmittelbaren Kontrast zum dicht bevölkerten Inntal ist es v. a. die grandiose Aussicht zu den Zentralalpen und zur Hohen Munde (2662 m.), welche den Aufenthalt in der Hochwand Südflanke trotz aller Strapazen zu einer wahrlich außergewöhnlichen Erfahrung macht. Bergtouren auf einen der Gipfel von Mieminger Kette oder Inntal- bzw. Nordkette (Karwendel), 2000 Meter über diesem wohl bedeutendsten Ostalpental, haben einfach stets ein ganz eigenes, „erhebendes“ Flair]


[Bild: Der finale Gratanstieg zum Vorgipfel (2715 m.) der Hochwand verlangt noch einmal stellenweise leichte Kraxelei (I) in sehr brüchigem, splittrigem Fels, geht jedoch angesichts des nahen Gipfelkreuzes herrlich locker von der Hand. Gleich ist der Gipfelgrat dieses wilden Mieminger Hochgipfels erreicht: Selten war ich so erleichtert über ein nahes Gipfelkreuz]


[Bild: Gipfelkreuz des Hochwand Südwestgipfels (2715 m.) - Dieser nur 4 Meter niedrigere Nebengipfel ist für die meisten Bergsteiger der Endpunkt ihrer Tour auf die Hochwand, da sich die meisten den Übergang zum ca. 200 Meter Luftlinie entfernten Hauptgipfel sparen. Aufgrund der entsprechenden alpinistisch-bergsteigerischen Bedeutung wurde der Gipfel mit einem stattlichen Kreuz ausgestattet, was ich für einen sehr feinen Zug halte. So fühlt sich der SW-Gipfel bereits wie ein vollwertiges, eigenständiges Gipfelziel an (das sogar den Watzmann an Höhe übetrifft!) und eine etwaige Enttäuschung, weil man sich den Übergang zum Hauptgipfel nicht zutraut, sollte daher nicht allzu groß ausfallen]


[Bild: Ausblick vom Hochwand Südwestgipfel (2715 m.) zum Hochplattig (2768 m.) - Es mag immer wieder einsamkeitsliebende Bergsteiger geben, die die Hochwand vom Karkopf aus via Ostgrat besteigen bzw. den Hochplattig überschreiten. Aber ein Gratübergang von der Hochwand zum Hochplattig (via Alplscharte) ist dann noch einmal eine vogelwilde Klettertour (III-IV) der deutlich schärferen Richtung: Da geht seilfrei nicht mehr viel. Und dann gibt es natürlich noch die Sorte wilde Hunde, die die gesamte Mieminger Kette (vom Grünstein bis zur Hohen Munde) komplett überschreiten (Kletterei VI, 2-3 Tage). Großen Respekt an alle, die sich solche Titanen-Touren zutrauen, aber ich gehe derweil lieber „klassisch“ bergsteigen bzw. wandern]


[Bild: Wieviele Touristen wohl gerade vom Gipfel der Zugspitze (2962 m.) über das Platt zu den düsteren Nordwänden der Mieminger Kette schauen...? In jedem Fall sind ein Aufenthalt auf der Hochwand bzw. auf dem höchsten Berg Deutschlands Welten auseinander. Die Zugspitze besteigt man aufgrund der Attraktivität ihrer Paraderouten (z. B. Höllental, Jubiläumsgrat, Stopselzieher, Eisenzeit und Reintal), die Hochwand wird man dagegen wohl eher ob ihres weltentrückten Gipfelerlebnisses aufsuchen]


[Bild: Ausblick (Zoom) vom Hochwand Südwestgipfel (2715 m.) zur Zugspitze (2962 m.) - Deutlich ist (mittig) die Wegspur unterhalb der Plattspitzen und Gatterlköpfe zu sehen, welche von der Ehrwalder Alm zum Gatterl (2024 m.) führt und so den Übergang zum Zugspitzplatt ermöglicht. Dies stellt (noch vor dem Reintal) die wohl schnellste und v. a. einfachste Möglichkeit dar, die Zugspitze per pedes bzw. „by fair means“ in Angriff zu nehmen]


[Bild: Auch wenn der SW-Gipfel (2715 m.) bereits ein absolut vollwertiges Gipfelerlebnis bietet, möchte ich mir natürlich (!) noch den Übergang zum Hauptgipfel (2719 m.) der Hochwand anschauen. „Technisch nicht schwieriger als I, aber äußerst brüchig“, so der einhellige Tenor der meisten Tourenbeschreibungen in Print und Internet: Das sollte ja eigentlich relativ unkompliziert machbar sein... Beim Blick zum Hauptgipfel beschleicht mich jedoch sogleich ein ungutes Gefühl. Das erste Gratstück schaut noch harmlos aus, speziell der mittlere Abschnitt mit seinen 2-3 Aufschwüngen sieht jedoch ziemlich schwierig aus! Schauen wir mal, meist lösen sich derlei Sorgen von Nahem ja dann doch irgendwie auf]


[Bild: Beim landschaftlich atemberaubend schönen, luftigen Übergang vom Hochwand SW-Gipfel zum Hauptgipfel - Anfangs handelt es sich um (ausgesetztes) Gehgelände, sehr bald jedoch beginnt die leichte Kraxelei (max. I). An einer Stelle bietet es sich vermeintlich an, nach links in die NW-Wand zu wechseln, da man den weiteren Weg (kurzer, luftiger Zwischenabstieg über wenige Meter) nicht einsehen kann und das Gelände äußerst abweisend ist. Am besten bleibt man jedoch die erste Hälfte durchgehend auf dem Grat, bis man unvermittelt vor einem senkrechten Grataufschwung steht...]


[Bild: Es sind Momente wie diese, die einen auf äußerst brutale Art und Weise massiv an den eigenen Fähigkeiten zweifeln lassen: Ungefähr auf halber Strecke beim Übergang vom Südwestgipfel (2715 m.) zum Hauptgipfel (2719 m.) der Hochwand steilt der Grat abrupt auf. Eine direkte Überkletterung erscheint mir ungesichert viel zu riskant und deutlich (!) zu schwierig (ein vorhandener Ringhaken am Fuß des Grataufschwungs zeigt, dass hier wohl mitunter tatsächlich die Direktvariante genommen wird). Auch eine linksseitige Umgehung in der düsteren, wirklich furchterregenden Nordwestwand kommt nicht in Frage, in beiden Fällen würde man sich wohl mind. im (brüchigen!) IV-Ver-Gelände bewegen. Des Rätsels Lösung ist ein kurzer Abstieg nach rechts in die sehr steile, ausgesetzte und heikel-abschüssige Südostflanke (wenige Meter), bis ein Steinmann (rechts unten erkennbar) die Umgehung des Grataufschwungs vermittelt (bloß nicht zu tief absteigen!). Anschließend geht es sofort wieder in brüchigem Fels (I-II) hoch zum Grat. Bei diesem Gratabschnitt handelt es sich in meinen Augen um die anspruchsvollste, ernsthafteste Passage der Tour: Hier sollte man sich Zeit lassen und wirklich sehr vorsichtig sein! Griffe und Tritte lösen sich nämlich buchstäblich schon beim Zusehen in Luft auf. Es ist mir unbegreiflich, dass dieser Gratabschnitt in den Tourenbeschreibungen nicht deutlich(er) hervorgehoben wird. Vielleicht hatte ich aber auch einfach einen (sehr) schlechten Tag...]


[Bild: Rückblick vom schroffen Gipfelgrat der Hochwand zum Südwestgipfel (2715 m.) - Obwohl es sich bei diesem Grat offiziell um nur mäßig schwieriges Klettergelände (max. I+ bzw. I-II) handelt, ist der allgemeine Anspruch aufgrund der Einsamkeit, der vollkommenen Brüchigkeit und des hochalpinen Ambientes ziemlich hoch. Die Hochwand ist insofern ein guter Gradmesser für anspruchsvollere Grattouren in (z. B.) Karwendel und Wetterstein, wo der Fels ja durchaus verbreitet von ähnlicher „Qualität“ ist]


[Bild: Schlussanstieg zum Hauptgipfel (2719 m.) der Hochwand - Die Hauptschwierigkeiten des Gratübergangs vom SW-Gipfel liegen hier bereits hinter mir. Nur mehr ein paar unproblematische Kraxelstellen und kurze Felsstufen (max. I, nicht ausgesetzt) trennen mich vom ersehnten (zweiten) Gipfelkreuz. Das Gestein ist hier natürlich ebenfalls genauso brüchig wie schon zuvor, aber angesichts der erfolgreich bewältigten Schwierigkeiten und der Gewissheit, dass auch der Weg zurück (irgendwie) machbar sein wird, fliege ich die letzten Meter förmlich empor, bis es auf einmal nicht mehr höher geht]


[Bild: Auf dem weltentrückten Hauptgipfel der Hochwand (2719 m.) inmitten der wildschroffen Mieminger Kette - Wohl nur wenige Berge mit markiertem Normalweg in den Nördlichen Kalkalpen, die ich bis dato in meinem Bergsteigerleben bestiegen habe, haben mir so viel abverlangt (körperlich wie geistig) wie dieser urtümliche Geselle! Wie erwartet habe ich den Gipfel ganz für mich alleine, so dass sich das Ganze noch exklusiver anfühlt, als es das ohnehin schon ist. Mit Blick zur nördlich aufragenden langen Felsmauer des Wettersteingebirges mache ich es mir bei absolutem Traumwetter auf dem Gipfel gemütlich: Nach dem entbehrungsreichen Aufstieg habe ich mir eine „echte“ Rast nun mehr als verdient]


[Bild: Wie oft wohl jemand alle paar Jubeljahre über die schauerlich brüchigen Untiefen der Nordwestwand aus dem Gaistal hier heraufgestiegen kommt...? Generell werden wohl nur ganz besonders verwegene, hartgesottene und risikofreudige Kletterer einen Mieminger Nordanstieg ernsthaft in Erwägung ziehen, sind die entsprechenden Wände und Steilflanken über dem Gaistal doch der Inbegriff von steinschlagträchtiger Brüchigkeit. Dort ist alles unaufgeräumt, nicht-abgeklettert und ggf. selbst abzusichern: Echt gefährliches, unübersichtliches Gelände, das die Anforderungen einer Mieminger Grattour (wie z. B. Hochwand Ostgrat vom Karkopf) definitiv weit in den Schatten stellt]


[Bild: Ausblick von der Hochwand (2719 m.) zur Zugspitze (2962 m.), welche (mit Ausnahme des Zugspitzplatt) analog zur Mieminger Kette allseits in wilden Felswänden und Steilflanken abbricht. Wäre die Zugspitze nicht so exzessiv mit Seilbahnen, Zahnradbahnen und Skigebieten erschlossen, es würde sich bei der Gipfelregion wohl um einen der entlegensten Orte der zentralen Nördlichen Kalkalpen handeln. So aber teilen der höchste Berg Deutschlands bzw. unumschränkte Herrscher des Wettersteingebirges und die gegenüber aufragenden hohen Berge der Mieminger Kette fundamental andere Schicksale. Das Gipfelerlebnis auf der Zugspitze, es könnte in keinem größeren Kontrast zum heutigen Tag stehen]


[Bild: Über 2000 Hm Differenz zum Inntal bzw. Ort Telfs sowie immerhin noch gut 1800 Hm Differenz zum Ort Wildermieming (und das bei gerade mal bei 4,5 km Luftlinie Distanz) verdeutlichen, mit welcher Wucht und Abruptheit die Mieminger Kette zwischen Wetterstein und Zentralalpenhauptkamm in den Tiroler Himmel ragt. Aus diesem Grund fühlt sich ein Aufenthalt auf einem hohen Mieminger Gipfel immer auch ein bisschen an, als würde man im Flugzeug sitzen und sich gerade im Landeanflug auf Innsbruck befinden]


[Bild: Rückblick vom Hauptgipfel der Hochwand (2719 m.) zum 200 Meter entfernten SW-Gipfel (2715 m.) - Abgesehen von der Tour auf die Ailefroide Orientale in der Haute Écrins hatte ich dieses Jahr bis dato kein vergleichbares Gefühl von Entlegenheit bzw. Entrücktheit, auch nicht am Patteriol oder Piz Linard. Der unerwartet wilde Gipfelgrat und die enorme Steilheit sowie Schroffheit der Normalroute verstärken diesen Eindruck ganz massiv, zumal ich (trotz des Topwetters und der unmittelbaren Nähe zum dicht besiedelten Innsbruck) den Berg (mit Ausnahme eines Bergsteigers, welcher soeben am SW-Gipfel eingetroffen ist) ganz für mich alleine habe. Ob wohl der (rechts im Hintergrund erkennbare) wolkenumwirbelte Hochplattig (2768 m.) heute Besuch erhält...?]


[Bild: Zugspitze (2962 m.) im Zoom von der Hochwand (2719 m.) aus gesehen - Im Gegensatz zum höchsten Punkt des Wettersteingebirges werden die umliegenden Trabanten (z. B. Schneefernerkopf, Wetterspitzen, Plattspitzen und Gatterlköpfe) selten bis (so gut wie) nie bestiegen. Auch in der Mieminger Kette herrscht eine Zweiklassengesellschaft: Der Hohen Munde (im Osten) und den Gipfeln rund um die Coburger Hütte (im Westen) wird so ziemlich alle Aufmerksamkeit zuteil, während die Berge zwischen Griesspitzen und Hochwand primär von „Liebhabern“ aufgesucht werden]


[Bild: Atemberaubender Ausblick vom Hauptgipfel der Hochwand (2719 m.) über den Ostgrat (Kletterei bis III) und den (mittig erkennbaren) Karkopf (2469 m.) zur Hohen Munde (2662 m.), welche (wie die gesamte Mieminger Kette) links vom Gaistal und rechts vom Inntal eingerahmt wird. Hierbei handelt es sich ohne Zweifel um den landschaftlich schönsten, ästhetischsten Anblick, mit dem man auf der Hochwand verwöhnt wird. Links hinten grüßt zudem das Karwendel herüber, während man rechts am Horizont die Zillertaler Alpen erahnen kann: Was für ein Panorama!]


[Bild: Kalkalpines Gipfelglück auf der Hochwand (2719 m.), einem der ganz großen Berge der Mieminger Kette. Da mittlerweile klar geworden ist, dass der andere Bergsteiger auf dem Südwestgipfel wohl nicht noch herüberkommen bzw. den Gratübergang in Angriff nehmen wird, bleibt es beim hochgradig exklusiven Gipfelerlebnis. Zwar hatte ich damit gerechnet, dass die Hochwand nicht gerade überlaufen ist. Dass ich (an einem wettertechnisch perfekten Sonntag im August!) jedoch ganz alleine auf dem Hauptgipfel sein werde, hätte ich trotz der hohen Anforderungen der Normalroute nicht für möglich gehalten. Es zeigt mal wieder, dass Berge wie die Hochwand einfach absolut aus der Mode gekommen sind und nur mehr bergsteigerische Exoten „der alten Schule“ anziehen. Mir ist das indes ja ganz recht: Von Zeit zu Zeit ist so eine ruppige Gipfeltour wie heute die ideale Möglichkeit, um der Zivilisation (zumindest für einige Stunden) zu entfliehen]


[Bild: Nach einer ausgiebigen Pause auf dem Haupt- bzw. Nordostgipfel der Hochwand (2719 m.) mache ich mich schließlich wieder an den Gratübergang zurück zum Südwestgipfel. Speziell die heikel-abschüssige, splitterbrüchige Umgehung des senkrechten Grataufschwungs (bzw. in diese Richtung Gratabbruchs) auf halber Strecke sitzt mir im Nacken. Ich will sie möglichst bald hinter mich bringen, um meine ganze Aufmerksamkeit anschließend dem langen, mental anhaltend anspruchsvollen Abstieg über die Südwestflanke zu widmen. Auf geht's! Immerhin weiß ich schon, was mich erwartet]


[Bild: Unterwegs auf dem Gipfelgrat der Hochwand zwischen Haupt- und Südwestgipfel. Hier sollte man definitiv nicht kopfscheu werden und seine 7 Sinne beisammen haben, zumal man hier in der Regel alleine unterwegs sein wird und im Zweifel auch nur schwerlich sichern könnte. Klettertechnisch anspruchsvoll ist der Grat nie (max. I+), aber dafür äußerst brüchig, abschüssig und luftig. Einen Fehler kann man sich hier angesichts des durchgehenden Absturzgeländes nicht leisten. Gefühlt ist so ein Gelände irgendwie viel, viel ernster als eine gutgriffige, strukturierte Gratkletterei im Bereich II-III]


[Bild: Rückblick über die Schlüsselstelle des Gipfelgrates, welche sich rechts in der Südostflanke (Steinmann!) umgehen lässt. Vom Haupt- zum SW-Gipfel lässt sich diese Passage (zumal man nun weiß, wie sich das Ganze „elegant“ umgehen lässt) deutlich einfacher bewältigen, vielleicht auch, weil man in diese Richtung nicht auf einmal abrupt vor diesem kühnen Aufschwung steht und sich verschreckt fragt, wie zur Hölle man da seilfrei mit vertretbarem Risiko hinüberkommen soll. In jedem Fall handelt es sich um die mit weitem Abstand anspruchsvollste Gratpassage, an der sicherlich schon viele Bergsteiger umgedreht sind, um es dann beim SW-Gipfel zu belassen]


[Bild: Kurz vor Wiedererreichen des Südwestgipfels steilt der Grat kurzzeitig noch einmal auf, wobei es in diesem Fall tatsächlich viel wilder aussieht, als es in der Realität der Fall ist. Hier liegen bereits wieder alle heikel-schwierigen Gratpassagen hinter mir, der restliche Schlussanstieg ist (auch wenn es hier nicht danach aussieht) tatsächlich vergleichsweise dankbares, nicht-ausgesetztes Kraxelgelände (max. I). In direktem Gegensatz dazu stehen die düsteren, äußerst gefährlichen Weiten der Nordwestwand (rechts), welche man sinnvollerweise meidet wie der Teufel das Weihwasser]


[Bild: Der kühn geschwungene Ostgrat der Hochwand (2 Stellen III, sonst I-II und Gehgelände) ist die wohl lohnendste Art und Weise, diesen tollen Mieminger Berg zu besteigen. Auch ich hatte kurzzeitig überlegt, den Karkopf anzusteuern und mich am „Abenteuer Ostgrat“ zu versuchen. Angesichts der Tatsache, dass ich bei dieser Tour alleine unterwegs bin und vor dem Hintergrund der großen Ernsthaftigkeit des Berges (extrem brüchiger, heikel-abschüssiger Fels und psychisch sehr forderndes Felsgelände I-II) bin ich jedoch auf die Normalroute umgeschwenkt. Ich habe es in diesem Fall für vernünftiger gehalten, den sicherlich spektakulär zu kletternden Ostgrat aus der Ferne zu bewundern: Eine wohl kluge Entscheidung, war ich doch bereits mit der Normalroute bzw. v. a. dem Gratübergang zum Hauptgipfel mehr als gut bedient]


[Bild: Ausblick vom Südwestgipfel der Hochwand (2715 m.) zum weiten Ehrwalder Becken, in dem sich die Orte Lermoos, Biberwier und natürlich Ehrwald befinden. Wer das Glück hat, in diesem wahrlich fantastisch gelegenen Talkessel zu leben, hat all diese wunderbaren Gebirgsgruppen direkt vor der Nase: Wetterstein, Mieminger Kette, Lechtaler und Ammergauer Alpen. Besonders Sonnenspitze und Zugspitze bzw. Schneefernerkopf dominieren diese seit langem vielbesuchte Gegend, welche schon so viele Menschen kennen- und lieben gelernt haben]


[Bild: Zu gerne wüsste ich, wie der Abbruch des Hochwand Südwestgrates zur Alplscharte hin von oben ausschaut... Doch mein Akku für nicht unbedingt notwendige Abenteuer ist für heute definitiv aufgebraucht. Ich will es im Folgenden einfach nur noch heil von dieser Mieminger Bruchruine herunterschaffen, sodass ich an dieser Stelle auf „erweiterte Exkursionen“ verzichte und stattdessen den Blick zum imposanten Hochplattig (2768 m.) schweifen lasse. Nach dieser Tour brauche ich definitiv erst einmal ein paar Jahre geistiger Regeneration bzw. Abstand von der zentralen Mieminger Kette, aber mittelfristig steht es natürlich außer Frage, den höchsten Berg dieser Gebirgsgruppe einmal unter die Lupe zu nehmen]


[Bild: Gipfelfreuden auf dem Südwestgipfel (2715 m.) der Hochwand, welcher aufgrund seiner vorgeschobenen Position sogar einen noch besseren Ausblick über das weite Inntal in Richtung Zentralalpen bietet als der Hauptgipfel. Bevor ich mich an den langen, kräftezehrenden Abstieg zum Wetterkreuz bzw. Straßberg-Parkplatz mache, unterhalte ich mich noch ein bisschen mit dem anderen Bergsteiger, welcher an diesem Tag auf die Hochwand gestiegen und auf dem SW-Gipfel auf mich „gewartet“ hat. Mit der Hochwand hat er angeblich nun jeden wichtigen Mieminger Gipfel bestiegen (zuletzt hat er den Hochplattig überschritten), wobei er sich den Übergang zum Hauptgipfel heute spart. Wir vereinbaren, dass er sich zuerst an den Abstieg macht und ich bewusst etwas warte, bevor auch ich mich wieder in die Südflanke „stürze“, damit wir das Risiko von Steinschlag entsprechend reduzieren]


[Bild: Ein letzter Blick vom SW-Gipfel (2715 m.) der Hochwand zurück zum Hauptgipfel (2719 m.), bevor es an den Abstieg zurück zum Wetterkreuz geht. Deutlich sind aus dieser Perspektive die einzelnen wilden Grataufschwünge zu erkennen, die einen vermeintlich unkomplizierten Übergang zu so einer relativ kniffligen und durchaus nervenaufreibenden Angelegenheit machen. Nach der heutigen Tour weiß ich in jedem Fall, dass ich in Zukunft (speziell im Falle von Solo-Touren) bei vergleichbaren Grattouren im (z. B.) Karwendel eher defensiv agieren sollte. Der Fels ist in diesem Teil der Nördlichen Kalkalpen einfach verbreitet so schlecht, dass man am Ende oftmals trotz vergleichsweise moderater Kletterschwierigkeiten so sehr ins Schwitzen kommt, dass der Genuss im schlimmsten Fall (etwas) auf der Strecke bleibt. So weit war es heute noch nicht ganz. Aber viel hat nicht mehr gefehlt und ich hätte mich auf diesem kühnen Grat definitiv unwohl gefühlt]


[Bild: Der „wilde Ritt“ beginnt: Abstieg vom SW-Gipfel (2715 m.) der Hochwand über den obersten (südlichen) Abschnitt des Gipfelaufbaus. Die folgenden gut 500 Hm werden nun wieder geprägt sein von mal mehr mal weniger abschüssigen, schuttbedeckten Steilschrofen, in denen es aufgrund der allgemeinen Brüchigkeit und der geröllbedingten Kugellagereffekte auf dem plattigen Fels nur langsam bergab geht. Mittig im Hintergrund kann man im Wald (ca. 1500 Hm entfernt) bereits die schottrigen Fahrstraßen rund um den Straßberg-Parkplatz erkennen, auf welchen es letztlich talwärts gen Telfs (oberer linker Bildrand) gehen wird: Der Weg zurück in die Zivilisation ist also noch sehr, sehr weit]


[Bild: Herrlicher Ausblick beim Abstieg über die Hochwand Südflanke in Richtung Stubaier (Sellrain) und Ötztaler Alpen - Mittig kann man die geologisch hoch interessanten Judenköpfe (auch Zwölferköpfe genannt) erkennen, während sich dahinter das sonnige Mieminger Plateau (Dreh- und Handlungsort der klassischen Arztserie „Der Bergdoktor“ aus den 90er Jahren) oberhalb des Inntals ausbreitet. Wie viele Touristen (und Einheimische) wohl gerade zu den Südabstürzen der Mieminger Kette emporblicken und sich fragen, wie man wohl auf diese brüchigen Wettersteinkalk-Giganten heraufkommt...?]


[Bild: Schier endlos weit breitet sich das Inntal vor einem aus, während es vorsichtig über die splitterbrüchigen Steilschrofen der Hochwand abwärts geht. Egal ob am Solstein (2024), am Bettelwurf (2022) oder an der links ersichtlichen Hohen Munde (2018): Stets haben mich Kalkalpen-Touren oberhalb des zentralen Inntales (Raum Innsbruck) landschaftlich vom Hocker gehauen, so auch diesmal. Das wirklich schöne Ostalpenpanorama der Hochwand ist auch eine willkommene „Ausrede“, regelmäßig innezuhalten und eine Mini-Pause einzulegen. Hudeln ist in dieser stellenweise heiklen, von fiesem Schutt bedeckten Steilflanke nämlich ohnehin nicht]


[Bild: So rau, mühsam und im Detail durchaus anspruchsvoll die Route durch die Südflanke der Hochwand auch ist, sollten zumindest im Hinblick auf die Orientierung keinerlei Probleme auftreten. Die Markierungsdichte ist so (anhaltend) hoch, dass man sich (eigentlich) schon wirklich doof anstellen muss, um sich hier zu versteigen. Ob es sinnvoll war, eine so wilde, anspruchsvolle und durchaus auch objektiv (phasenweise) riskante Tour zu markieren und entsprechend auszuweisen, sollen andere beurteilen. Interessanterweise war die Tour eine gewisse Zeit lang sogar als „rot“ (sprich: mittelschwieriger Bergsteig) markiert. Das ist mittlerweile viele Jahre her und war natürlich unglaublich gefährlicher Unsinn! Mehr „schwarz“ (im Bereich T5-6) kann ein Bergsteig eigentlich nicht sein]


[Bild: Nachdem die Route auf etwa 2475 mH von dem sperrenden, rippenartigen Felsaufschwung in der Süflanke nach rechts abwärts geleitet hat, geht es im Anschluss vorsichtig (hohe Steinschlaggefahr!) über die abschüssigen, wirklich unangenehm zu begehenden Steilschrofen im Vordergrund weiter abwärts. Mehr als nur einmal verfluche ich dabei das lose Geröll auf den Felsplatten, das mit gemeinen Kugellagereffekten daherkommt]


[Bild: Tiroler Bilderbuchkulisse beim Abstieg von der Hochwand - Links ragt stolz die Hohe Munde (2662 m.) in den verheißungsvoll blauen Ostalpenhimmel, während in der Ferne die vergletscherten Berge des Tuxer Hauptkammes rund um den Olperer (3476) herübergrüßen. Wer genau hinschaut, kann schräg links vor dem Olperer zudem sogar die Einmündung vom Wipptal (das Tal Richtung Brenner...) ins Inntal erkennen]


[Bild: Je weiter es über die Südflanke der Hochwand bergab geht, desto grasiger bzw. grüner wird das Gelände. Noch ist die steile, stellenweise mit einer seltsamen Reepschnur versicherte Felsflanke (I+), über welche man letztlich die Südflanke verlässt, nicht erreicht. Daher heißt es trotz des zunehmend idyllischen Terrains weiter die Konzentration hochzuhalten. In früheren Zeiten (als die Normalroute auf die Hochwand noch nicht markiert war) handelte es sich hierbei um einen der orientierungstechnisch anspruchsvollsten Abschnitte der Tour, da man die Stelle, an der man (im Abstieg) linkerhand nach Osten die Südflanke verließ, exakt (!) erwischen muss(te). Alle anderen Varianten waren/sind deutlich schwieriger, da die Südflanke auf etwa 2250 mH in wilden, senkrechten Felsstufen abbricht, die man als Normalbergsteiger besser meiden sollte]


[Bild: Das Wetterkreuz (ca. rechts der Bildmitte) ist bereits in Reichweite, doch erst muss die Südflanke der Hochwand über eine steile, ausgesetzte Felsstufe (I+ und A0) und abschüssige Schrofen verlassen werden. Hier muss man sich noch einmal richtig konzentrieren, da man sich durchgehend im absoluten Absturzgelände befindet. Das Ganze mag klettertechnisch nicht wirklich schwierig sein, verlangt aber gediegene Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. Wer nach dem kräftezehrenden Auf- und Abstieg mittlerweile müde ist (mit entsprechenden „Begleiterscheinungen“), der lebt hier gefährlich]


[Bild: Geschafft! Nachdem die steile, abschüssige Felsstufe (das „Tor“ zur Südflanke der Hochwand) hinter mir liegt, kann so langsam aber sicher der Autopilotmodus eingeschaltet werden. Von nun an handelt es sich um unkritisches, nur mehr mäßig steiles Schrofengelände, das Richtung Wetterkreuz immer stärker abflacht. Und so steige ich über die grasbewachsenen Hänge immer weiter abwärts, das weite Inntal und die Zentralalpen stets vor Augen: Was für ein Privileg]


[Bild: Rückblick zum Karkopf (2469 m.), welcher einerseits den Endpunkt des knackigen Adler Klettersteigs (D bzw. K4) sowie andererseits den Startpunkt des Hochwand Ostgrates (2 Stellen III, sonst I-II und viel Gehgelände) darstellt. Natürlich kann der Karkopf auch über seinen markierten und ausgeschilderten Normalweg bestiegen werden, wobei man die kühn angelegte, quer nach oben verlaufende Wegspur in den steilen Südabstürzen deutlich erkennen kann]


[Bild: Traumberg Hohe Munde (2662 m.) - In fast jede Richtung eine imposante Wandflucht zur Schau stellend, zeigt sie sich nur im Westen zur Niederen Munde (2059 m.) hin sowie im Osten oberhalb der Rauthhütte von einem etwas sanfteren, zugänglicheren Erscheinungsbild. Diese beiden Himmelsrichtungen ermöglichen eine großzügige Überschreitung des östlichen Eckpfeilers der Mieminger Kette, während die rechts angedeutete Südwand eine unzugängliche, furchterregende Wildnis ist, wo sich Gams und Alpendohle gute Nacht sagen. Es ist kein Wunder, dass diesen Berg in Tirol fast jeder kennt: Wohl nur wenige Kalkalpengipfel sind so markant und setzen sich so gekonnt in Szene wie die Hohe Munde]


[Bild: Vom Wetterkreuz (1920 m.) aus wäre auch ein südöstlicher Abstieg über den Hintereggen-Rücken (rechts im Bild) in das Tal des Straßberges bzw. Griesbaches (via Hintereggensteig und ggf. Karsteig) möglich. Doch da mein Bedarf nach Neuland für heute gedeckt ist, werde ich auf der Aufstiegs- / Zustiegsroute von heute morgen via Neue Alplhütte zum Parkplatz zurückkehren. Irgendwann reicht es einem einfach]


[Bild: Rückblick zum Wetterkreuz (1920 m.), über dem die Hochwand imposant in den Himmel ragt. Gut zu erkennen sind die steilen Abbrüche der Südflanke zum Alpltal hin, welche (im Aufstieg) rechterhand bzw. ostseitig über luftige Felsstufen und Schrofen umgangen werden. Links im Hintergrund zeigt sich mittlerweile wieder der Hochplattig (2768 m.), der unumschränkte König der Mieminger Kette. Da an diesem wuchtigen Gipfel (im Gegensatz zur Hochwand) alles naturbelassen (= unmarkiert) ist, wird er trotz seines Status als höchster Berg der Gebirgsgruppe und fast 1200 m Schartenhöhe sogar noch deutlich seltener bestiegen als mein heutiges Ziel]


[Bild: Den gewaltigen Hochplattig (2768 m.) und die abweisenden Judenköpfe vor Augen, geht es (nach einer kurzen, absolut notwendigen Pause) schließlich vom Wetterkreuz bzw. einem südlich vorgelagerten Sattel (Wegkreuzung) nach Südwesten bergab in das von Latschen und Geröllhalden geprägte Alpltal. Mal schauen, wann ich mich von Obermieming via Gacher Blick zu den Südabstürzen des Hochplattig aufmachen werde... Die 2-3 gängigen Routen zum Westeck bzw. Ostgipfel inkl. obligatorischem Übergang zum Hauptgipfel habe ich zwar theoretisch bereits vor Augen. Nach dem heutigen Tag wird es aber wohl ein paar Jahren dauern, bis ich wieder das Bedürfnis nach „feinem“ Mieminger Wettersteinkalk habe. Man soll niemals nie sagen. In diesem Fall bin ich mir aber recht sicher, dass ein bisschen (Sicherheits-)Abstand zu diesen sehr speziellen Bergen mir ganz gut tun wird]


[Bild: Bevor es gleich aus dem von Bergstürzen und (im Winter) Lawinen geprägten bzw. gefährdeten Alpltal südöstlich heraus und via Neue Alplhütte entspannt zurück zum Straßberg-Parkplatz gehen wird, halte ich im Bereich einer idyllischen Wiesenfläche noch einmal inne, um den Blick eines letztes Mal zurück zur Hochwand (2719 m.) schweifen zu lassen. Was für ein Berg! Obwohl markiert, ausgeschildert und sicherlich kein No-Name bzw. Geheimtipp, hat sich die Normalroute über die Südflanke und v. a. der Gratübergang vom SW- zum Hauptgipfel als wirklich anspruchsvolle, phasenweise heikle und bergsteigerisch sehr ernste Unternehmung dargestellt. Obwohl die Kletterschwierigkeit nirgends den Grad I+ übersteigt (das abschüssige, unangenehm zu begehende Terrain und die Ausgesetztheit lassen das Ganze vielleicht technisch anspruchsvoller erscheinen, als es letztlich formell ist), fand ich die Tour (v. a. am Gipfelgrat) deutlich (!) anspruchsvoller als z. B. eine Watzmann-Übschreitung. Ob ich nur einen sehr schlechten Tag hatte oder die Tour einfach maximal streng bewertet ist, kann ich nicht sagen. In jedem Fall sollten sich nur diejenigen die Hochwand als Tourenziel aussuchen, die über absolute Trittsicherheit, Schwindelfreiheit, Routine im Umgang mit splitterbrüchigen, abschüssigen und steinschlaggefährdeten Steilschrofen sowie psychische Resilienz bzw. Stabilität verfügen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist man an diesem Berg alleine unterwegs. Da man sich zudem über fast 500 Hm hinweg im Absturzgelände befindet, muss auch die Fitness stimmen (eine bergsteigerische Nachlässigkeit wie einen Stolperer kann man sich vielfach absolut nicht leisten). Wer all dem jedoch gewachsen ist und sich nicht vom einschüchternden Grataufschwung zwischen SW- und Hauptgipfel abschrecken lässt, wird an diesem tollen Berg bei schönem Wetter in jedem Fall das urtümliche Abenteuer finden, das er/sie mutmaßlich sucht. Mieminger Touren wie diese sind etwas für den Bergsteiger der „alten Schule“, für Leute, die heiklen Steilschrofen und kalkalpiner Entrücktheit etwas abgewinnen können und auch mal bereit sind, sich „bergsteigerisch zu quälen“. Der Weg ist an der Hochwand sicherlich nicht das Ziel, man ist wirklich ungemein (!) froh und erleichtert, wenn man sich wieder auf das Bankerl beim Wetterkreuz setzen kann. Wer der wildromantischen Mieminger Kette (diesem Kalkalpen-Geheimtipp zwischen Lechtaler Alpen, Wetterstein, Karwendel und Hauptkamm) jedoch verfallen ist, vielleicht die Hohe Munde bestiegen und der Coburger Hütte mal einen Besuch abgestattet hat und sich nun (entsprechende Erfahrung vorausgesetzt) „steigern“ möchte, wird hier in jedem Fall fündig - Was für eine Hammertour! Und nun schnell nach Hause: Trotz aller landschaftlichen Großartigkeit brauche ich jetzt erst einmal (mindestens) 2-3 Jahre geistiger Erholung von dieser besonderen Gebirgsgruppe...]



Jôf di Montasio (2754 m.) -  Via Amalia, Findeneggweg,

Via Ferrata Scala-Pipan, Sentiero Leva & Sentiero Ceria Merlone


15-17. August 2025


[Bild: Ausblick von der Malga Saisera zum gewaltigen Bergmassiv des Jôf di Montasio (2754 m.) - Für einen passionierten Kalkalpen-Bergsteiger wie mich waren die Julischen Alpen stets weit weg (räumlich-geographisch wie emotional). Wollte man rauen Dachsteinkalk oder Dolomit unter den Fingern spüren, waren andere Gebirgsgruppen wesentlich naheliegender. Doch im wettertechnisch etwas kniffligen Bergsommer 2025 muss man im Hinblick auf das Tourenziel flexibel und bereit sein, ggf. neue Wege einzuschlagen. Als sich Mitte August über weiten Teilen der Ostalpen regnerisch-wechselhaftes Wetter einstellt, sich dagegen am südöstlichen Zipfel der Alpen mutmaßlich ein schwaches, isoliertes Hochdruckgebiet halten kann, beschließen wir, dass es Zeit wird, den Julischen Alpen endlich einmal einen Besuch abzustatten. Da das verlängerte Wochenende rund um Ferragosto voraussichtlich dazu führen wird, dass die Gegend rund um das Soča-Tal und den Triglav noch stärker besucht sein wird, als sie es zur Hauptferienzeit ohnehin schon ist, beschließen wir in den italienischen Teil der Julischen Alpen zu fahren: das Friaul. Dort, im vermeintlichen Nirgendwo zwischen Tolmezzo und Tarvisio, erhebt sich einer der imposantesten Berge der Ostalpen: der Jôf di Montasio (auch Montasch, Il Montâs bzw. Poliški Špik genannt). Dieser zweithöchste Berg der Julischen Alpen (immerhin 31,5 km Luftlinie sind es bis zum Triglav) ist der Inbegriff eines Traumgipfels! Mit einer Schartenhöhe von ca. 1600 m ist der Montasio einer der 44 Ultras („Ultra-prominent Peaks“) der Alpen. Zudem gehört seine Westwand mit etwa 1350 m (ab Clapadorieschlucht) zu den höchsten Felswänden der Ostalpen. Auch wenn der Montasch durch zahlreiche Drahtseile und Eisenleitern alpinistisch (deutlich) entschärft wurde und v. a. über die Via Ferrata Scala-Pipan (von Süden aus) sehr häufig bestiegen wird, ist es ein hartes Stück Arbeit, bis man letztlich die Gipfelglocke läuten kann. Insbesondere der Findeneggweg (mit Zustieg über die Via Amalia) ist trotz der Markierungen eine durchaus sehr ernste, anspruchsvolle Klettertour (II+). Um das „Erlebnis Jôf di Montasio“ noch etwas zu intensivieren, wollen wir zudem das gesamte Bergmassiv über eine Vielzahl von versicherten Steigen überschreiten und dabei in den beiden Biwakschachteln Bivacco Suringar und Bivacco Dario Mazzeni übernachten. 2,5 volle Tage fernab von Zivilisation und Komfort in ursprünglicher, urtümlicher, maximal naturnaher Kalkalpen-Landschaft mit „exotisch“-mediterranem Touch: So lautet der Plan für diese große Touren-Premiere in den Julischen Alpen]


[Bild: Ein Hauch von Abenteuer umweht uns, als wir dem weiten Schuttstrom des Torrente Saisera von der gleichnamigen Malga zunächst ein Stück in südwestliche Richtung folgen. Während sich über uns die gewaltige Felsmauer des Jôf di Montasio (hier ganz rechts außen bzw. nicht sichtbar) erhebt, zeigt sich auch beim Blick in den hinteren Talschluss des Val Saisera, dass wir uns hier auf eine ganz besondere, „authentische“ Bergtour eingelassen haben. Wilde, für Nicht-Kletterer vollkommen unzugängliche Felstürme wie der Torre Genziana (1933 m.) oder der Torre Dario Mazzeni (2211 m.) machen unmissverständlich klar, dass man sich hier in einem ganz besonderen Gebirgsteil befindet: Einer einmaligen, südlich anmutenden Melange aus Kalkalpen + Dolomiten]


[Bild: Was für ein kolossaler Berg! Fast 1800 Hm Differenz liegen zwischen uns und der Gipfelregion des Jôf, wir haben also zwangsläufig einiges vor uns. Im Friaul sowie in Slowenien, Kärnten und Osttirol wohlbekannt, wissen viele Bergsteiger (vor allem in Deutschland) doch nicht um die Wucht, mit der sich die Julischen Alpen südlich des Karnischen Hauptkammes noch einmal mit aller Macht aufbäumen, bevor dann in Form von Udine, Gorizia und Trieste so langsam das Mittelmeer grüßt. Während wir langsam (wir müssen uns erst an die extrem schweren Rucksäcke gewöhnen...) über den Schuttstrom des Torrente Saisera dahinspazieren (wohlwissend, dass es sehr bald konsequent bergauf gehen wird), fliegen die Blicke fast unweigerlich zum aktuell noch so unendlich weit weg wirkenden Gipfel des Jôf di Montasio: Ich bin sehr gespannt, wie es sich anfühlen wird, diesen zweithöchsten Berg der Julischen Alpen zu überschreiten und am Ende sogar zu umrunden]


[Bild: Blick zurück in das vom gewaltigen Schuttstrom des Torrente Saisera durchzogene gleichnamige Tal. Wir befinden uns hier bereits ein paar hundert Hm oberhalb der Talsohle beim Anstieg zum Bivacco (Carlo e Giani) Stuparich, welches das erste wichtige Etappenziel bei unserem Zustieg zur Via Amalia darstellt. Der temperaturbedingt recht „dampfige“ Anstieg durch lichten Bergwald ist kurzweilig und mit zunehmender Höhe werden auch die Ausblicke zum zweiten Koloss von Berg, mit dem die Region gesegnet ist, immer besser: ganz rechts zeigt sich mittlerweile der Jôf Fuart (2666 m.) - Dieser im Deutschen Wischberg genannte, fünfthöchste Gipfel der Julischen Alpen wird wetterbedingt (am dritten und letzten Tag unserer Tour soll das Wetter umschwenken, weswegen wir es an Tag 2 bis zum Bivacco Dario Mazzeni schaffen wollen) leider nicht auf dem Programm stehen. Doch ich hoffe, ihn v. a. am nächsten Tag beim Übergang zur Forcella Lavinal dell'Orso einige Male von seiner Schauseite zu Gesicht zu bekommen]


[Bild: Das unterhalb des Torre Palizza (1949 m.) gelegene Bivacco (Carlo e Giani) Stuparich (1578 m.) ist der ideale Ausgangspunkt für anspruchsvolle Klettereien im Bereich der Jôf di Montasio Nordwand. Benannt ist das Biwak nach den Brüdern Carlo und Giani Stuparich, welche im 1. Weltkrieg an der Seite Italiens kämpften und für ihre tapferen Leistungen geehrt wurden. Passenderweise befinden sich in unmittelbarer Nähe zum Biwak auch die Überreste einer militärischen Festungsanlage, wodurch deutlich wird, wie unfassbar weit sich die Gebirgsfront vom Stilfser Joch in Südtirol bis zu den Julischen Alpen zog... Gut, dass diese schrecklichen Zeiten lange vorbei sind. Heutzutage ist das extrem gut ausgestattete (fast schon luxuriöse), sehr große und gemütliche Bivacco Stuparich ein wichtiger Stützpunkt für Wanderer, Ferratisti und Kletterer gleichermaßen, mit grandioser Aussicht über das Val Saisera und in unmittelbarer Schlagdistanz zur gewaltigen Felsmauer der Jôf di Montasio Nordwand]


[Bild: Rückblick zum fantastisch gelegenen Bivacco Stuparich (1578 m.), an welchem wir uns leider nur kurz aufgehalten haben (die Via Amalia ruft...) - Doch auch für Wanderer, welche sich nicht in Richtung Jôf di Montasio aufmachen, ist das Biwak von großem Interesse, ergeben sich doch zahlreiche spannende Tourenoptionen im Hinblick auf das Val Dogna und den aussichtsreichen Jof di Sompdogna (1889 m.) - Die Möglichkeiten, sich in den Friauler Dolomiten und den Julischen Alpen (analog zu den eigentlichen Dolomiten) mit Biwakschachteln seine ganz individuellen, mehrtägigen Bergabenteuer zu „basteln“, sie sind schier grenzenlos]


[Bild: Vom Bivacco Stuparich führt die markierte Wegspur über Karst und (weiter oben) schließlich geröllig-schuttige Hänge bergauf in Richtung der Jôf di Montasio Nordwand. Links präsentiert sich stolz der Felsturm Torre Palizza (1949 m.), welcher letztlich aber doch nur klein und unbedeutend wirkt, angesichts der gewaltigen Wandfluchten des Jôf. Ungefähr im Bereich des Schattens, welchen der Torre Palizza wirft, wird sich der Weg markant nach rechts (Westen) wenden und in Form einer Querung zum Einstieg der eigentlichen Via Amalia führen]


[Bild: Kaum zu glauben, dass irgendwo und irgendwie durch diese abweisenden Felswände ein (nur mäßig schwieriger) Klettersteig führen soll. Die Via Amalia ist (neben der kühnen Via di Dogna) wohl die landschaftlich eindrucksvollste Möglichkeit, um sich dem Jôf di Montasio zu nähern. Ich bin schon gespannt, wie sich der mit dem Schwierigkeitsgrad C (ca. K3/4) bewertete Klettersteig präsentieren wird. Angesichts von jeweils ca. 6 Litern Flüssigkeit, jeder Menge Essen sowie Biwak-Equipment im Rucksack haben wir auf ein KS-Set verzichtet und (neben Helm und Gurt) nur eine Bandschlinge inkl. Karabiner mitgenommen. Wird schon irgendwie gehen, aber für zusätzlichen Respekt sorgt der (wirklich sehr) schwere Rucksack auf jeden Fall]


[Bild: Kurz vor Erreichen der Via Amalia wird klar, dass es nun bald ernst wird. Über uns ragen die zahllosen wilden Türme, Wandfluchten und Felsrippen der Jôf di Montasio Nordwand in den Himmel, welche uns nur an einer einzigen Stelle den Eintritt in ihr Reich gewähren werden. Deutliche Pfadspuren im Geröll leiten nun zügig bergauf an den Wandfuß, welcher mit einer Tafel den Einstieg in den Klettersteig markiert: Die Via Amalia beginnt]


[Bild: Steil, aber technisch nicht allzu schwierig (A/B) geht es vom Einstieg der Via Amalia zunächst etwa 100 Meter empor. Der Fels ist erfreulicherweise relativ fest, so dass wir (teils „richtig“ kletternd und teils das Drahtseil nutzend) rasch an Höhe gewinnen. Dieser erste Abschnitt der Via Amalia ist ein guter Indikator für die Rauheit der Route: Wer sich hier schon unwohl fühlt oder gar bereits mit der technischen Schwierigkeit Probleme hat, sollte definitiv wieder zum Wandfuß absteigen. Die wirklich kniffligen Passagen kommen nämlich erst noch]


[Bild: Die (in meinen Augen) Schlüsselstelle der Via Amalia: Nach ein paar mit Klammern versicherten Passagen (B/C), einem engen Felsspalt und einem kurzen 3-Meter-Abstieg folgt dieser senkrechte, abdrängende und tatsächlich sehr ausgesetzte Kamin (ca. 50 Meter anhaltend C). Nur mit einer Bandschlinge ausgerüstet, ist das Ganze angesichts unserer enorm schweren Rucksäcke (!) tatsächlich eine relativ ernste Angelegenheit, für die v. a. ich etwas länger brauche. Rechts geht es steil in die Tiefe, hier muss man seine 7 Sinne beinander haben und sich konzentriert nach oben arbeiten. Dafür ist diese Abschnitt der Via Amalia an exponierter Wildheit kaum zu übertreffen. Wer angesichts der eindrucksvollen Felswände ringsherum nicht absolut begeistert ist, ist mutmaßlich überfordert]


[Bild: In etwas leichterem, weniger steilem Gelände (A/B, meist Gehgelände) geht es nach dem steilen Kamin durch eine schluchtartige Rinne bergauf zu einem grasbewachsenen Sattel. Hat man es bis hierher geschafft, wird man (entsprechende Kondition vorausgesetzt) auch den Rest der Via Amalia schaffen. Da die hinter uns liegenden C-Passagen (v. a. der senkrechte Kamin) indes doch mehr Kraft gekostet haben als gedacht, bin ich über den nun folgenden mittleren Abschnitt der Route sehr dankbar. Die Via Amalia ist zwar definitiv ein alpiner Klettersteig, gleichzeitig ist sie jedoch aufgrund der regelmäßigen Gehpassagen und der ungesicherten Kraxelstellen (max. I-II) in erster Linie auch eine versicherte Höhenroute, bei der reine Sportklettersteiggeher eventuell nur bedingt auf ihre Kosten kommen werden]


[Bild: Kurze Verschnaufpause bei einem grasbewachsenen Sattel, welcher rechterhand von einem gewaltigen Felsturm überragt wird. Mittig zeigen sich unten im Kargrund die kläglichen Reste des Ghiacciaio Occidentale del Montasio (des Westlichen Montasiogletschers), welcher in wenigen Jahren wohl (vorerst) für immer verschwunden sein wird. Absoluter Blickfang ist aber natürlich der gewaltige Felsklotz des Jôf Fuart (2666 m.) links hinten, welcher zudem links von seinem kaum weniger eindrucksvollem Trabanten namens Monte Nabois Grande (2301 m.) komplementiert wird. Wohl nur in den Dolomiten habe ich bisher vergleichbare Felskastelle gesehen, die so abrupt und jäh aus ihrer Umgebung hervorragen]


[Bild: Landschaftlich braucht sich die Via Amalia auch vor den großen Höhenrouten und Klettersteigen der Dolomiten nicht zu verstecken! Während man sich über Schrofenhänge, Felsrippen und Kamine beständig nach oben arbeitet, ist man permant von der so wunderbar urtümlichen Hochgebirgswelt des Jôf di Montasio umgeben, welche einen (sofern man sich darauf einlässt) regelrecht „einsaugt“ und unweigerlich in ihren dolomitenartigen Bann zieht. Mittig im Hintergrund zeigt sich bereits die nächste wichtige Etappe der Via Amalia: eine steile, aber gut gestufte Felswand, die mithilfe von Drahtseilen, Eisentritten sowie leichter Kraxelei (max. B bzw. I) überwunden wird]


[Bild: Dankbares Felsgelände (B und Kraxelei I) im mittleren Bereich der Via Amalia - Ziel sind die grasbewachsenen Felsstufen (mittig im Hintergrund), von denen es anschließend oberhalb eines Geröllkares über einen grasigen Rücken hinweg gehen wird. Man befindet sich an diesem Punkt erst knapp unter 2200 mH, es ist (rein von den Höhenmetern her) also noch ein gutes Stück zu gehen. Da die Via Amalia mit zunehmender Höhe jedoch immer mehr den Charakter einen aussichtsreichen Panorama-Höhenroute bekommt, ist mir das im Grunde nur recht]


[Bild: Tiefblick aus der steilen Wandstufe im mittleren Teil der Via Amalia zu dem grasbewachsenen Sattel, welcher rechts von einem schwindelerregend steilen Felsturm überragt wird (wie oft da wohl jemand hinaufklettert...?) - Mittig in der Ferne kann man das Gebiet der Malga Saisera erkennen, von wo aus wir heute Morgen gestartet sind. Wir sind zwar erst seit ein paar Stunden unterwegs, fühlen uns aber doch bereits unendlich weit weg von der Zivilisation (zumal wir tatsächlich seit dem Parkplatz keine anderen Menschen mehr getroffen haben!). Die Via Amalia ist alles andere als überlaufen und deutlich weniger frequentiert als die Via Ferrata Scala-Pipan, über welche wir morgen vom Jôf di Montasio absteigen wollen]


[Bild: Den kühnen, vom Hauptgipfel in Form der Forca Rossa deutlich abgetrennten Torre Nord (2683 m.) vor Augen, folgen wir der Via Amalia über den begrünten Rücken oberhalb des Kares nach Süden. Nächstes wichtiges Etappenziel ist der sperrende Felsriegel rechts im Hintergrund, welchen es in Form leichter Kraxelei (max. I) zu überwinden gilt. In dem kleinen Schuttfeld oberhalb wird sich die Route dann markant nach rechts (Nordwesten) wenden und in Form einer Querung den sogenannten Cresta dei Draghi anvisieren]


[Bild: Sieht wild aus, ist aber dankbares, unkompliziertes Gelände: Aufstieg über den steilen Wandgürtel unterhalb des Torre Nord, wobei Drahtseile hier nur mehr in sehr homöopathischer Dosis vorkommen. Rechts oben kann man bereits den Cresta dei Draghi (den „Drachenrücken“) erkennen, welcher uns den Durchschlupf auf die Westseite des Bergmassivs ermöglichen wird. Nicht mehr lange, dann wird sich uns ein wahrlich königlicher Tiefblick in die Untiefen der Clapadorieschlucht sowie in die Täler Val Rotta und Val Dogna bieten...]


[Bild: Tiefblick vom Cresta dei Draghi in die imposante Clapadorieschlucht, welche weiter hinten letztlich in das Val Dogna ausläuft. Durch diese weltenferne Schlucht verläuft die für Otto-Normalbergsteiger wohl spektakulärste Route auf den Jôf di Montasio: die Via di Dogna (Stellen III). Diese alpine Route mündet letztlich (in Schlagdistanz zum Bivacco Suringar) in die Via Amalia und ist in Kombination mit dem Findeneggweg wohl eine schönsten leichten Klettertouren in diesem Teil der Alpen. Bevor wir uns nun daran machen, via Cresta dei Draghi das nahe Biwak anzusteuern, müssen wir natürlich eine Zeit lang innehalten und diesen einmaligen Ausblick genießen: Was für eine urweltliche Landschaft]


[Bild: Unterwegs auf dem Cresta dei Draghi (dem „Drachenrücken“ bzw. dem Felskamm zwischen Torre Nord und III. Torre) auf mittlerweile ca. 2450 mH. Das Bivacco Suringar ist nun nicht mehr allzu weit weg, nur mehr ein paar geröllige Querungen und Schrofenflanken trennen uns von unserer Unterkunft für die Nacht (ganz rechts unten kann man den Wegverlauf erahnen). Dass wir sehr bald auch nicht mehr alleine sein werden (jedoch auf eine Art und Weise, wie wir sie uns nicht hätten ausmalen können), wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht...]


[Bild: Unterwegs in den steilen Westabstürzen des Jôf di Montasio zwischen Cresta dei Draghi und Bivacco Suringar - Höhenmetermäßig haben wir die Via Amalia an dieser Stelle im Grunde geschafft, was nun folgt ist v. a. etwas lästiges Auf und Ab, wobei man einer Stelle noch mal kurz aufpassen muss: Im Bereich des Geröllfeldes (rechts hinten) verleiten Wegspuren rechterhand zu einer Abwärtsquerung. Dort sollte man sich jedoch linkerhand an die Felsen halten (leichte Kraxelei I), da man sonst unterhalb des Biwaks rauskommt und zurückgehen muss (möglicherweise handelt es sich bei den Wegspuren im Geröll um den Ausstieg der Via di Dogna?). Rechts im Hintergrund zeigt sich mit dem abweisenden Monte Cimone (2379 m.) mittlerweile ein neuer Geselle, der uns in den kommenden Stunden Gesellschaft leisten wird]


[Bild: Als wir uns dem Bivacco Suringar nähern, wird uns der unfassbare Artenreichtum des Friaul mit einem Mal schlagartig bewusst: Nicht nur entdecken wir wie aus heiterem Himmel insgesamt 6 (!) Bartgeier über der Clapadorieschlucht, auch Steinböcke bevölkern ganz offensichtlich in Massen die Bergflanken des Jôf di Montasio. Als wir die ersten von ihnen auf den letzten Metern zum Biwak „passieren“ (von uns zeigen sie sich dabei vollkommen unbeeindruckt), glauben wir noch, dass es das für den Tag in Bezug auf die Fauna gewesen sein wird. Wie (glücklicherweise) unglaublich falsch wir doch lagen...]


[Bild: „Sie sind überall...“ - Mehrere Steinbockherden (Geißen und Kitze) bevölkern am heutigen Tag die Gegend rund um das Bivacco Suringar, hoch über den Untiefen der zur Clapadorieschlucht abstürzenden Jôf di Montasio Westwand. Teilweise lassen sie uns bis auf 3-4 Meter herankommen, offenbar haben Steinböcke im Friaul nicht die gleiche Scheu vor Menschen wie in touristisch stärker frequentierten Regionen der Ostalpen. Während es z. B. in den Nördlichen Kalkalpen bzw. Tirol meist etwas ganz Besonderes ist, einen Steinbock zu treffen, verliert das Erlebnis hier rasch an Zauber. Es sind schlichtweg so viele Steinböcke (die alle noch dazu offenkundig die Gegend rund um das Biwak nicht zeitnah verlassen werden), dass wir uns tatsächlich nach einer gewissen Zeit an sie gewöhnen]


[Bild: Während eine der Steinbockgeißen aufmerksam das Treiben ihrer Herdenmitglieder verfolgt, kann man im Hintergrund die Wegspur der Via Amalia durch die Westabstürze des Jôf di Montasio sowie den dahinter aufragenden Cresta dei Draghi erkennen. Es macht auf diesem Bild zwar nicht den Eindruck, aber linkerhand geht es steil in die Tiefe. Immer wieder stockt einem daher kurz der Atem, wenn die Steinböcke entlang der Abbruchkante vorbeihuschen, doch bewegen sie sich absolut sicher: So trittsicher, wie es selbst der versierteste Profibergsteiger niemals werden wird]


[Bild: Na du! Seit vermutlich etwa 2-2,5 Monaten auf der Welt, steht diesem jungen Steinbockkitz sehr bald eine der größten Bewährungsproben seines noch jungen Lebens bevor: der erste Winter im Hochgebirge der Julischen Alpen. Viele Kitze überleben aufgrund von Witterungsbedingungen, Raubtieren (v. a. Steinadler) oder dem Verlust der Mutter das erste Jahr nicht. Die Bedingungen hier im Friaul, sie werden spätestens ab November sehr, sehr hart. Viel Glück kleiner Steinbock! Ich drücke dir die Daumen]


[Bild: Das wahrlich spektakulär gelegene Bivacco Suringar (benannt nach dem italienischen Kletterer Adriano Suringar, welcher während des 2. Weltkrieges in Russland gestorben ist und entsprechend geehrt wurde) befindet sich unter einem wulstigen, überhängenden Felsaufschwung (geschützt vor Steinschlag!) inmitten der Jôf di Montasio Westwand und erinnert daher stark an die Biwakschachtel in der Watzmann Ostwand. Das Suringar-Biwak ist eher spartanisch und eng (es hat Platz für 4 Personen, Matratzen und Decken sind vorhanden, Kochmöglichkeiten oder eine Quelle in der Nähe hat es nicht), aber vergleichsweise sauber und absolut zweckmäßig. Einmalig ist v. a. die Lage hoch über der Clapadorieschlucht mit hindernisloser Sicht nach Westen. Nachdem wir schon letztes Jahr gemeinsam im Gruberscharten-Biwak in der Glocknergruppe waren, freue ich mich, dass wir auch in diesem Jahr wieder ein echtes Biwak-Abenteuer erleben. Hin und wieder ist es doch etwas ganz Feines und wunderbar Ursprüngliches, sich in einen dieser rustikalen Kästen aus Metall und Holz zurück zu ziehen]


[Bild: Tiefblick vom Bivacco Suringar (2430 m.) zum rasiermesserscharfen, weltenfernen Felskamm zwischen Curtissons (2250 m.) und Jôf di Miez (1974 m.), welcher auch Cresta delle Lancie genannt wird. Wie oft sich wohl einsamkeitssuchende Hyperindividualisten auf den Weg machen, diesen maximal entlegenen Sekundärgipfel hoch über der Clapadorieschlucht zu besteigen...? Allzu oft wird das sicherlich nicht passieren. Der wuchtige Monte Cimone (2379 m.) im Hintergrund wird dagegen häufiger „gemacht“, führen doch sowohl Routen aus dem Val Dogna (von Norden) als auch aus dem Val Raccolana (von Süden) in die Forca de la Viene (Forcje da le Viene), von wo aus die Besteigung über den Ostgrat erfolgt]


[Bild: Gibt wirklich schlechtere Orte, um den Tag ausklingen zu lassen! Während wir es uns im und rund um das Bivacco Suringar (2430 m.) gemütlich machen und die Steinböcke beobachten, wird mir wieder einmal bewusst, was für ein unglaubliches Privileg es ist, spontan zwischen zwei regulären Arbeitswochen ein solches Bergabenteuer gemeinsam mit einem guten Freund erleben zu dürfen. Sich einfach aufmachen, eine neue Ecke der Alpen kennenlernen und dabei Infrastruktur wie einen Klettersteig (Via Amalia) oder eben eine altehrwürdige Biwakschachtel nutzen: Das ist alles nicht selbstverständlich und es ist wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, wie gut es mir (uns) diesbezüglich geht]


[Bild: Ausblick vom Bivacco Suringar (2430 m.) über den Himmelsleiter-artigen Cresta delle Lancie, welcher im wildromantisch-einsamen Jôf di Miez (1974 m.) kulminiert, in Richtung der bewaldeten Weiten des Val Dogna. Im Hintergrund grüßen die dunstigen Weiten der Friauler Dolomiten herüber, die mir so wunderbar fremd, so gänzlich unbekannt sind. Eines Tages werde ich auch dieses herrlich ursprüngliche Gebiet zwischen („großen“) Dolomiten und Julischen Alpen erkunden, gilt der weite Landstrich zwischen Cadore und Tagliamento (= italienischer Teil der Karnischen Alpen) doch als Prototyp des bergsteigerischen Geheimtipps]


[Bild: Vom nördlichen Endpunkt des Cresta dei Draghi (dem sogenannten III. Torre) fällt das Bergmassiv des Jôf di Montasio steil zum Jôf Moz (2031 m.) ab, welcher das einsame Val Rotta nach Süden hin abschirmt. Abgesehen von Via Amalia bzw. Findeneggweg und Via di Dogna handelt es sich bei den Westabstürzen des Jôf di Montasio in der Regel um so gut wie nie betretenes Niemandsland, in dem sich Steinbock und Alpendohle gute Nacht sagen. Wie oft wohl schon jemand die das Val Rotta einrahmenden Felsspitzen namens Torre Carnizza, II. Torre oder eben Jôf Moz bestiegen hat...?]


[Bild: Nie zuvor in meinem gesamten Bergsteigerleben habe ich so viele und vor allem so neugierige Steinböcke getroffen, wie hier rund um das Bivacco Suringar in der Westwand des Jôf di Montasio! Entgegen unserer allgemeinen Erwartungen werden wir (allem Anschein nach) die einzigen Bergsteiger sein, die am heutigen Tag in der Biwakschachtel übernachten (worüber ich mich definitiv nicht beschwere). Einsam sind wir aufgrund unserer sehr besonderen tierischen Gefährten jedoch keineswegs: Wo sich wohl die ganzen (ausgewachsenen) männlichen Steinböcke herumtreiben?]


[Bild: Posieren vor dem gewaltigen Kanin-Massiv: Das kann diese Geiß auf jeden Fall sehr gut! Kaum zu glauben, dass all diese Steinböcke in dieser vermeintlich so kargen Hochgebirgswelt genug zu fressen und v. a. zu trinken finden. Aber es sind nun einmal echte Überlebenskünstler, perfekt angepasst an ein Leben oberhalb der Baumgrenze. Hin und wieder einmal im Freien biwakieren, ist ja das eine. Aber permanent zu jeder Zeit (selbst im Winter bei deutlich zweistelligen Minusgraden, bei Sturm und hoher Lawinengefährdung) in dieser für den Menschen mitunter so abweisenden Welt leben, exponiert und ungeschützt: Für uns wäre das der sichere Tod. Letztlich ist der Mensch hier nur zu Gast und so sollte er sich auch entsprechend verhalten]


[Bild: Der Große Kanin (2587 m.), welcher (im Italienischen) auch Monte Canin bzw. (im Slowenischen) Visoki Kanin genannt wird, gehört zu den 10 größten Bergen der Julischen Alpen und ist ein gewaltiges Felsmassiv, von dem man (an richtig klaren Tagen) sogar die Adria ausmachen kann. Zahlreiche Routen, darunter auch ein paar anspruchsvolle Klettersteige, führen auf den höchsten Punkt (rechts außen erkennbar) des Kanin, welcher auf der anderen Seite von einem riesigen Karstplateau charakterisiert wird. Während sowohl Jôf di Montasio als auch Jôf Fuart sich vollständig auf italienischem Grund und Boden befinden, ist der Kanin ein echter Grenzberg, verläuft doch die italienisch-slowenische Staatsgrenze direkt über den langgestreckten Gebirgskamm. Auf den Großen Kanin würde ich eines Tages ja wirklich sehr gerne einmal steigen, wären die Wege bis in das Friaul (aus bayerischer Perspektive) nur nicht so weit...]


[Bild: Kleiner Mensch vor großer Bergkulisse: Im Angesicht des gewaltigen Kanin-Massivs fühlt man sich plötzlich am Rande der Bedeutungslosigkeit. Auch wenn es vermeintlich so wirkt, als wäre der Kanin nur einen Katzensprung entfernt, muss man bei einem etwaigen Übergang vom Jôf di Montasio doch ziemlich tief absteigen, befindet sich das Val Raccolana zwischen den beiden Bergmassiven im Schnitt doch nur auf 500-700 mH und erreicht erst im Passbereich von Sella Nevea Höhen oberhalb der 1200 Metermarke. Die Höhenunterschiede, sie sind in den Julischen Alpen mitunter sehr, sehr groß]


[Bild: Abendstimmung beim Bivacco Suringar (2430 m.) mit Blick zum eindrucksvollen Monte Cimone (2379 m.) - Wohl nur wenige Biwakschachteln bieten eine so perfekte, absolut hindernislose Sicht in Richtung Sonnenauf- bzw. (wie in diesem Fall) Sonnenuntergang. Leider ist es heute im Westen recht diesig, so dass wir nicht von einer glühenden Scheibe verabschiedet werden. Dafür erleben wir ein sanftes, fast schon melancholisches Verblassen, bei dem sich die Schatten Stück für Stück die umliegenden Bergflanken nach oben bewegen und der Friaul langsam aber sicher in friedlicher Dunkelheit versinkt. Wie die Steinböcke wohl über den Sonnenuntergang denken...?]


[Bild: Atemberaubender, sonnenuntergangsbedingt etwas diesiger Tiefblick vom innerhalb der Jôf di Montasio Westwand gelegenen Bivacco Suringar (2430 m.) über die Clapadorischlucht und den kühnen Jôf di Miez (1974 m.) in Richtung Val Dogna - Solche Momente sind für mich die Essenz des Bergsteigens: Es sich fernab der Zivilisation in einer entlegenen Schutzhütte oder Biwakschachtel gemütlich machen, die umliegende Bergwelt genießen, Tiere (sofern vorhanden) beobachten, den Wind und die letzten Sonnenstrahlen auf der Haut spüren und einfach mit sich selbst im Reinen sein - Was kann es bitte Schöneres im Leben geben?]


[Bild: Großer Kanin (2587 m.) im letzten Licht des Tages - Über den Grat rechts im Profil führt die großartige Klettersteig-Höhenroute Alta Via Resiana bzw. Via Ferrata Rosalba Grasselli (C / K3), welche direkt am höchsten Punkt des Kanin-Massivs endet. Von dort ergeben sich dann zahlreiche weitere lohnende Fortsetzungsoptionen, wie z. B. die gesamte Gratüberschreitung bis zum Bivacco Franco Costantini nach Süden hin oder die Durchquerung des Karstplateaus mit Ziel Peter-Skalar-Hütte (auch Dom Petra Skalarja na Kaninu bzw. Kaninhütte genannt): Die Möglichkeiten für mehrtägige Bergabenteuer, sie sind hier praktisch grenzenlos]


[Bild: Auch wenn die Lage unserer Biwakschachtel wohl kaum exponierter sein könnte und sie sich diesbezüglich durchaus mit den berühmten Unterkünften in der Mont-Blanc-Gruppe bzw. dem Wallis messen kann (auch wenn die Zugänge dort mitunter natürlich noch einmal eine ganz andere Hausnummer sind), wurde das Bivacco Suringar (2430 m.) an einem durchaus sehr sicheren und cleveren Ort platziert, ist es aufgrund des überhängenden Wulstes doch praktisch absolut sicher vor Steinschlag und Lawinen. Zwar muss man sich mitunter etwas vorsichtig und unelegant daran vorbeischieben (vor allem dann, wenn wie in unserem Fall Steinböcke teilweise nur 2-3 Meter entfernt am Abgrund stehen), doch trägt das ganz entscheidend dazu bei, sich hier (zumindest ein bisschen) wie ein echter Alpinist in einer großen Felswand zu fühlen: Was für ein wilder, cooler Ort!]


[Bild: Ob es mich wohl jemals in das Val Dogna verschlagen wird? Angesichts des Ausmaßes meiner bergsteigerischen Wunschliste sowie des Bedarfes nach geographischer Abwechslung ist das kurz- bis mittelfristig wohl eher unwahrscheinlich, wobei es mich ja durchaus schon reizen würde, diesen Ort irgendwann in Form der Via di Dogna noch einmal aufzusuchen. Dass der Friaul in jedem Fall eine ganz besondere, wildromantische Atmosphäre hat, steht für mich nach dem heutigen Tag außer Frage. Es gibt Gebirgsgruppen, die haben einfach Flair und Charakter. Und es gibt Gebirgsgruppen, um welche ich seit Beginn meiner Bergsteigerkarriere bewusst einen Bogen mache. Diese wilde Welt am Westrand der Julischen Alpen gehört definitiv zu ersterem und ich bin sehr glücklich, sie zu Beginn meiner 30er Jahre endlich für mich entdeckt zu haben]


Nicht mehr lange, dann werden wir uns in die gemütliche Enge des Bivacco Suringar (2430 m.) zurückziehen und auf einen wettertechnisch möglichst stabilen nächsten Tag hoffen. Zwar soll es morgen bis ca. Mittag sehr sonnig werden, doch sind Gewitter ab dem mittleren Nachmittag wohl nicht völlig ausgeschlossen, was angesichts unseres geplanten und v. a. extrem eisenlastigen Mammutprogrammes durchaus wichtig ist. Deshalb werden wir morgen früh (= im Morgengrauen) starten und das Bivacco Dario Mazzeni (zumindest aber die Forcella Lavinal dell'Orso) hoffentlich erreichen, bevor es ggf. anfängt „zu grummeln“. Und sollten alle Stricke reißen, gibt es immer noch das luxuriöse Bivacco Luca Vuerich auf dem Foronon del Buinz (2531 m.) nach etwa 2/3 der Strecke als sprichwörtliche Not-Option. Erst einmal wird es morgen früh aber via Findeneggweg auf den Jôf di Montasio gehen. Ich bin schon unglaublich gespannt, soll der Anstieg doch durchaus anspruchsvoll (Stellen II, mit schwerem Rucksack gefühlt auch schwieriger) sein]


[Bild: Am nächsten Morgen am Beginn des Findeneggweges (im Italienischen auch „Canalone Findenegg“ genannt, wobei es hierbei v. a. um das Kernstück der Route geht), welcher schon nach wenigen Metern vom Großen Band (dem „Grande Cengia“) in der Nähe der Biwakschachtel abzweigt. Stets den blassen, teilweise nur schlecht erkennbaren Markierungen folgend, geht es zunächst im leichten Felsgelände (teilweise I, meist Gehgelände) über Platten und Wandstufen bergauf]


[Bild: Je weiter wir dem gutgriffigen Findeneggweg nach oben folgen, desto steiler und anspruchsvoller wird das Felsterrain (mittlerweile anhaltend I). Noch befinden wir uns hier nicht in der berühmten Findeneggschlucht (der eigentlichen „Canalone“), durch die es dann in ziemlich direkter Linie aufwärts zum oberen Westgrat des Jôf di Montasio gehen wird. Zwar kommen nie wirklich Zweifel an der Korrektheit der Route auf, allerdings muss man ob der verwaschenen Markierungen doch immer wieder genau schauen, wo es weitergeht]


[Bild: Unterwegs in der „Canalone Findenegg“ (der Findeneggschlucht), welche den mit Abstand anspruchsvollsten Abschnitt der Route darstellt. In meist ziemlich gerader Linie geht es in mäßig schwieriger Kletterei (mehrere steile Stellen II / II+) bergauf, wobei wir uns an 2-3 Stellen aufgrund unserer nach wie vor extrem schweren Rucksäcke sehr plagen. Der Fels ist zwar relativ fest und gutgriffig, allerdings liegt in der Schlucht sehr viel loses Geröll herum, so dass die Steinschlaggefahr teilweise ziemlich groß ist! Hier gehört der Kletterhelm definitiv auf den Kopf und nicht an den Rucksack. Da die schwierigsten Kletterpassagen mitunter durchaus knackig, abschüssig und kurzzeitig abdrängend sind, sollte man hier schon wissen, was man tut. Die Canalone Findenegg ist trotz der Markierungen ernst und sollte nur mit entsprechender Klettererfahrung begangen werden]


[Bild: Im oberen Bereich der Findeneggschlucht ist man mit anhaltend steiler Kletterei (durchgehend I-II, Stellen II bis II+) konfrontiert. Zwar ist der obere Jôf di Montaso W-Grat nun nicht mehr weit weg, doch gerade jetzt (wenn die Gipfelglocke bereits zum Läuten nah erscheint) muss man sich noch einmal ganz besonders konzentrieren. Würden unsere unangenehm schweren Rucksäcke uns nicht so sehr nach unten ziehen, wir würden diese landschaftlich absolut fantastische Aufstiegslinie sicher wohl mehr genießen. So aber ist es ein Stück weit (v. a. für mich) ein Kampf, doch die Aussicht auf gleißendes Morgenlicht am Gipfel setzt (mal wieder) ungeahnte Energie- und Motivationsreserven frei...]


[Bild: Schlussanstieg zum Gipfel des Jôf di Montasio: Nun ist der zweithöchste Gipfel der gesamten Julischen Alpen nur mehr einen kurzen, unschwierigen „Gratspaziergang“ entfernt. Hier, auf dem obersten Westgrat zwischen Hauptgipfel und Forca Rossa, hat man alle größeren klettertechnischen Schwierigkeiten des Findeneggweges hinter sich. Bis es beim Abstieg in Form der steilen Leitern der Via Ferrata Scala-Pipan wieder ernst wird, ist jetzt erst einmal vor allem eines angesagt: Schauen und genießen. Wir haben es uns wahrlich hart erarbeitet]


[Bild: Ausblick vom Jôf di Montasio (2754 m.) über den langgezogenen Bergkamm des Monte Cimone in Richtung Südwesten. Während der Cimone nach Norden hin in steilen Felswänden abbricht, zeigt er auf der Südseite (links) ein deutlich sanfteres Erscheinungsbild. Weite, offene Grasflanken ziehen aus dem Gebiet der Malga Montasio bis zur Kammhöhe von Curtissons und Monte Zabus empor und ermöglichen so eine vergleichsweise unkomplizierte Annäherung an das Bergmassiv. Im harten Gegensatz dazu steht der Jôf di Montasio, der nach wirklich allen Seiten hin in wilden, enorm steilen Felsflanken und -wänden abbricht. Gäbe es nicht die Drahtseile und Leitern der Via Ferrata Scala-Pipan, der Findeneggweg wäre wohl die einfachste Route auf den zweithöchsten Berg der Julischen Alpen, was die Anzahl der Montasio-Aspiranten sicherlich deutlich (!) reduzieren würde]


[Bild: Noch wirft der Jôf di Montasio einen riesigen Schatten in die Clapadorieschlucht bzw. in das Val Dogna, wodurch die gewaltigen Ausmaßes des Berges deutlich werden. Rechts zeigt sich der obere W-Grat, welcher nach erfolgreichem Ausstieg aus der Findeneggschlucht den Übergang zum höchsten Punkt vermittelt. Zu so früher Stunde sind wir natürlich noch die einzigen Bergsteiger auf dem plateauartigen Gipfel, weshalb wir das grandiose Panorama des zweithöchsten Gipfels der Julischen Alpen in Ruhe auf uns wirken lassen können]


[Bild: Morgendlicher Tiefblick vom Jôf di Montasio (2754 m.) zu den weiten Wiesenflächen der Altopiano del Montasio (= Montasio-Hochebene), wo die meisten Ferratisti (die sich für die Scala-Pipan interessieren) ihr Auto im Bereich der Malga Montasio abstellen. Dahinter bricht die Hochebene noch einmal gut 700 Hm zum tief eingeschnittenen Raccolanatal zwischen Montasio und Kanin-Massiv ab, so dass ein Übergang nach Slowenien von hier aus ein mehr als nur tagesfüllendes Unterfangen ist]


[Bild: Spektakulärer Tiefblick vom Jôf di Montasio (2754 m.) über die Untiefen der Nordwand in Richtung Val Saisera. Rechts außen, gut 1800 Hm niedriger, kann man sogar den Parkplatz bei der Malga Saisera erkennen, wo wir vor weniger als 24 h unser Auto abgestellt haben. Indes überragt der Jôf seine Umgebung so gewaltig, dass es z. B. nach Norden hin über 50 km braucht, bis in Form der Kreuzeckgruppe wieder höhere Berge erreicht werden (der insgesamt nächsthöhere Berg ist natürlich der Triglav in ca. 31,5 km Distanz). Zwar ist das Wetter etwas dunstig-diesig, doch trägt das viel zur mystischen, irgendwie ganz besonderen Atmosphäre bei, die wir hier auf dem zweithöchsten Gipfel der Julischen Alpen erleben dürfen]


[Bild: Atemberaubende Morgenstimmung auf dem Jôf di Montasio (2754 m.) am Westrand der Julischen Alpen - Nur der titanenartige Buckel namens Jôf Fuart (2666 m.) kann einigermaßen mit dem Montasio mithalten, ansonsten müssen alle Berge im Umkreis von über 30 km deutlich zurücktreten. Links unten in der Tiefe zeigt sich der mächtige Schuttstrom des Torrente Saisera, von welchem wir noch vor etwa 24 h zum Gipfel emporgeschaut haben. Wie unendlich weit weg (zeitlich wie räumlich) sich das doch anfühlt...]


[Bild: Gipfelglück auf dem Jôf di Montasio (2754 m.) im westlichen Bereich der Julischen Alpen an der Schnittstelle zu den Friauler Dolomiten - Lange waren diese „exotisch“ anmutenden, fernen Berge jenseits der Zentralalpen für mich nur Namen in einem Buch. Wollte ich Kalkgestein oder gar Dolomit unter den Fingern spüren, so ging es naheliegenderweise in die Berchtesgadener bzw. Allgäuer Alpen oder eben die Dolomiten. Doch nun ist gewissermaßen der „Bann gebrochen“ und der bergsteigerische Horizont erweitert. Opulente Touren wie diese (Findeneggweg in Kombination mit der Via Amalia und einer Biwakübernachtung) sind für mich im Grunde das Non plus ultra des klassischen, südalpinen Bergsteigens und ich hoffe, dass dies nur die erste von hoffentlich vielen Unternehmungen zwischen Cadore und Soča gewesen sein wird]


[Bild: Ausblick vom Jôf di Montasio (2754 m.) über etwa 2/3 des weiteren Streckenverlaufs: Zunächst werden wir vom Jôf etwa 350 Hm über die Via Ferrata Scala-Pipan absteigen und anschließend in Form des Sentiero Leva die Cima Verde di Montasio, den Modeon del Montasio und die Cima di Terrarossa passieren (all diese schönen Spitzen zeigen sich mittig im Bild). Anschließend wird es auf dem Sentiero Ceria Merlone via Forca de lis Sieris zum Foronon del Buinz (mit der dortigen Biwackschachtel Bivacco Luca Vuerich) gehen. Letztgenannter Gipfel ist rechts im Hintergrund neben dem Modeon del Buinz (dem höchsten Punkt) erkennbar. Es ist also noch ein wirklich sehr weiter Weg, zumal wir ab dem Foronon noch ca. 1/3 der Wegstrecke bis zum Bivacco Dario Mazzeni (darunter den vogelwilden Westabstieg von der Forcella Lavinal dell'Orso) vor uns haben. Allzu lange sollten wir uns daher auf dem Gipfel nicht aufhalten, zumal Wärmegewitter ab dem mittleren Nachmittag nicht völlig ausgeschlossen sind]


[Bild: Abstieg vom Gipfel des Jôf di Montasio zur Via Ferrata Scala-Pipan, welche in ihrem oberen Abschnitt erst einmal direkt über den vermeintlich scharfen, letztlich aber vollkommen entspannten Grat zwischen Cima Verde del Montasio (mittig hinten) und Hauptgipfel führt. Teilweise sind unterwegs noch Konstruktionen bzw. Holzrelikte aus Zeiten des 1. Weltkrieges zu erkennen, welche aber natürlich nur „Dekoration“ sind. Erst kurz vor der Cima Verde (2663 m.) wird man im Bereich der Forca Verde den Grat rechterhand verlassen und drahtseilversichert über eine sehr steile Wandstufe absteigen (B/C), wobei das Kernstück der Via Ferrata eine äußerst lange, freihängende Leiter ist. Wer sich diese Schlüsselpassage der Scala-Pipan nicht zutraut, kann sie über die Forca Verde umgehen. In jedem Fall ist die Steinschlaggefahr stellenweise sehr hoch, weswegen man v. a. bei viel Verkehr (und das ist hier bei schönem Wetter ab dem mittleren Vormittag meist der Fall) sehr vorsichtig sein sollte]


[Bild: Beim Abstieg vom Jôf di Montasio zum Sentiero Leva - Die eigentliche Via Ferrata Scala-Pipan mit ihrer langen, freihängenden Leiter liegt hier zwar bereits hinter uns, doch erfordert das etwas abschüssige, steinschlaggefährdete Terrain weiterhin große Umsicht. Während wir die Schutthänge unterhalb der Cima Verde del Montasio immer weiter absteigen, kommen uns zahlreiche Wanderer mit KS-Set entgegen. Es ist offensichtlich, dass sie vom Parkplatz südöstlich der Malga Montasio gestartet sind und den Jôf als Tagestour angehen. Da es (in meinen Augen) zudem nur wenig Sinn ergibt, die Scala-Pipan im Auf- und den Findeneggweg im Abstieg zu begehen, werden sie mutmaßlich alle auch wieder auf der selben Route herunterkommen. Speziell in Kombination mit der Via Amalia und dem Bivacco Suringar ist mir unsere mehrtägige Herangehensweise da deutlich lieber]


[Bild: Der in Summe mit dem Schwierigkeitsgrad C bewertete Sentiero Leva ist der Verbindungssteig zwischen dem Jôf di Montasio (Gebiet der Via Ferrata Scala-Pipan) und der Cima di Terrarossa. Von der Wegabzweigung südwestlich der Cima Verde del Montasio geht es zunächst auf gerölligen Pfadspuren in die gebänderten Felsflanken des Modeon del Montasio (Vorsicht wegen Steinschlag!) - Wie kühn und v. a. geschickt diese versicherte Höhenroute angelegt wurde, wird sehr bald deutlich werden]


[Bild: Unterwegs auf dem landschaftlich großartigen Sentiero Leva, welcher sich auf äußerst elegante Art und Weise die Schichtungen und Felsbänder der Südwand des Modeon del Montasio zunutze macht. Meist nicht allzu ausgesetzt und an den entscheidenden Stellen hervorragend versichert, handelt es sich über weite Strecken um Gehgelände (erst beim Abstieg in die Forca del Palone unterhalb der Cima di Terrarossa wird der Sentiero Leva mit einigen sehr steilen KS-Passagen bis zum Grad C seine Zähne zeigen). Dennoch sollte man auf dieser Route natürlich absolut trittsicher und v. a. schwindelfrei sein. Schon viele Wanderer, die nach der (technisch einfachen) Besteigung der Cima di Terrarossa spontan ihre Tour über den Sentiero Leva fortgesetzt haben, haben sich an diesem Höhenweg gehörig die Finger verbrannt]


[Bild: Gewaltige Impressionen in der Südwand des Modeon del Montasio! Zwar sieht diese Bänderquerung des Sentiero Leva ganz besonders wild und anspruchsvoll aus, tatsächlich ist es jedoch vor allem die permanente Steinschlaggefahr (mitunter noch deutlich potenziert durch die zahlreich vorhandenen Steinböcke!), die einen hier zügiger gehen lässt, als es normalerweise vielleicht der Fall wäre. In unserem Fall lösen oberhalb befindliche Steinböcke tatsächlich mehrmals Steinschlag aus, welcher ungebremst die steilen Felswände herunterdonnert und uns einmal sogar nur um wenige Meter verfehlt (aus diesem Grund nutzen wir hier auch konsequent die Selbstsicherung bestehend aus Bandschlinge und Karabiner). Auch wenn es verlockend erscheint, auf diesem (sehr fotogenen) Felsband etwas länger zu verweilen, sollte man diesen Abschnitt des Sentiero Leva sinnvollerweise möglichst schnell passieren]


[Bild: Entspanntes Gehgelände auf dem Sentiero Leva, bevor es gleich beim sehr steilen Abstieg in die (bereits sichtbare) Forca del Palone (2250 m.) wieder kurzzeitig ernst wird. Rechts präsentiert sich die stolze Cima di Terrarossa (2420 m.), welche über die begrünte Südflanke (im Profil) auf einem angelegten Zick-Zack-Weg unschwierig bestiegen werden kann. Ausgangspunkt für die beliebte Wanderung ist entweder der Parkplatz im Bereich der Malga Montasio oder das idyllisch gelegene Rifugio Giacomo di Brazzà. Zwar wären es von der Webabzweigung für uns nur etwa 100 Hm extra bergauf, aufgrund unseres strammen Tagesprogrammes und vor dem Hintergrund möglicher Gewitter ab dem Nachmittag werden wir diesen (durchaus lohnenden) Gipfel jedoch aus taktischen Gründen auslassen]


[Bild: Kaum zu glauben, dass durch diese extrem steilen Felsflanken ein relativ moderater, natürlich nur dank der Versicherungen für den Otto-Normalbergsteiger begehbarer Höhenweg führt! An diesem Punkt haben wir die größten Schwierigkeiten des Sentiero Leva bereits hinter uns (Schlüsselpassage ist die sehr steile Wandstufe rechts im Bild, die kurzzeitig den Schwierigkeitsgrad C erreicht und relativ exponiert ist), so dass wir unsere Aufmerksamkeit nun auf den letzten (und mit Abstand längsten) klettersteigartigen Höhenweg des Tages richten können: den Sentiero Ceria Merlone]


[Bild: Nach den steilen, durchaus kraftraubenden Klettersteigpassagen rund um die Forca del Palone sind wir ganz glücklich und dankbar, dass der Sentiero Ceria Merlone zu Beginn erst einmal wunderbar entspannt und eben quer über die begrünten Felsflanken der Cima Gambon dahin führt. Generell handelt es sich bei dem Abschnitt zwischen Forca di Terra Rossa und Forca de lis Sieris um den Inbegriff einer aussichtsreichen Panorama-Höhenroute, bei der man ob des Fehlens größerer technischer Schwierigkeiten sehr schnell Strecke macht. Zwar ist das Wetter nach wie vor stabil und sonnig, doch das kann sich im Friaul bzw. den Julischen Alpen, die aufgrund der Nähe zu Poebene und Adria besonders gewitteranfällig sind, schnell ändern]


[Bild: Ausblick von der Forca de lis Sieris (2274 m.) zum Jôf Fuart (2666 m.) - Auch wenn ich in meinem Bergsteigerleben ja schon einige imposante Kalkstein- und v. a. Dolomitgiganten gesehen habe, haben mich doch wenige Berge so beeindruckt wie der auch Wischberg genannte fünfthöchste Berg der Julischen Alpen. Der Jôf Fuart ist ein Koloss von Berg und bräuchte sich auch in den Dolomiten definitiv nicht zu verstecken (irgendwie erinnert er mich angesichts seiner Wucht ein bisschen an den Pelmo). Speziell seine himmelhohen Felswände über dem oberen Val Saisera (auch „Spragna“ genannt) sind wirklich atemberaubend und mit bis zu 1300 mH auch ein ebenbürtiger Konkurrent für den Jôf di Montasio! Es ist ein Jammer, dass der Fuart im Rahmen dieser dreitägigen Tour wetterbedingt nicht drin ist, aber es steht für mich außer Frage, dass ich mir diesen tollen Berg mittelfristig definitiv einmal vornehmen werde]


[Bild: Ausblick von der Forca de lis Sieris (2274 m.) zu den Ausläufern des Foronon del Buinz - Vom oberen Ende der mittigen Geröllreiße führt der Sentiero Ceria Merlone rechterhand in die Felsen und anschließend mit Hilfe von Drahtseilen (max. B/C) durch ein Geflecht aus Rinnen, Wandstufen und Kaminen etwa 150 Hm unterhaltsam bergauf. Das nächste wichtige Etappenziel, das Bivacco Luca Vuerich, ist nun nicht mehr weit weg. Zwar kommt mittlerweile auch die Quellwolkenbildung so langsam aber sicher in Gang, doch noch scheint kein unmittelbarer Wetterumschwung bevorzustehen. Dennoch beobachten wir eine große, seltsam düstere Wolke über unseren Köpfen mit gewissem Argwohn, während wir dem Gipfel des Foronon entgegensteigen]


[Bild: Ausblick vom Foronon del Buinz (2531 m.) zum Jôf Fuart (2666 m.) und seinen beiden Trabanten Monte Nabois Grande (2301 m.) und Cima Castrein (2499 m.) - Wer genau hinschaut, kann unten inmitten des bewaldeten Buckels unser ersehntes Tagesziel (das Bivacco Dario Mazzeni) erkennen: es ist also noch ein weiter Weg! Denn um das Biwak zu erreichen, gilt es zunächst einmal die rechts ersichtliche Forcella Lavinal dell'Orso (2123 m.) zu erreichen. Doch was dann folgen wird, lässt uns an diesem Punkt erst einmal erschaudern und zugleich die Nase rümpfen. Der Abstieg von der Scharte durch den fürchterlich steil aussehenden Gerölltrichter auf die weiten Schutthänge unterhalb (Alta Spragna) schaut so übel, so gruselig aus, dass wir uns schon auf das Schlimmste gefasst machen. Es wird also mutmaßlich nichts mit einem entspannten Ausklang (= Abfahren im Geröll), wenn wir den Sentiero Ceria Merlone bewältigt haben]


[Bild: Etwas betrübt, dass wir den Tag nicht in dem Luxus-Biwak Luca Vuerich ausklingen lassen können, setzen wir nach nur kurzer Pause auf dem Foronon del Buinz den Gang über den Sentiero Ceria Merlone fort. Da der morgige Tag wettertechnisch mit Abstand am instabilsten sein soll und wir es nicht riskieren wollen, bei akuter Unwetter- bzw. Gewittergefahr auf einem vergleichsweise entlegenen Gipfel (den man nur über Klettersteige erreichen kann...) festzusitzen (noch dazu mit der herrlichen Aussicht, von der mutmaßlich extrem gruseligen Forcella Lavinal dell'Orso absteigen zu müssen), mobilisieren wir unsere Energie- und v. a. Motivationsreserven und folgen dem Sentiero via Sella Buinz um den Modeon del Buinz (2554 m.) herum. Wie sagte ein großer „Philosoph“ einst: Weiter, immer weiter!]


[Bild: Egal von welcher Seite, der Jôf Fuart (2666 m.) wirkt einfach stets unnahbar und unzugänglich! Und von dieser Seite aus stimmt das ja auch, haben Nicht-Kletterer in diesen gewaltigen Felswänden doch absolut nichts verloren. Doch gibt es (wie so oft bei solchen Gipfeln) 1-2 Schwachstellen bzw. „Schlupflöcher“, in diesem Fall auf der Ostseite des Berges, welche auch dem trittsicheren und schwindelfreien Bergsteiger ein Gipfelerlebnis ermöglichen. Während der technisch moderate Sentiero (Anita) Goitan den beliebten Normalweg (max. B/C) darstellt, ist die berüchtigte Nordostschlucht Gola Nord Est (C/D und Kletterei II) eine Nummer schärfer. Wer letztere im Aufstieg (z. B. mit Zustieg via Sentiero Carlo Chersi) und den Sentiero Goitan im Abstieg begeht, hat sich in Summe wohl eine der größzügigsten, landschaftlich eindrucksvollsten Bergtouren der Julischen Alpen ausgewählt]


[Bild: Unterwegs auf dem Sentiero Ceria Merlone, welcher sich (wie der Sentiero Leva) geschickt die weit verbreiteten gebänderten Felsstrukturen der Montasio-Gruppe zunutze macht. Speziell wenn es einfach nur eben dahin geht und das Gelände nicht von ausbremsenden Auf-und-Ab-Passagen unterbrochen wird, machen wir auf diesem landschaftlich wunderschönen Höhenweg sehr schnell Strecke, was angesichts der mittlerweile fortgeschrittenen Tageszeit und dem „Damoklesschwert“ namens Wetterumschwung mehr als willkommen ist]


[Bild: Stand der gestrige Tag noch ganz im Zeichen riesiger Herden bestehend aus Geißen und Kitzen, sind es heute primär die männlichen Steinböcke, welche uns auf dem Sentiero Leva bzw. Sentiero Ceria Merlone begleiten. Im Gegensatz zu ihren weiblichen / jüngeren Artgenossen liegen die männlichen Steinböcke fast ausschließlich nur herum, was natürlich der Verringerung von Steinschlaggefahr durchaus zuträglich ist. Nichtsdestotrotz passieren wir Stellen wie diese hier tendenziell etwas schneller: Man weiß ja nie...]


[Bild: Männliche Alpensteinböcke können über 100 kg schwer und die Hörner über 1 m lang werden! Auch wenn es sich prinzipiell um friedliche Tiere handelt, sollte man ihnen doch mit gehörigem Respekt begegnen und ihnen nicht zu nah kommen. Während die alten, besonders kolossalen Steinböcke meist alleine leben, verbringen junge und mittelalte Steinböcke ihr Leben häufig in sogenannten Junggesellenherden, nur um dann zur Fortpflanzungszeit im Dezember/Januar Kämpfe miteinander auszutragen. Wer aus diesen mitunter ziemlich brutalen Kämpfen siegreich hervorgeht, gewinnt einen Geißen-Harem für sich, mit dem er dann den Winter verbringt. Im Frühling, wenn sich langsam aber sicher die Geburt der Kitze anbahnt, verlässt der dominante Steinbock die Geißen dann wieder - Und das Spiel beginnt einige Monate später wieder von vorne]


[Bild: Rückblick zum Modeon del Buinz (2554 m.), welchen man (leider) nicht überschreitet, sondern etwas südlich unterhalb des Gipfels umgeht. Der anschließende Abstieg in die Forca de la Val (2360 m.) gehört zu den anspruchsvolleren Passagen des Sentiero Ceria Merlone und verlangt noch einmal kräftiges Zupacken! Die nun folgende, weiträumige Umgehung von Cima della Puartate und Punta Plagnis läutet den letzten Abschnitt des Höhenweges ein, bevor es via Forcella del Cregnedul (2337 m.) in einem Bogen zur Forcella Lavinal dell'Orso gehen wird]


[Bild: Beim Übergang auf die Nordseite der Punta Plagnis (via Forcella del Cregnedul) ergeben sich neue, überraschende Perspektiven und Ausblicke in die Südflanke der Cima Castrein (2499 m.), welcher auf der anderen Seite (nach Westen und Norden hin) in deutlich wilderen Felswänden abbricht. Wer genau hinschaut, kann links oben in den grasbewachsenen Schrofenhängen den quer verlaufenden Sentiero (Anita) Goitan erkennen, welchem man von der Forcella Lavinal dell'Orso bis zum Jôf Fuart folgen kann]


[Bild: Was für ein Höllenschlund! Beim Abstieg vom Sentiero Ceria Merlone, welcher auf den letzten Metern östlich unterhalb der Cima della Puartate noch einmal kurzzeitig recht anspruchsvoll wird (B/C und etwas ausgesetzte Kraxelei I-II), zeigt die nahe Forcella Lavinal dell'Orso (2123 m.) schon von weitem unmissverständlich, dass wir noch lange nicht in den Autopilotmodus schalten können! Ich bin schon sehr gespannt, wie der Tiefblick von der Scharte nach Westen hin aussehen wird, hat die vor uns liegende, rinnenartige Geröllreiße vom Foronon del Buinz doch vogelwild und unendlich steil ausgesehen...]


[Bild: Abstieg von der Forcella Lavinal dell'Orso nach Westen - Die zwischen Cima della Puartate und Cima Castrein eingezwängte, trichterartige Schuttrinne ist in der Tat sehr steil und so strukturiert, dass ein Abfahren im Geröll nicht möglich ist. Gleichzeitig ist die Steinschlaggefahr exorbitant hoch, so dass man hier (wenn man nicht alleine unterwegs ist) unbedingt nah beieinander bleiben sollte. Objektiv ist diese wilde Schuttreiße also durchaus gefährlich und sollte daher nicht leichtsinnig angegangen werden. Gleichzeitig sind wir ironischerweise etwas erleichtert, hat die Rinne vom Foronon del Buinz doch sogar noch ein gutes Stück übler ausgesehen: Alles offenbar eine Frage des Erwartungsmanagements]


[Bild: Sieht ekelhaft aus und ist es auch! Zwar wühlen und „mogeln“ wir uns (unter massivem Einsatz der Teleskopstöcke) Stück für Stück die steile Geröllrinne unterhalb der Forcella Lavinal dell'Orso nach unten, doch machen wir nur sehr langsam Strecke. Besonders der oberste Abschnitt unmittelbar unterhalb der Scharte erfordert den absolut trittsicheren und mit solchem Gelände vertrauten Bergsteiger, der auch bereit ist, sich geländetechnisch einmal zu „quälen“. In so einer üblen Schuttrinne wird man keinen Schönheitspreis gewinnen. Hier gilt es, sich vorsichtig von Etappenpunkt zu Etappenpunkt (in unserem Fall kleine „Felsinseln“ im splitterbrüchigen Geröll, um kurz einmal zu verschnaufen) vorzuarbeiten und kleine Erfolge wie z. B. die Tatsache, dass die Rinne nach unten hin langsam aber sicher etwas flacher wird, zu feiern. Da wir letztlich aber schon einige vergleichbare Rinnen in v. a. den Nördlichen Kalkalpen erlebt haben, schockt uns dieses Gelände nur bedingt. Viel steiler dürfte es zwar nicht unbedingt sein. Aber mit der Aussicht, relativ bald vor dem Bivacco Dario Mazzeni die Füße hochlegen zu können, geht es (einen gewissen Stoizismus vorausgesetzt) vergleichsweise „gut“ bergab]


[Bild: Blick zurück zur Forcella Lavinal dell'Orso und der steilen Geröllrinne, welche zwischen den begrenzenden Felswänden von Cima della Puartate und Cima Castrein von ihr herabzieht. Abgesehen von der Via Amalia und dem Sentiero Carlo Chersi (nur in Verbindung mit der Gola Nord Est auf den Jôf Fuart) ist dieser abweisende Schutttrichter die einzige einigermaßen sinnvolle Möglichkeit, um (aus dem hinteren Val Saisera kommend) die Montasio-Gruppe nach Süden hin zu überschreiten. Allzu oft und v. a. gerne wird diese haarsträubende Route jedoch nicht gewählt. Insbesondere im Aufstieg müsste man schon sehr masochistisch veranlagt sein, um sich hier freiwillig heraufzuwühlen]


[Bild: Auch wenn wir an diesem Punkt bereits aus dem Gröbsten der Geröllrinne unterhalb der Forcella Lavinal dell'Orso raus sind, gilt es an dieser Stelle aufmerksam der Pfadspur zu folgen, da man sonst in ungutes Felsgelände kommt. Tendenziell hält man sich im Auslauf der Geröllrinne links (Westen), geradeaus würde man in ungangbares, extrem brüchiges und unschönes Terrain kommen und das muss an dieser Stelle doch nun wirklich nicht mehr sein. Sobald man die (links unten ersichtlichen) sanft geneigten Geröllhänge des oberen Val Saisera („Alta Spragna“) erreicht hat, kann man in den Autopilotmodus schalten]


[Bild: Gewaltig, fast schon brutal ragt die Cima de lis Codis (2380 m.) fast 1000 m über dem Val Saisera auf. Und doch ist sie nur ein (formell) untergeordneter Vorgipfel des hier nicht ersichtlichen Jôf Fuart (2666 m.) - Da keinerlei markierte bzw. ausgeschilderte Wege auf diesen entlegenen Sekundärgipfel führen, wird er nur selten bestiegen. Bei der Cima de lis Codis und ihren zahlreichen Felstürmen (wie z. B. dem Spranjeturm) handelt es sich in erster Linie um Klettergipfel. Einen guten Ruf besitzt indes die „Via Kugy“ (II+), welche sich ab der Abzweigung vom Sentiero Carlo Chersi (Höhen-Kote 1891 m bzw. 1884 m) via Nord-, West- und Südwand einmal um den Berg windet und sogar dem kletteraffinen Bergsteiger eine landschaftlich großartige Besteigung ermöglicht. Der Abstieg von der Cima de lis Codis erfolgt dann sinnvollerweise zur Forcella Mosè, von wo aus die Tour (entsprechende Kondition vorausgesetzt) bis zum Jôf Fuart fortgesetzt werden kann]


[Bild: Die schauerliche Forcella Lavinal dell'Orso endgültig hinter uns und mit der Aussicht auf das nahe Bivacco Dario Mazzeni, tragen uns unsere müden Beine überraschend schnell und widerstandslos die grasbewachsenen Hänge des oberen Val Saisera (in Karten als „Alta Spragna“ bezeichnet) herab. Unser Übernachtungsziel befindet sich auf dem bewaldeten Buckel vor uns (in Bildmitte). Nur mehr ein paar Minuten Gehzeit und (leider) ein kurzer Gegenanstieg (Abzweigung vom Sentiero Carlo Chersi) trennen uns von unserer rustikalen Unterkunft für die Nacht]


[Bild: Das idyllisch, gar wildromantisch auf einem bewaldeten Buckel im oberen Val Saisera gelegene Bivacco Dario Mazzeni (1630 m.) ist der Inbegriff einer bodenständigen, sich (Stand 2025) an der Grenze zur Ranzigkeit befindlichen Biwakschachtel und von allen Biwaks, die wir während dieser mehrtägigen Tour besucht haben, in jedem Fall das mit dem schlechtesten Zustand (= für 1 Nacht ist's OK). Doch das ist uns an diesem Punkt herzlich egal, haben wir doch unsere heutige Monster-Tour erfolgreich und v. a. heil bewältigt! Vom Bivacco Suringar bis zum Bivacco Dario Mazzeni: das ist weit, sehr weit. Zumal wir immer den im Raum stehenden, potenziellen Wetterumschwung im Nacken hatten (tatsächlich sollte es heute und auch während der folgenden Nacht letztlich nicht gewittern oder gar regnen). Während wir es uns also nun rund um die Biwakschachtel gemütlich machen (Trinkwasser muss leider aus dem Torrente Saisera geholt werden, weshalb ggf. noch einmal zusätzliche 150-200 Hm bergab und dann wieder bergauf bewältigt werden müssen), genießen wir die umliegende, atemberaubend urtümliche Bergwelt der Montasio-Gruppe. Im Hintergrund (schräg rechts über dem Biwak) zeigt sich übrigens die Cima di Terrarossa (2420 m.), welche wir noch vor einigen Stunden auf der anderen Seite passiert haben. Durch die schauerlich steile Rinne links der Cima, die sogenannte „Canalone Huda Paliza“ (Huda-Paliza-Rinne), führt im Winter eine der anspruchsvollsten und steilsten (bis 45 Grad) Skitouren der westlichen Julischen Alpen: Was für eine Vorstellung, sich durch diesen Nordwandtrichter (mit Tourenskiern und Steigeisen bewaffnet) nach oben zu kämpfen! Dass ein Sturz bei der anschließenden Abfahrt dann natürlich tabu ist, versteht sich von selbst. Im Sommer dürfte sich hingegen verständlicherweise so gut wie niemals jemand in dieses Kanonenrohr wagen]


[Bild: Am nächsten Morgen geht es zeitig vom Bivacco Dario Mazzeni durch das traumhaft ursprüngliche Val Saisera bergab in Richtung Parkplatz bei der Malga Saisera. Das in diesem Bereich auch Spragna genannte Tal ist dabei nicht so gleichmäßig ansteigend und sanft, wie es hier den Anschein hat. Zahlreiche zerklüftete Wandstufen und steile Gräben sowie Schluchten charakterisieren das Val Saisera, weshalb man sich sinnvollerweise brav an den markierten (und einzigen) Wanderweg Nr 616 hält, bis man im flachen Talgrund schließlich dichten Bergwald erreicht, die Abzweigung zum Bivacco Stuparich (Weg Nr 611) passiert und der Weg zuguterletzt auf dem mächtigen Schuttstrom des Torrente Saisera ausläuft. Ein großes Abenteuer neigt sich langsam aber sicher dem Ende entgegen]


[Bild: Blick vom Schuttstrom des Torrente Saisera zum Jôf di Montasio (2754 m.) - Entgegen aller Befürchtungen hat das Wetter auch am dritten Tag gehalten, kein Hitzegewitter sagt uns zum Ende unserer ersten Tour in den Julischen Alpen auf Wiedersehen. Während wir im Anschluss entspannt das Tal hinausrollen, um im nahen Tarvisio (so wie es sich gehört) noch auf eine Pizza und einen Kaffee einzukehren, beschleicht uns unweigerlich der Gedanke, dass wir mal wieder ein echtes Näschen mit der Auswahl unserer Tour bewiesen haben. Schon vor über 15 Jahren wurde ich in den Auswahlführern eines Eugen E. Hüsler auf die alpinen Eisenwege in den Julischen aufmerksam. Doch war es stets viel naheliegender, emotional wie räumlich-geographisch, via Brenner in die Dolomiten zu fahren oder sich gleich irgendwo zwischen Allgäu und Berchtesgaden bergmäßig zu vergnügen. Namen wie Jôf di Montasio oder Jôf Fuart klangen exotisch und mysteriös, weder italienisch noch slowenisch. „Man kann halt nicht jede Ecke der Alpen kennenlernen“ dachte ich mir... Und so geriet der Gedanke an eine klettersteigartige, mehrtägige Bergtour in den Julischen Alpen letztlich in Vergessenheit. Es ist (aus bayerischer Perspektive) nun einmal echt weit bis in das Friaul oder das Gebiet der Soča. Doch so wie die Dinge mitunter spielen, braucht es manchmal einfach nur einen motivierten Tourenpartner sowie eine ganz spezielle Wetterkonstellation und Tourenideen, die seit vielen Jahren in einer gedanklichen Schublade verschwunden waren, kommen auf einmal wieder an die Oberfläche. Den wahrlich königlichen Jôf di Montasio (2754 m.), zweithöchster Berg der gesamten Julischen Alpen und einer der 44 „Alpen-Ultras“, in Form einer dreitägigen Bergtour einmal komplett zu überschreiten bzw. zu umrunden und dabei 2 Biwakübernachtungen, 4 Klettersteige und eine alpine Klettertour (Findeneggweg) zu erleben, das zählt wohl in Summe aufgrund der Fülle an urweltlichen Eindrücken zum landschaftlich Eindrucksvollsten, was man im Ostalpenraum unternehmen kann. Es ist wirklich faszinierend, wie speziell sich diese urweltliche Bergtour angefühlt hat: wie eine einsame, unglaublich naturnahe Kombination aus Dolomiten und Kalkalpen. Ganz besonders empfehlenswert sind die Biwakschachteln, welche wir im Zuge der Montasio-Überschreitung erleben durften (wobei man für eine Nacht im Bivacco Dario Mazzeni schon eher robust und unempfindlich veranlagt sein sollte). Wieder einmal habe ich gemerkt, wie wunderbar einfach, erdend und letztlich befreiend so ein simpler Übernachtungsort ist. Speziell die Nacht im Bivacco Suringar inmitten der gewaltigen Jôf di Montasio W-Wand, hoch über den Untiefen von Clapadorieschlucht und Val Dogna sowie mit hindernisloser Weitsicht in die Friauler Dolomiten, zählt wohl zum Eindrucksvollsten, was ich in den italienischen Südalpen bis dato erleben durfte. Es steht für mich außer Frage, dass ich den Julischen Alpen und im Speziellen dem Friaul mittelfristig wieder einen Besuch abstatten möchte (und werde). Natürlich wird irgendwann einmal der Triglav „fällig“ sein, doch war es in den vergangenen drei Tagen v. a. der titanenhafte Jôf Fuart (2666 m.), welcher meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Vielleicht liegt es daran, dass mich dieser faszinierend wuchtige Klotz irgendwie an den großen Monte Pelmo erinnert hat. Und mit dem habe ich ja auch noch ein Hühnchen zu rupfen...]



Glockturm (3355 m.) via Radurschltal 


09-10. August 2025


[Bild: Ausblick beim Aufstieg zum Hohenzollernhaus über das weite, dicht bewaldete Radurschltal mit der Samnaungruppe am Horizont - Mit rund 2500 km² sind die Ötztaler Alpen eine der flächenmäßig größten Gebirgsgruppen der Ostalpen. Zahlreiche Untergruppen und Gebirgskämme charakterisieren dieses bei Hochtourengehern, Wanderern und Skifahrern gleichermaßen beliebte Gebirge, wobei Nauderer Berge und Glockturmkamm die westliche Begrenzung bilden. Wie der Name unmissverständlich andeutet, ist der Glockturm (3355 m.) der (mit Abstand) höchste Berg von letztgenanntem Kamm, wobei es sich hierbei bis Mitte des 20. Jahrhunderts sogar um einen ziemlich einsamen Ötztaler 3000er handelte. Mit dem Bau der mautpflichtigen Kaunertaler Gletscherstraße wurde der Glockturm von Osten her erschlossen und faktisch zur hochalpinen, seit einigen Jahren sogar komplett eisfreien 1000-Hm-Wandertour degradiert. Doch es gibt noch eine andere, „klassische“ Möglichkeit, um sich diesem schönen Gipfelziel gebührend zu nähern: das idyllische, ab dem Ort Pfunds etwa 15 km nach Südosten verlaufende Radurschltal. Dieses ziemlich unbekannte Seitental der Ötztaler Alpen kann mit den touristischen Hotspots in Kauner-, Pitz- und Ötztal (glücklicherweise?) bei weitem nicht mithalten, so dass es in den letzten Jahrzehnten irgendwie ein bisschen in Vergessenheit geraten ist und heutzutage v. a. genussorientierte Wanderer anzieht, die bewusst die etwas ruhigeren Ecken in diesem Teil der Ostalpen aufsuchen wollen. Vom (kostenlosen) Wanderparkplatz Wildmoos sind es gerade einmal gut 550 Hm und 1,5 h Gehzeit durch lichten Bergwald bis zum inmitten von altehrwürdigen Zirben gelegenen Hohenzollernhaus (2123 m.), welches die mit Abstand wichtigste Schutzhütte in diesem Teil der Ötztaler darstellt. Die Tatsache, dass das Hohenzollernhaus über gerade einmal 47 Schlafplätze (zzgl. Winterraum) verfügt, spricht Bände: Ich bin schon gespannt, was mich erwarten wird...]


[Bild: Ausblick aus dem Gebiet des Hohenzollernhauses zu den nordöstlichen Ausläufern des Wildnörderer (3015 m.), wobei der Gipfel aus dieser Perspektive nicht sichtbar ist. Hierbei handelt es sich um einen der typischen Vertreter des Glockturmkammes, welcher in erster Linie aus spröden, unscheinbaren Berggestalten besteht. Der markierte und ausgeschilderte Weg auf diesen aussichtsreichen Gipfel führt von der Hütte in einem Bogen über die Ostseite in die Scharte zwischen Wildnörderer und Brunnewandspitze und von dort nach Norden zum höchsten Punkt. Um sich einen Überblick über das Radurschltal zu verschaffen, gibt es rund um das Hohenzollernhaus auf jeden Fall kaum eine bessere Möglichkeit]


[Bild: Wer (wie ich) relativ früh am Hohenzollernhaus eintrifft und zugleich nicht allzu motiviert ist, am Nachmittag noch eine ausschweifende Wanderung bzw. Gipfeltour zu unternehmen, wird an den Ufern des nahen Radurschlbaches eventuell seine Freude am Aufstöbern von Grasfröschen haben. Nicht nur Gämsen, Greifvögel und (im Sommer) Nutztiere bevölkern diese Region, sondern auch zahlreiche Amphibien]


[Bild: Warum es sich beim oberen Radurschltal, eingebettet zwischen Hohenzollernhaus, Glockturm (links hinten), Hennesiglspitzen, Seekarköpfen und Wildnörderer, um ein landschaftliches Kleinod par excellence handelt, wird an einem Tag wie heute sehr schnell deutlich. Wer hätte nicht Lust, sich an den Ufern des pittoresken Radurschlbaches ins weiche Gras zu legen und die umliegende, so wunderbar unerschlossene Ötztaler Gebirgswelt in Ruhe auf sich wirken zu lassen?]


[Bild: Der markante Glockturm (3355 m.) ist vom Hohenzollernhaus (2123 m.) aus gesehen der absolute Blickfang. Allerdings ist er ironischerweise bei weitem nicht das beliebteste Tourenziel rund um die Hütte, da sich die Route via Hüttekarferner im Sommer ausaperungsbedingt leider mittlerweile allzu häufig von einer sehr unschönen und durchaus riskanten Seite zeigt! Steinschlag, die Notwendigkeit von Steigeisen und eine potenziell giftige Ausstiegsrinne zum Riffljoch hin haben den Glockturm von dieser Seite (v. a. im Hoch- / Spätsommer) in Verruf gebracht, so dass er heutzutage fast ausschließlich aus dem Kaunertal bzw. im Winter als Skitour „gemacht“ wird]


[Bild: Dass es sich beim Glockturm (3355 m.) um einen steilen, nach allen Seiten hin schroff abfallenden Spitz handelt, wird rund um das Hohenzollernhaus schnell deutlich. Auch wenn er mit Hüttekarferner, Rifflferner und Glockturmferner nur mehr drei Mini-Gletscher aufweist, muss er sich doch vor den großen Ötztaler (Eis-)Riesen von Weiß- und Hauptkamm nicht verstecken, ragt er doch so dominant und freistehend aus seiner Umgebung auf, wie nur wenige vergleichbare 3000er der Region]


[Bild: Glockturm (3355 m.) im letzten Licht des Tages - Auch wenn ich den heutigen Tag rund um das Hohenzollernhaus bergtourentechnisch nicht in dem Maße ausgenutzt habe, wie ich es sonst normalerweise tue (da ich mich hauptsächlich an den grasbewachsenen Ufern des Radurschlbaches verlustiert habe und mir zudem auch die Piz Linard-Tour tagszuvor etwas in den Knochen steckt), könnte ich doch kaum zufriedener sein: Mein (Bauch-)Gefühl, sich ganz bewusst für eine ungewöhnliche, ruhige Ecke der Ötztaler Alpen abseits von Vent, Sölden und Obergurgl zu entscheiden, hat sich als goldrichtig entpuppt. Morgen wird es dann in aller Früh gen Hüttekar gehen, um den Glockturm von Norden her in Angriff zu nehmen. Mutmaßlich wird das morgen eine ziemlich einsame und durchaus ernste Angelegenheit: Geschenkt wird einem dieser stolze Ötztaler 3000er nämlich definitiv nicht]


[Bild: Beim Aufstieg aus dem oberen Radurschltal in Richtung Hüttekar zeigt sich die breite Furche zweier gewaltiger Bergstürze, die die Gegend in den letzten Jahren (2019 und 2025) erschüttert haben, von ihrer ganzen Wucht! Der angelegte Steig über die auch Hüttepleis genannte Flanke südlich des Bruchkopfes vermittelt den Zugang zu den gerölligen Weiten des Hüttekares, welches links oben bereits seine vogelwilde Abbruchkante zeigt]


[Bild: Tiefblick über den unteren, grasbewachsenen Abschnitt der Hüttepleis, über welche der Zustieg zum Hüttekar in zahlreichen Serpentinen bergauf führt. Den See gab es so in der Form bis Anfang Juli 2025 übrigens nicht, da er erst durch den Bergsturz entsprechend aufgestaut wurde (der durch den Bergsturz 2019 erstmals entstandene See hatte eine andere Lage und Größe). Das Abschmelzen von Glockturmferner, Toteis und Permafrost im Hüttekar hat die nordwestlichen Bereiche des Glockturms teilweise instabil werden lassen, weswegen das obere Radurschltal massiv und dauerhaft bergsturzgefährdet ist, da jederzeit (v. a. nach Starkregenereignissen) „etwas nachkommen“ kann. Die Wasserversorgung des Hohenzollernhauses sicherzustellen (da der obere Verlauf des Radurschlbaches sich durch Bergstürze potenziell stark verändern kann), wird in den kommenden Jahren eine der größten Herausforderungen darstellen]


[Bild: Wie instabil aktuell (Stand Sommer 2025) das Gemisch aus Toteis, Fels, Geröll und Sand ist, das den westlichen Abbruch des Hüttekares bildet, wird beim Aufstieg (aus sicherer Entfernung) unmissverständlich deutlich: Praktisch im Sekundentakt donnern mittelgroße bis große Felsblöcke aus dem Bereich der Abbruchkante in die Untiefen der moränenartigen Furche. Um diesen Bereich des Hüttekares sollte man einen weiträumigen (!) Bogen machen, da rund um die Abbruchkante akute Lebensgefahr herrscht. Die Ötztaler Alpen sind von der Klimaerwärmung leider so stark betroffen, wie nur wenige ostalpine Gebirgsgruppen]


[Bild: Unmittelbar unterhalb der schroffigen Südabstürze des Bruchkopfes führt der Weg oberhalb der gerölligen Weiten des Hüttekares dahin, wobei sich die gewaltige, bis zu 500 Meter hohe Glockturm Westwand immer fotogener in Stellung bringt. Angesichts der enormen Steinschlagintensität der Gegend kaum vorstellbar, aber durch diese düstere Wand führen tatsächlich Kletterrouten (mind. IV+ bzw. V), wobei diese angesichts der klimawandelbedingten Ausaperungseffekte und des allgemein enorm hohen Risikos nur mehr sehr selten angegangen werden]


[Bild: Hat man die grasbewachsenen Südosthänge des Bruchkopfes erreicht, befindet man sich im eigentlichen Hüttekar. Dieses landschaftlich wunderschöne, von Bruchkopf, Rotschragenspitze, Rifflkarspitze und Glockturm eingerahmte Kar vermittelt sowohl den Zugang zum Hüttekarferner (und damit zum Riffljoch bzw. Glockturm), als auch den potenziellen Übergang zum im Kaunertal gelegenen Gepatschhaus via Rotschragenjoch. Die entsprechende Wegeteilung befindet sich im nordöstlichen, hinteren Karbereich (rechts im Schatten), so dass es vorerst noch über grasbewachsene Hänge entspannt (und mittlerweile sonnenverwöhnt) dahin geht. Wirklich ernst wird es noch früh genug]


[Bild: Rückblick über die gerölligen Weiten des Hüttekares zur Nauderer Hennesiglspitze (3045 m.), zu den Seekarköpfen und zum Wildnörderer (3015 m.) - Bestimmt werden am heutigen, wettertechnisch traumhaft schönen Tag einige motivierte Wanderer vom Hohenzollernhaus sowie alternativ vom Langtauferer Tal (in Italien) aus aufbrechen, um einen dieser aussichtsreichen 3000er zu besteigen. Im Kontrast dazu steht wie vermutet mein Unterfangen, bin ich doch (noch) meilenweit der einzige Wanderer. Zwar wird zumindest der Übergang vom Hohenzollernhaus zum Gepatschhaus (und vice versa) häufig unternommen, doch der Anstieg zum Riffljoch (bzw. Glockturm) via Hüttekarferner ist zu dieser Jahreszeit der Inbegrifff von Bergeinsamkeit]


[Bild: Mit zunehmendem Aufstieg durch das Hüttekar wird die Umgebung immer rauer, felsiger, wilder. Kurz vor der Abzweigung zum Rotschragenjoch (2965 m.) zeigt sich schließlich dann auch der (wie erwartet fürchterlich ausgeaperte und vollkommen blanke) Hüttekarferner erstmals in all seiner verblichenen „Pracht“. Darüber ragen (von links nach rechts) die Rifflkarspitze (3219 m.), der Riffljochturm (3237 m.) und ganz rechts außen der Glockturm (3355 m.) auf. Mal schauen, wie sich der Gletscher von Nahem präsentieren wird...]


[Bild: Um zum Gletscher zu gelangen, muss die steile Geröllflanke oberhalb des Hüttekarsees gequert werden. Etwas ungeschickt (da ziemlich steinschlaggefährdet!) angelegt, führt der markierte Steig quer durch Hänge auf die markante Anhöhe links im Bild (scheinbar unterhalb der Rifflkarspitze) zu. Würde die Route zum Riffljoch im Sommer häufiger begangen (und nicht zunehmend alpinistisch bedeutungslos), wäre sicherlich eine alternative Routenführung südwestlich um den See herum überlegenswert, da die Steinschlaggefahr (im Gegensatz zu dem Bereich unterhalb des Felsgrates zwischen Rotschragenjoch und Rifflkarspitze) dort sicherlich deutlich geringer wäre]


[Bild: Im von steilen Blockwerk- und Geröllflanken geprägten Bereich südlich des Rotschragenjochs - Diesen Abschnitt passiert man beim Zustieg zum Hüttekarferner am besten ohne größere Verzögerungen, wirken die links über einem aufragenden Felsflanken doch alles andere als vertrauenserweckend! Hier zeigen die Ötztaler Alpen sehr deutlich, warum man sich in diesem Gebirge heutzutage tendenziell von Wänden fernhält, sofern man denn kann]


[Bild: Der zwischen Rifflkarspitze (links) und Riffljochturm (rechts) eingezwängte Hüttekarferner war früher einmal ein respektabler, bis weit ins Hüttekar hinabreichender Gletscher, den man durchaus mit vollständiger Hochtourenausrüstung (inkl. Seil) begangen hat, auch wenn er natürlich nie wirklich mit den großflächigen Eismassen der Ötztaler Alpen mithalten konnte. In jedem Fall stellte er aber über viele Jahrzehnte hinweg einen klassischen, gerne genutzten Anstieg zum Riffljoch (bzw. Glockturm) dar. Da er sich klimawandelbedingt jedoch in den letzten Jahren so stark zurückgezogen und an Mächtigkeit eingebüßt hat, dass die angrenzenden Felsflanken teilweise instabil geworden sind und im Hochsommer nun spätestens ab der Mittagszeit im Minutentakt Steine (oder sogar Felsblöcke) auf den Gletscher hinabwerfen, hat diese Route verständlicherweise deutlich (!) an Beliebtheit verloren. Mal sehen, wie sich der Aufstieg darstellen wird. Die Taktik ist auf jeden Fall klar: Immer schön mittig halten und nicht bummeln]


[Bild: Auch im Jahr 2025 weist der Hüttekarferner noch ein paar (wenige) Spalten auf, die jedoch bei aperen Verhältnissen keinerlei Probleme bereiten. Wer jedoch hier im Hochsommer / Herbst z. B. nach einem Wintereinbruch inkl. tückischem Neuschnee unterwegs ist, sollte ggf. erhöhte Aufmerksamkeit walten lassen. Die wenigen vorhandenen Spalten sind zwar nicht sehr tief, aber dann doch so ernsthaft, dass man (wenn man Pech hat) bei einem Sturz Probleme bekommen kann, zumal der Hüttekarferner von ein paar gemeinen, hoffnungslos glatten Schmelzwasserrinnen und -kanälen durchzogen ist. Wie gesagt: Bei schönem Wetter, aperen Verhältnissen und mit Steigeisen an den Füßen ist das hier eine entspannte Angelegenheit. Wenn man die Spalten jedoch nicht sehen und ggf. vorhandenem Schnee nicht trauen kann, sollte man hier wohl nicht alleine unterwegs sein]


[Bild: Unterwegs auf den traurigen Resten des Hüttekarferners, welcher kaum mehr den Eindruck eines echten Gletschers vermittelt. Hinten ist bereits die steile Rinne zu erkennen, über die der finale Anstieg zum Riffljoch erfolgt. Bis dahin heißt es angesichts der unzähligen (vielfach auch mittig auf dem Gletscher liegenden) Felsblöcke hier möglichst zügig durchzukommen. Zwar nehme ich während meinem Aufstieg über den Gletscher keinerlei Steinschlag wahr, so richtig wohl fühle ich mich bei diesem Anblick aber nicht. Eine Pause sollte man auf dem Hüttekarferner sinnvollerweise nicht machen]


[Bild: Konnte man früher noch vom Hüttekarferner über eine in der Regel gut zu begehende Firnrinne einfach zum Riffljoch emporsteigen, muss man sich heutzutage oftmals durch ein ekliges Gemisch aus Blankeis, Geröll und abschüssigem Sand nach oben kämpfen. Nach oben hin ist die Rinne durchaus steil, so dass hier ein Eispickel unter Umständen gute Dienste leistet. Am oberen Ende der Rinne wird man dann sinnvollerweise in die rechten (westlichen) Begrenzungsfelsen ausweichen und (häufig von einem Fixseil bzw. einer Reepschnur unterstützt) die letzten Meter zum Riffljoch in leichter Kraxelei (I) zurücklegen]


[Bild: Ausblick vom Riffljoch (3149 m.) zum gewaltigen Gepatschferner und zur Weißseespitze (3498 m.) - Rechts daneben zeigt sich (etwas entfernt) die Weißkugel (3738 m.), welche angesichts ihrer Rolle als zweithöchster Berg der Ötztaler Alpen (und dritthöchster Berg Österreichs!) auch heute sicher wieder viel Besuch erhalten wird]


[Bild: Ausblick vom Riffljoch (3149 m.) zum (links hinten erkennbaren) Glockturm (3355 m.) - Ab diesem Punkt verläuft die Route via Radurschltal und Hüttekarferner identisch mit dem Anstieg von der Kaunertaler Gletscherstraße, welcher von Osten durch das Riffltal hierherauf führt. Im Vergleich zum schattigen, steinschlaggefährdeten Hüttekarferner ist es eine wahre Wohltat, nun über diese gerölligen Hänge sonnenverwöhnt bergauf gen Gipfel zu wandern]


[Bild: Rückblick vom Riffljoch (3149 m.) zur nördlich angrenzenden Rifflkarspitze (3219 m.), welcher von hier in 10-15 Minuten unschwierig über einen gerölligen Pfad bestiegen werden kann. Die meisten der Glockturm-Aspiranten (inkl. mir) lassen die Rifflkarspitze jedoch links liegen, obwohl sie eine besonders schöne Aussicht auf den höchsten Berg der Umgebung bietet. Da ich die Jahre, in denen ich „jeden“ Gipfel auf Tour mitnehmen musste, jedoch längst hinter mir habe (und zudem auch mit meinen Ressourcen haushalten möchte), setze ich sogleich den Aufstieg zum Glockturm fort]


[Bild: Während das früher vom Rifflferner geprägte Riffltal heutzutage nur mehr eine geröllige, schuttige Ödnis ist, dürfte der Gepatschferner trotz seiner enormen Masseverluste noch einige Jahrzehnte das gewaltige Hochplateau zwischen Weißseespitze und Weißkamm prägen. Eines Tages möchte ich diesen zweitgrößten Gletscher Österreichs vom Brandenburger Haus aus bewundern und mich voll und ganz der (noch) weitläufigen Gletscherwelt der zentralen Ötztaler Alpen hingeben. Eine Durchquerung dieser (speziell für Ostalpenverhältnisse) riesigen Eismasse soll landschaftlich ja sogar noch großartiger sein, als eine Tour über den (Oberen) Pasterzenboden...]


[Bild: Die markierte Route vom Riffljoch zum Gipfelaufbau des Glockturms führt quer durch die schuttigen, gerölligen Flanken südlich des Riffljochturms und um eine Graterhebung herum, wobei an wenigen Stellen aufgrund einer gewissen Steilheit und Abschüssigkeit (teilweise Kraxelei max. I) Trittsicherheit erforderlich ist. Nach einem kurzen Zwischenabstieg in eine Scharte hat man es fast geschafft: Nur mehr die schroffige Gipfelflanke trennt einen vom höchsten Punkt des Glockturmkammes]


[Bild: Tiefblick aus der Scharte vor dem Gipfelaufbau des Glockturms zum Rifflferner, der vor vielen Jahren noch bis an den Grat heraufreichte, so dass früher auch beim Aufstieg von der Kaunertaler Gletscherstraße oftmals Steigeisen und Eispickel erforderlich waren. Heutzutage wird der Gletscher beim Aufstieg zum Glockturm nicht mehr betreten. Nur mehr im Winter kommen Skitourengeher teilweise noch (im Zuge einer Direktabfahrt ins Riffltal) mit ihm in Kontakt]


[Bild: Deutlich ist die ausgetretene Spur zu erkennen, welche durch die schuttige Gipfelflanke des Glockturms (3355 m.) unschwierig bergauf zum höchsten Punkt führt. An diesem Punkt hat man im Grunde alle größeren technischen Schwierigkeiten hinter sich und nur mehr ein paar geröllige, mäßig steile Kehren müssen bewältigt werden. In der Scharte ist im Winter auch häufig das Skidepot, da die meisten Tourengeher die Gipfelflanke zu Fuß in Angriff nehmen]


[Bild: Einschüchternder Tiefblick vom Glockturm (3355 m.) in die gerölligen Weiten des Hüttekares. Ganz links ist der Abbruch des Bergsturzes zu erkennen, welcher Anfang Juli 2025 den oberen Bereich des Radurschltales erschüttert hat. Links präsentiert sich der Bruchkopf (3013 m.), welcher über die hier ersichtliche SO-Flanke bestiegen werden kann. Rechts macht dagegen das Rotschragenjoch (2965 m.) klar, woher es seinen Namen hat]


[Bild: Ausblick vom Glockturm (3355 m.) über den langen, maximal einsamen und v. a. wildschroffen Verbindungsgrat zur Hennesiglspitze (3144 m.) - Über den quer verlaufenden Kamm dahinter verläuft die österreichisch-italienische Grenze, welche sich bis zum Gepatschferner sowie zur Weißkugel (3738 m.) fortsetzt. Rechts zeigt sich der oberste Abschluss des Radurschltales, von wo aus man via Nauderer Hennesiglspitze bzw. Radurschlscharte bis ins Langtauferer Tal wandern kann]


[Bild: Während der Glockturm (3355 m.) im Süden und Osten in Form von Weißkamm und Kaunergrat schon sehr bald von deutlich höheren Ötztaler Riesen überragt wird, ist der Berg nach Nordwesten bzw. Norden hin im Grunde konkurrenzlos, entsprechend hindernislos ist die Aussicht. In der Tiefe kann man den durch den Bergsturz 2025 neu entstandenen See erkennen, über welchem westseitig der (aus dieser Perspektive markante) Wildnörderer (3015 m.) aufragt. Ziemlich einschüchternd sind zudem die Tiefblicke über die nördlichen Abbrüche zum Hüttekar hin: Was für eine Aussichtswarte!]


[Bild: Bei absolutem Traumwetter auf dem Glockturm (3355 m.) am westlichen Rand der Ötztaler Alpen - Für einen regionalen König angemessen, ist die Aussicht von diesem höchsten Punkt des gleichnamigen Glockturmkammes in nahezu alle Richtungen weit und spektakulär! Es ist wirklich kein Wunder, dass der Glockturm speziell von der mautpflichtigen Kaunertaler Gletscherstraße aus seit vielen Jahren (v. a. seitdem das Ganze eine eisfreie Angelegenheit ist) häufig und gerne von alpinerfahrenen Genusswanderern und 3000er-Sammlern angesteuert wird]


[Bild: Tiefblick vom Glockturm (3355 m.) zu den traurigen Resten des Rifflferners und zum dahinter liegenden Riffltal, welches in seinem oberen, gerölligen Bereich rund um die Seen auch Rifflkar genannt wird. Links präsentieren sich stolz Riffljochturm (3237 m.) und Rifflkarspitze (3219 m.), während in der Ferne der Kaunergrat mit zwei ganz besonders spektakulären Bergen der Ötztaler Alpen (wenn nicht gar der Ostalpen) herübergrüßt: Watzespitze (3532 m.) und Bliggspitze (3453 m.) gehören beide zu den absoluten Giganten der Region und stellen den Glockturm sowohl in puncto Höhe als auch in Bezug auf die technische Schwierigkeit der Normalroute klar in den Schatten]


[Bild: Blick vom Glockturm über den Richtung Habicht (3094 m.) und Krummgampenspitzen verlaufenden Gratkamm (allseits bergsteigerisches Niemandsland) zum Gepatschferner, welcher aus dieser Perspektive nicht nur seinen weiten Plateaugletscher sondern auch die im Bereich des Rauhen Kopfes gen Tal fließende Gletscherzunge präsentiert. Rechts außen kann man die Weißseespitze (3498 m.) erkennen, während links in der Ferne die alles dominierende Wildspitze (3768 m.) herübergrüßt. Angesichts eines so gewaltigen Panoramas ist es nur natürlich, dass die Gipfelpause etwas länger ausfällt, auch wenn mir natürlich die im Tagesverlauf stetig zunehmende Steinschlaggefahr rund um den Hüttekarferner im Nacken sitzt]


[Bild: Gepatschferner, Weißseespitze (3498 m.) und Weißkugel (3738 m.) im Zoom vom Glockturm (3355 m.) aus gesehen -Das Krummgampental im Vordergrund ist übrigens der ideale Beweis dafür, dass man auch in einem Gebiet in unmittelbarer Nähe zu einer vielbefahrenen Mautstraße und „klassischem Vollgas-Tourismus“ sehr schnell absolute Bergeinsamkeit erleben kann. Obwohl dieses weite Geröllkar von der Kaunertaler Gletscherstraße aus (sehr) schnell erreichbar ist, wandert nur eine verschwindend kleine Minderheit in dieses weite Tal hinein. Im Winter, wenn auch das Skigebiet Kaunertaler Gletscher unterhalb der Weißseespitze geöffnet hat, sind hier dagegen regelmäßig Tourengeher (unter anderem Richtung Glockturm!) unterwegs]


[Bild: Schon eine ziemliche Bruchruine, dieser Glockturm! Angesichts des äußerst unzuverlässigen Gesteins und des in weiten Teilen unaufgeräumten Terrains ist es nur allzu verständlich, dass man sich an diesem Berg heutzutage tendenziell an die (relativ) sichere(n) Normalroute(n) bzw. an die ostseitigen Flanken hält. Am Glockturm (3355 m.) gilt in jedem Fall die Devise: der Gipfel ist das Ziel, weisen die Anstiege (Wege) doch im Detail nicht die allergrößte Ästhetizität auf]


[Bild: Viele Bergsteiger (und v. a. natürlich Kletterer) können mit den Ötztaler Alpen nicht viel anfangen. Das Gestein sei vielfach zu „schlecht“, die abschmelzenden Gletscher würden aufgrund der (abgesehen vom Kaunergrat) häufig eher sanfteren und behäbigeren Bergformen besonders triste „Geröllwüsten“ zurücklassen und es stimmt sicherlich: den Ötztaler Alpen geht klimawandelbedingt viel von ihrer eisigen Faszination verloren. Gleichwohl handelt es sich bei diesem flächenmäßig riesigen Gebirge, welches die größte Anzahl an hohen 3000ern im Ostalpenraum aufweist, um das sprichwörtliche Rückgrat der Zentralalpen. Die Ostalpen mögen in der Glocknergruppe und natürlich auch in Form der etwas „abseits“ gelegenen Ortler- und Berninagruppe etwas höher aufragen, doch das hochalpine Herz der östlichen Zentralalpen, es schlägt hier: auf der Grenze von Tirol und Südtirol!]


[Bild: Blick beim Abstieg vom Glockturm zurück zum Gipfelaufbau - Teilweise ist das Gelände (v. a. im Bereich südlich des Riffljochturms) etwas abschüssig und steil, weswegen hier Trittsicherheit durchaus angenehm ist. Sobald man sich hier von der ausgetretenen Geröllspur wegbewegt (was man natürlich sinnvollerweise bleibenlässt), wird das Terrain sehr schnell fürchterlich bröselig und schuttig. Vorbei sind die Zeiten, in denen man hier über den oberen Rifflferner gen Gipfelaufbau emporstieg]


[Bild: Auf dem Weg zurück zum Riffljoch (3149 m.), von wo aus es linkerhand abwärts zum Hüttekarferner geht. Auch wenn es vom Joch theoretisch nur mehr knappe 70 Hm bis zum Gipfel der Rifflkarspitze wären und es sich durchaus anbieten würde, sie „mitzunehmen“, möchte ich angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit keine Zeit mehr verlieren und möglichst rasch den Gletscher hinter mir lassen. Da die Sonne mittlerweile wohl den gesamten Hüttekarferner (und die angrenzenden Steilflanken) unbarmherzig aufheizt, sollte ich diesen steinschlaggefährdeten Trichter so schnell wie möglich passieren]


[Bild: Abstieg vom Riffljoch zum (aus dieser Perspektive praktisch kaum mehr erkennbaren) Hüttekarferner, welcher ostseitig von der schuttigen Rifflkarspitze (3219 m.) begrenzt wird. Anders als noch am Vormittag gestaltet sich der Abstieg durch die Rinne diesmal vollkommen entspannt. Geschickt nutze ich (natürlich mit montierten Steigeisen) eisige Firnschläuche, um zügig den flacheren Gletscherboden zu erreichen, in dem es aufgrund unzähliger großer Felsblöcke dann leider nicht mehr ganz so schnell weitergeht, da gewisse Umwege vonnöten sind]


[Bild: Abstieg über den Hüttekarferner, wobei ich mich (wie schon im Aufstieg) so gut es geht mittig halte, um das Steinschlagrisiko aus den angrenzenden Steilhängen möglichst gering zu halten. Weiter unten im Bereich der unscheinbaren „Gletscherzunge“ wird das nicht mehr so einfach gehen, hier im mittleren Abschnitt ist das aber noch unkompliziert möglich. Im Hintergrund kann man mittlerweile wieder die markanten Geröllhänge im Bereich des Rotschragenjochs erkennen, welches von hier sowohl den Übergang ins Kaunertal als auch einen alternativen Abstieg ins Radurschltal (via Kaisertal) ermöglicht]


[Bild: Angesichts der enormen Masse- und Flächenverluste, die ostalpine Gletscher klimawandelbedingt hinnehmen müssen, ist es sehr wahrscheinlich, dass der Hüttekarferner in nicht allzu ferner Zukunft komplett verschwunden sein wird. Ob dann während der Sommermonate hier überhaupt noch jemand vorbeikommen wird...? Es ist gut möglich, dass die angrenzenden Flanken von Rifflkarspitze und Riffljochturm so instabil und dadurch gefährlich werden, dass dieser Bereich (wenn überhaupt) nur mehr im Winter von einsamkeitssuchenden Skitourengehern aufgesucht werden wird]


[Bild: Im unteren, kurzzeitig etwas steilen Bereich des Hüttekarferners sollte man darauf achten, sich nicht zu weit links (westlich) zu halten, da die Steinschlaggefahr dort ganz besonders hoch ist! Am besten hält man zunächst geradewegs auf den kleinen Gletschersee zu und visiert weiter unten dann sein linkes (westliches) Ufer an. In jedem Fall sollte man hier nicht bummeln, v. a. ab der Mittagszeit ist hier Geschwindigkeit gleich Sicherheit]


[Bild: Rückblick zum Hüttekarferner, welcher mittlerweile in seinem unteren Bereich eher einem Kanonenrohr gleicht! Vor allem aus den rechts (westlich) angrenzenden steilen Schuttflanken (Ausläufer des Riffljochturms) werden im Minutentakt kleinere und mittelgroße Felsblöcke fast bis zum See geschleudert. Das Ganze potenziert sich in der kurzen Zeit, in der ich am Ufer sitze, noch einmal deutlich (ich habe es scheinbar gerade rechtzeitig vom Gletscher herunter geschafft, bevor es zu riskant wurde), so dass ich nun absolut verstehen kann, warum dieser Aufstieg im Sommer mittlerweile gemieden wird. Wer weiß, wie dieser Bereich in 3-5 Jahren aussieht... Dass ich hier noch einmal herkomme, ich kann es mir (so landschaftlich schön und wild es hier zweifellos ist) irgendwie nicht vorstellen]


[Bild: Ein letzter Blick zurück zum zwischen Rifflkarspitze (3219 m.) und Riffljochturm (3237 m.) eingezwängten Hüttekarferner, dann heißt es Abschied nehmen vom Reich des Glockturms. Zwar werden mich die wilden Westwände des Berges v. a. im Hüttekar sowie im oberen Radurschltal noch eine Zeit lang begleiten, doch die Zeiten stehen nun unmissverständlich auf Abstieg. Die (alpine) Pflicht ist geschafft, nun folgt die genussreiche Kür]


[Bild: Die im Westen an das farbenprächtige Rotschragenjoch (2965 m.) angrenzende Rotschragenspitze (3113 m.) wird nur sehr selten von bergsteigerischen Hyperindividualisten bestiegen. Das Terrain ist hochgradig brüchig (und natürlich vollkommen weglos) und ohne mindestens leichte Kletterei (I-II) wird man den einsamen Gipfel (weder von Norden vom Kaiserjoch noch von Westen vom Bruchkopf her kommend) in jedem Fall nicht erreichen]


[Bild: Mondlandschaft beim Abstieg durch das Hüttekar - Der ab diesem Punkt wieder sehr angenehm zu begehende, praktisch steinschlagsichere Steig führt an der rechten (nördlichen) Seite des weiten Geröllkares unterhalb der Flanken von Rotschragenspitze und schließlich Bruchkopf entlang, wobei der Blick angesichts des herrlichen Panoramas unweigerlich zu den Gipfeln über dem oberen Radurschltal (links hinten) schweift: Ob wohl heute einer dieser Berge (abgesehen vom Wildnörderer, bei dem sich die Frage im Grunde nicht stellt) bestiegen worden ist...?]


[Bild: Einer düsteren Zackenkrone gleich, ragen die aus Ötztalkristallin aufgebauten hohen Gipfel des Glockturmkammes in den verheißungsvoll blauen Himmel. Ob nun Rifflkarspitze, Riffljochturm oder eben Glockturm: Diese eindrucksvollen 3000er stehen sinnbildlich für die enorme Vielfalt der Ötztaler Alpen, welche eben nicht nur aus sanft geschwungenen, von schwindenden Gletschern dekorierten Gneis- und Glimmerschieferbergen bestehen, sondern auch aus solchen spröden Spitzen. Eine Bergtour wie die heutige mag nicht unbedingt technisch allzu schwierig sein oder im Detail die größte Ästhetizität bieten. Wer aber in einem moderaten Rahmen mit (gerade noch) vertretbaren objektiven Risiken ein echtes Ötztaler Zentralalpen-Abenteuer erleben will, wird hier definitiv fündig]


[Bild: Abgesehen von einer Dreiergruppe, welche am heutigen Tag den Bruchkopf (3013 m.) bestiegen hat, und einem einzelnen Wanderer (unterwegs vom Gepatschhaus zum Hohenzollernhaus via Rotschragenjoch) treffe ich zwischen Riffljoch und Radurschltal keine einzige Person. Das Kalkül, sich bewusst für einen mutmaßlich ruhigen Teil der Ötztaler Alpen zu entscheiden und dabei gleichzeitig einen hohen 3000er zu besteigen (welcher von der anderen Seite aus dem Kaunertal durchaus vielfrequentiert ist), ist also eindeutig aufgegangen. Wer ein bisschen „findig“ und flexibel ist, kann auch an einem Schönwetter-WE im Hochsommer im so touristischen Tirol relativ unkompliziert Bergeinsamkeit und Idylle erleben]


[Bild: Auch wenn vom Glockturmferner praktisch nichts mehr zu sehen ist, frage ich mich, wie viel Eis wohl noch unter den gerölligen Weiten des Hüttekares verborgen ist (speziell im Bereich der Ausläufer der Glockturm Westwand). Mutmaßlich befindet sich unter einer meterdicken, isolierenden Schicht aus Felsblöcken, Geröll, Schutt und Sand noch einiges an Eis, welches nur enorm zeitverzögert abschmilzt. Es handelt sich in Teilen des Hüttekares also um eine sogenannte Obermoräne, wobei dieses Schicksal eventuell irgendwann auch dem Hüttekarferner blüht]


[Bild: Abstieg aus dem Hüttekar über die Hüttepleis ins atemberaubend schöne obere Radurschltal, welches im Westen vom formschönen Wildnörderer (3013 m.) begrenzt wird. Es wird spannend sein, zu beobachten, wie sich dieses hochalpine Tal in den kommenden Jahren entwickeln wird. Da die Abbruchkante vom Hüttekar auf lange Zeit hin instabil bleiben und es daher wahrscheinlich zu weiteren Bergstürzen kommen wird, könnte der Radurschlbach möglicherweise irgendwann gezwungen sein, einen anderen Verlauf zu nehmen. Das würde auch das Hohenzollernhaus vor enorme Herausforderungen stellen, sei es in Bezug auf die Wasser- / Stromversorgung oder das Wegenetz]


[Bild: Den imposanten Glockturm (3355 m.) immer im Blick, geht es entspannt in zahlreichen Kehren (mit einigen renitenten Kühen als Hindernis) über die grasbewachsene Hüttepleis bergab ins Radurschltal. Währenddessen veranstaltet die Abbruchkante des Bergsturzes (am westlichen Ende des Hüttekares) einen gewaltigen Lärm: Im Sekundentakt stürzen Felsblöcke in die Untiefen der moränenartigen Furche, welche sich bis zum Talboden zieht. Es würde mich nicht wundern, wenn es hier im Laufe der unmittelbar nächsten Jahre (z. B. nach einem extremen Starkregenereignis) zu einem weiteren größeren Bergsturz kommen würde. Ich werde die Situation vor Ort auf jeden Fall weiter verfolgen]


[Bild: Ein letzter Blick zurück zum stolzen Glockturm (3355 m.), bevor es auf direktem Weg zurück zum nahen Hohenzollernhaus (2123 m.) und ein paar wohlverdienten Knödeln geht. Den höchsten Berg des langgestreckten Glockturmkammes via Radurschltal und Hüttekarferner zu besteigen, hat auf jeden Fall gehalten, was es versprochen hat. Würde ich die Tour noch einmal gehen: Definitiv nicht! Kann ich die Tour guten Gewissens empfehlen: Nur unter Einschränkungen! Hat sich dieser hochalpin-angehauchte, steinschlaggefährdete, v. a. aber landschaftlich unglaublich eindrucksvolle „Ritt“ über das Riffljoch für mich persönlich gelohnt: Ja, auf jeden Fall. Die Bilder sprechen für sich]


[Bild: Nach einer ausgiebigen Pause beim Hohenzollernhaus geht es schließlich am Nachmittag in aller Entspanntheit durch das herrliche Radurschltal zurück zum Wanderparkplatz Wildmoos, wo eine wirklich (!) ungemein schöne 2-Tagestour in den Ötztaler Alpen letztlich ihr Ende nimmt. Während es im Anschluss auf staubigen und schier endlosen Schotter- bzw. Forststraßen talauswärts gen Pfunds geht, kommt mir unweigerlich der Gedanke in den Sinn, dass dies im Grunde genau die Art von Bergtour ist, wie ich sie mir für ein klassisches Zentralalpen-Wochenende im Hochsommer vorstelle (vielleicht abgesehen von der Steinschlaggefahr, die brauche ich definitiv nicht immer...) - Die Bergtour auf den Glockturm via Radurschltal und Hüttekar weist nämlich all die Merkmale auf, die ein echtes Zentralalpen-Abenteuer in meinen Augen haben muss: Eine urige, nicht zu große und v. a. herzlich-geführte Schutzhütte (leider hören die aktuellen Pächter des Hohenzollernhauses 2025 auf), ein aussichtsreicher, formschöner 3000er, eine spannende, durchaus hochalpin anmutende Aufstiegsroute, für die man Erfahrung, etwas Equipment (Steigeisen) und Taktik (zeitiger Abstieg zur Vermeidung von Steinschlag) benötigt sowie ein allgemein landschaftlich attraktives Ambiente (hier v. a.: das pittoreske Radurschltal und die Aussicht zum Gepatschferner sowie zu Wildspitze und Weißkugel). Natürlich ergibt es rein rational durchaus Sinn, den Glockturm aus dem Kaunertal zu besteigen. So vermeidet man den steinschlagtechnischen „Eiertanz“ zwischen Riffljoch und Hüttekar! Wer aber in diesem touristisch stark frequentierten Teil der Ostalpen etwas Besonderes erleben will, dem kann die Gegend rund um das Hohenzollernhaus wirklich sehr empfohlen werden. Es ist ja zudem auch nicht in Stein gemeißelt, dass man von dort aus zwangsläufig den Glockturm (3355 m.) angehen muss: Eine Umrundung von Wildnörderer und Seekarköpfen via Seekarjoch (2897 m.) dürfte wohl zu den schönsten und abwechslungsreichsten Wandertouren weit und breit gehören. Deswegen: Vielleicht bei der nächsten Fahrt in Richtung Reschenpass oder Engadin einmal die Ausfahrt bei Pfunds nehmen und die schuttige Fahrt ins Radurschltal auf sich nehmen. Es lohnt sich - und wie!]



Piz Linard (3410 m.) - Südwand


08. August 2025


[Bild: Im Morgengrauen bei der idyllischen Wiesenfläche Plan dal Bügl (1961 m.) oberhalb des Unterengadiner Bergsteigerdorfes Lavin - Nach einer langen Anfahrt (ab München) durch Nacht und Wind bin hier bereits 500 Hm über dem Talgrund, doch war das bisherige Stirnlampen-Wandern nur der entspannte Forststraßen-Auftakt einer großen hochalpinen Bergtour, die mich auf den höchsten Berg der gesamten Silvretta führen soll: den Piz Linard (3410 m.) - Seit weit über 10 Jahren (!) habe ich keine Bergtour mehr in diesem traumhaft schönen Ostalpengebirge an der Schnittstelle von Vorarlberg, Tirol und Graubünden unternommen, es ist eine Schande! Doch das will ich in diesem Jahr endlich ändern und was wäre da naheliegender, als sich an der formschönen Felspyramide zu versuchen, die ich 2017-2018 während meines Studiensemesters in der Schweiz so oft gesehen habe, dass es im Grunde vorherbestimmt war. Und so setze ich früh am Morgen den Zustieg zur Linard-Südwand (über welche die Normalroute verläuft) fort, wobei das erste wichtige Etappenziel die SAC-Hütte Chamanna dal Linard (2327 m.) sein wird]


[Bild: Piz dal Ras (3028 m.) im ersten Licht des Tages - Dieser einsame, inmitten der Albula-Alpen gelegene 3000er kann zum Beispiel von Norden von der Flüelapass-Straße (ab Röven bzw. Alp Prà Dadoura) bestiegen werden (via Westgrat). Auch wenn es sich technisch gesehen um keine allzu schwierige Bergtour handelt (max. I), ist das Ganze aufgrund der allgemeinen Entlegenheit und des meist weglosen Geländes eine durchaus ernste Angelegenheit]


[Bild: Aus dem Bereich des Plan dal Bügl führt der Wanderweg aus dem Lärchenmischwald heraus und quer über wunderschöne Wiesenflächen auf den bereits im Hintergrund ersichtlichen Piz Linard (3410 m.) zu. Auch die Chamanna dal Linard ist (auf der grasbewachsenen Geländekuppe schräg rechts oberhalb des Wasserfalls Pischa d'Glims) bereits erkennbar. In diesem Bereich des Zustiegs muss man sich im Bereich einer Wegeteilung entscheiden, ob man den teilweise versicherten, etwas anspruchsvolleren (aber direkten) Steig oberhalb des Talgrundes quer durch die schrofigen Steilflanken nimmt oder den ein Stück unterhalb verlaufenden Weg wählt. Da mir in der Linard-Südwand sowieso noch ganz anderes Felsterrain bevorsteht, enscheide ich mich für den oberen Steig]


[Bild: Herrliche Morgenstimmung im Unterengadin: Während die kleine Talschaft Susch noch im Schatten liegt, wird der einsame Piz dal Ras (3028 m.) bereits von der Sonne gewärmt. Das gilt natürlich auch für den gewaltigen Eisriesen, der links am Horizont mittlerweile herübergrüßt: den Piz Palü (3900 m.) - Ein paar hundert Höhenmeter noch, dann werden sich auch die anderen Giganten der Bernina zeigen und unmissverständlich klarmachen, welcher Ecke der Bündner Alpen die uneingeschränkte Höhen-Krone gebührt. Links unten kann man den Inn erkennen, welcher (aus dem Oberengadin kommend) hier zwar bereits einiges an Fließstrecke hinter sich hat. Bis er aber letztlich bei Passau in die Donau mündet, stehen ihm noch hunderte Kilometer in Unterengadin, Tirol und Bayern bevor]


[Bild: Oberhalb der Chamanna dal Linard zeigt sich der Piz Linard (3410 m.) erstmals greifbar und in voller Pracht. Um den höchsten Berg im Umkreis von immerhin 25 km zu besteigen, hat man theoretisch zahlreiche (Kletter-)Routen zur Auswahl, wobei nur der Südostgrat (II+/III- bzw. PD+/3a) rechts im Profil und die als Normalroutenbereich eingestufte Südwand (II) regelmäßig „gemacht“ werden. Die meisten anderen Routen sind entweder so steinschlaggefährdet (= hochriskant) oder technisch anspruchsvoll, dass sich nur vogelwilde Individualisten hin und wieder in sie „verirren“. Mit Steinschlag wird man indes auch in den Rinnen der Südwand sowie im Zustiegscouloir zum SO-Grat konfrontiert, so dass der mit Abstand wichtigste Ausrüstungsgegenstand (abgesehen von entsprechendem Schuhwerk) der Helm ist. Wer ohne Helm am Linard unterwegs ist, ist definitiv leichtsinnig, wie sich später noch mehr als deutlich zeigen wird]


[Bild: Nachdem es von der Chammana dal Linard auf gut markiertem Bergsteig zunächst durch kupiertes Gelände und an den wunderschönen Lai da Glims bis auf etwa 2600 mH gegangen ist, wird irgendwann der Abzweig zur Fuorcla da Glims (buchstäblich) links liegen gelassen und deutlichen Pfadspuren geradeaus in Richtung Südwand gefolgt. Auf etwa 2700-2750 mH werden irgendwann auch die letzten grünen Grasbüschel hinter sich gelassen und man begibt sich nun für viele Stunden in das wilde Reich von Geröll, Splitterbruch und Schotter. Da man sich hier nur mehr wenige hundert Meter unterhalb der Linard-Südwand befindet, wirkt die aus der Ferne so imposante, äußerst steile Felspyramide von hier seltsam breit und abgeflacht. Das es sich hierbei nur um eine optische Täuschung handelt, wird sehr bald sehr deutlich werden]


[Bild: Über mäßig steile Blockwerk- und Geröllhänge geht es aus dem mittleren Auslaufbereich der Südwand schräg nach links bergauf, wobei man den Beginn einer markanten Geröllrinne (mittig im Bild erkennbar) anvisiert. Die eigentliche Geröllrinne wird hier noch rechterhand von einer teilweise grasbewachsenen Felsrampe verdeckt, welche (im Bereich des Schattens) markant aufsteilt und die (im Aufstieg) orographisch rechte Begrenzung darstellt. Speziell aufgrund der recht deutlichen Pfadspuren im Geröll und teilweise vorhandener Steinmänner sollte man die Rinne eigentlich nicht verfehlen]


[Bild: Rückblick über die Glims bzw. Vals da l'Aua genannte, geröllreiche Hochebene zwischen Chamanna dal und Piz Linard, welche zudem von den langen Bergkämmen von Piz Glims (westlich) und Linard Pitschen (östlich) hufeisenförmig begrenzt wird. Während man rechts in der Ferne zudem mittlerweile den Großteil der Bernina erkennen kann, grüßt links am Horizont erstmals die Ortlergruppe herüber. Es sind noch ca. 500 Hm bis höchsten Punkt der Silvretta, doch das Panorama ist bereits jetzt unwahrscheinlich schön! Wie das wohl weiter oben erst sein wird...]


[Bild: Am Beginn der Einstiegsrinne in die Piz Linard Südwand - Diese ca. 35 Grad steile, von Felsblöcken, Schutt, Geröll und erdigem Sand gefüllte Rinne ist abschnittsweise (aufgrund einigermaßen deutlicher Begehungsspuren) relativ „gut“ zu begehen, in der Regel wird man sich hier aber ziemlich plagen, zumal man hier permanent auf Steinschlag achtgeben muss (v. a. wenn hier mehrere Personen unterwegs sind). Teilweise kann an den rechten Rand zur Begrenzungsrippe ausgewichen werden, meistens wird man sich aber wohl im Rinnengrund aufhalten, da die Rippe klettertechnisch relativ anspruchsvoll ist. Wenn das Gelände oben zu steil wird, muss man rechterhand auf die Felsrippe rausqueren (man darf die Abzweigung nicht verpassen, es gibt an der Stelle aber sehr deutliche Steinmänner!) und einem schmalen Felsband ums Eck herum folgen. Wenn das Felsband aufhört, klettert man linkerhand über gestuften Fels (max. II, nicht ausgesetzt und mehrere Varianten) kurz und unkompliziert bergauf bis zum Beginn des in der Südwand eingelagerten Geröllkares]


[Bild: Wildes, sehr steiles Felsgelände in der Piz Linard Südwand - Rechts kann man einen Teil des Bandes (inkl. Steinmann) erkennen, welches aus der Einstiegsrinne herausführt. Diesen Abschnitt sowie das nun folgende gestufte Felsgelände sollte man sich für den Abstieg gut einprägen, da man hier definitiv wieder vorbeikommen muss. Alle etwaigen Abstiegsalternativen sind deutlich (!) anspruchsvoller und vor allem auch objektiv viel gefährlicher]


[Bild: Traumhaft schöne Ausblicke sind einem beim Aufstieg durch die Piz Linard Südwand gewiss, wenn man denn von so herrlichem Hochdruckwetter verwöhnt wird, wie es heute der Fall ist. Auch auf den (noch) eisgepanzerten 3000ern der nur vermeintlich fernen Ortlergruppe werden heute sicher zahlreiche Bergsteiger unterwegs sein. Speziell Ortler und Cevedale werden sich am heutigen AKW-Tag bestimmt zahlreiche Seilschaften ins persönliche Tourenbuch schreiben. Aber auch wer sich einfach „nur“ in einer der unzähligen wildromantischen Engadiner Hochebenen (wie hier im Vordergrund Glims bzw. Vals da l'Aua) verlustiert, ist in jedem Fall unendlich zu beneiden]


[Bild: Dieses mäßig steile, aber relativ mühsam zu begehende Geröllkar inmitten der S-Wand muss in seiner ganzen Ausdehnung nach oben hin durchquert werden. Es gibt mehr oder weniger deutliche Begehungsspuren im Schutt, welche man sinnvollerweise nutzt. Tendenziell hält man sich (im Aufstieg) im linken Bereich des Kares und visiert grob die vermeintliche Einschartung zwischen dem oberen SW-Grat und dem Nebengipfel Punkt 3257 m. an. Je weiter man sich allerdings durch das Geröllkar nach oben müht, desto mehr verengt sich das Ganze zu einer zunächst noch sehr breiten, weiter oben schmalen und sehr steilen (bis zu 45 Grad) Rinne, welche für viele die nervliche Schlüsselpassage darstellt]


[Bild: Im Aufstieg durch das steile Geröllkar in der Piz Linard Südwand - Die Orientierung fällt hier im Grunde sehr leicht, da man einfach nur das mit zunehmender Höhe immer schmaler werdende, sich langsam aber sicher zur Geröllrinne verengende Kar immer weiter nach oben verfolgen muss. Im Gegensatz zu den beiden zu bewältigenden Rinnen ist dieser Routenabschnitt der Linard Südwand objektiv relativ sicher, da Steinschlag nicht ganz so leicht ausgelöst werden kann wie davor oder danach]


[Bild: Diese ungemein brüchige, sehr steile Rinne gilt es bis zum oberen Südwestgrat des Linard hin zu verfolgen: Sieht nicht nur scheußlich aus, es ist auch wirklich der Inbegriff von steinschlaggefährdeter, abschüssiger Plagerei! Hier muss man wirklich sehr aufpassen, wenn man nicht alleine in der Rinne unterwegs ist, da man sehr leicht größere Steine lostreten kann. Zu beschönigen gibt es in diesem Gelände nichts, Kraxelspaß und Kletterästhetik wird man hier vergebens suchen: Zähne zusammenbeißen und sich trotzig-stur nach oben arbeiten, ist die Devise]


[Bild: Faszinierend-brüchige Trümmerruinen zieren den Piz Linard Südwestgrat. Glücklicherweise kann man diese wilden Grattürme aus sicherer Entfernung bewundern, kommt man auf der Normalroute durch die Rinnen der Südwand doch nicht mit ihnen in Berührung. Sehr bald wird die steile obere Geröllrinne auf den obersten Südwestgrat münden, von wo es dann nur mehr ein kleiner, mit Steinmännern versehener Katzensprung bis zum Gipfel ist: Der höchste Punkt der Silvretta ist nun tatsächlich in greifbarer Nähe...]


[Bild: Das Ende der Schinderei ist absehbar! Nur noch ein paar steile Höhenmeter in der von Blockwerk, Geröll und erdigem Schutt gefüllten Rinne müssen bewältigt werden, dann hat man den oberen SW-Grat des Piz Linard erreicht. Ab da sind es dann nur mehr wenige unkomplizierte Höhenmeter bis zum höchsten Punkt: die Spannung steigt]


[Bild: Ein wahrlich erhebendes Gefühl: Ankunft am Gipfel des Piz Linard (3410 m.) am späten Vormittag. Abgesehen von zwei bereits im Abstieg befindlichen Bergführer-Seilschaften, die ich in der Südwand getroffen habe, ist scheinbar (bzw. vor allem seltsamerweise) heute niemand sonst am Linard unterwegs, so dass ich den Gipfel tatsächlich für mich ganz alleine habe. Über den blockreichen Gipfelgrat geht es in wenigen Schritten zum mächtigen Gipfelsteinmann (kein Kreuz!), wo die Panoramaschau beginnt...]


[Bild: Tiefblick vom Piz Linard (3410 m.) nach Osten ins malerische Val Lavinuoz, welches den einsamen Zugang zu so wildromantisch-entlegenen (und v. a. anspruchsvollen) Bergen wie dem Verstanclahorn oder dem Piz Fliana vermitteln kann. Auf etwa 2200 mH befindet sich an den östlichen Hängen des Tales die mit nur 6 Schlafplätzen winzige Selbstversorgerhütte Chamanna Marangun, welche man tatsächlich exklusiv buchen kann. Die mit 12 Schlafplätzen nur minimal größere Chamonna Marangun (2025 m.) etwas unterhalb ist ebenfalls ein Kleinod und Geheimtipp sondergleichen. Glücklich ist, wer am späten Nachmittag nach der Arbeit noch spontan in solch schöne Hochtäler hineinspazieren kann]


[Bild: Grandioser Ausblick vom Piz Linard (3410 m.) zum (noch) stark vergletscherten „Hauptkamm“ der Silvretta rund um Verstanclahorn (3298 m.), Silvrettahorn (3244 m.), Piz Buin Grond (3312 m.), Piz Fliana (3281 m.) und Dreiländerspitze (3197 m.) - Das im Juni 2023 durch einen gewaltigen Bergsturz höhentechnisch dezimierte, mehrgipfelige Massiv der Fluchthörner kann man indes rechts im Hintergrund erkennen]


[Bild: Das ganz links ersichtliche, äußerst schroffe Verstanclahorn (3298 m.) und das mittig im Hintergrund aufragende Silvrettahorn (3244 m.) sind zwei gänzlich verschiedene Berge! Während das Silvrettahorn ein ab der Wiesbadener Hütte via Ochsentaler Gletscher gerne und häufig bestiegener, technisch einfacher Hochtourengipfel ist, gilt das Verstanclahorn als klettertechnisch anspruchsvollster Berg (AD+/ZS+ bzw. hochalpine Kletterei III) der Silvretta, welchen sich nur wirklich versierte Alpinisten vornehmen sollten. Ein Trauerspiel stellt in jedem Fall der Gletscher La Cudera dar, welcher mit dem (hier nicht ersichtlichen) über den Silvrettapass (2981 m.) verbundenen Silvrettagletscher die größte geschlossene Eismasse der Umgebung bildet. Mal schauen, wie lange es noch dauert, bis man (aus dem Val Lavinuoz kommend) die Fuorcla dal Cunfin gletscherfrei ansteuern kann... Viele Jahre werden es leider nicht mehr sein]


[Bild: Kleiner Piz Buin (3255 m.), Großer Piz Buin (3312 m.), Piz Fliana (3281 m.) und (rechts im Hintergrund) Fluchthorn (3397 m.) im Zoom vom Piz Linard (3410 m.) aus gesehen. All diese Berge sind mehr oder wenige anspruchsvolle Kletter- bzw. Hochtourenziele, für die es viel bergsteigerische Erfahrung benötigt. Da der Gipfelbereich des Fluchthorns (3397 m.) seit dem Bergsturz von 2023 als nach wie vor instabil bzw. zu riskant gilt, wird bei diesem Berg vorerst weiterhin von einer Besteigung abgeraten. Auch in den Felswänden südlich der Buinlücke (der Scharte zwischen Großem und Kleinem Piz Buin) bahnt sich perspektivisch ein Bergsturz an, weswegen der Bereich zwischen Buin und Fliana ebenfalls nur mit allergrößter Vorsicht betreten werden sollte (aktuelle Informationen findet man z. B. auf den Internetseiten des SAC oder der Chamonna Tuoi)! Die Silvretta ist vom Auftauen des Permafrosts und dem Abschmelzen der Gletscher in ganz besonderem Maße betroffen]


[Bild: Ausblick vom Piz Linard (3410 m.) nach Norden in Richtung Verstanclahorn (3298 m.) und Silvrettahorn (3244 m.) - Links im Hintergrund (etwas vom vergletscherten Hauptbereich der Silvretta abgetrennt) ragt ein markantes Gipfelduo auf, das mich schon 2010 bei meinem erstmaligen Aufenthalt in der Silvretta in seinen Bann gezogen hat: das Große Seehorn (3121 m.) und v. a. der Großlitzner (3109 m.) gehören zu den erlesensten Kletterzielen weit und breit]


[Bild: Was für ein unglaublich dominanter, isoliert aufragender Berg der Piz Linard (3410 m.) ist, wird besonders beim Ausblick in nordwestliche Richtung deutlich: Während über dem gerölligen Kargrund des oberen Val Sagliains zumindest noch das Vordere Plattenhorn (3220 m.) einigermaßen mit dem Linard mithalten kann, muss man ansonsten den Blick schon wirklich weit schweifen lassen, um in diese Richtung einen höheren Berg auszumachen. Ganz links am Horizont kann man am heutigen Tag tatsächlich den Tödi (3612 m.) in den Glarner Alpen ausmachen. Die Distanz zwischen beiden Gipfeln beträgt ca. 90 km Luftlinie: Wahnsinn!]


[Bild: Westlich des Piz Linard schweift der Blick über das malerische Val Sagliains und ein felsiges Meer aus unzähligen Oberhalbsteiner und v. a. Albula-Gipfeln bis hin zu den fernen Walliser Alpen (!) am Horizont. Speziell links im Hintergrund zeigen sich mit dem Piz Calderas, Piz Platta, Piz Ela und Tinzenhorn die ganz großen Bündner-Berggestalten abseits der Bernina]


[Bild: Auch wenn der Piz Linard (3410 m.) im Umkreis von 25 km alle Berge deutlich überragt und erst „in Person“ des Piz Kesch (3418 m.) seinen Meister findet, wird bei seinem südseitigen Panorama doch gleich deutlich, wer die wahren Könige in diesem Teil der Alpen sind: Ortler (links) und Bernina (rechts). Nirgendwo zwischen Bodensee bzw. Alpenrheintal und Wien ragen die Ostalpen höher auf als in diesen beiden (nach wie vor intensiv vergletscherten) Gebirgsgruppen. Speziell die großen Eisriesen der Bernina (Piz Palü, Bellavista, Piz Bernina, Piz Roseg) ziehen die Blicke wie magisch an. Eines Tages...]


[Bild: Atemberaubend schönes, weites Panorama vom höchsten Berg der Silvretta, dem Piz Linard (3410 m.): Bernina und Albula-Alpen bilden gemeinsam mit Silvretta, Sesvenna und Livigno-Alpen die Einfassung von Unter- und Oberengadin. In meinen Augen ist das (neben den großen Kalkstöcken der Nördlichen Kalkalpen und den Dolomiten) die landschaftlich schönste Ecke der Alpen, v. a. im Herbst]


[Bild: Gipfelglück auf dem Piz Linard (3410 m.) am südlichen Rand der kristallinen Wunderwelt der Silvretta - Seit über 10 Jahren wollte ich mich an dieser imposanten Felspyramide versuchen und dass es nun („after all these years...“) tatsächlich bei absolut perfektem Wetter geklappt hat, macht mich unbeschreiblich glücklich. Was habe ich nicht alles gelesen über das angeblich so gewaltige, schier endlos weite Panorama des Piz Linard, hier im Herzen der Alpen... Und nun kann ich es bezeugen. Das Leben ist schön]


[Bild: Ein letzter seliger Ausblick über die Talfurche des Unterengadin (links am Horizont kann man in Form von Wildspitze und Weißkugel übrigens die Ötztaler Alpen erkennen), dann heißt es schließlich Abschied nehmen vom Gipfelsteinmann des Piz Linard. Angesichts des stellenweise wirklich unangenehmen Geländes in den brüchig-gerölligen Rinnen-Untiefen der Südwand fällt es besonders schwer, sich vom Panorama des höchsten Silvrettaberges zu lösen. Doch es nützt nichts: Mir steht noch ein strammer 2000-Hm-Abstieg sowie eine anschließende (immerhin relativ kurze) Fahrt nach Samnaun bevor, wo ich die Nacht verbringen werde. Und da ich mich nicht wie eine Alpendohle einfach in die Lüfte erheben und ins Tal gleiten kann, muss ich wohl oder übel in den metaphorischen sauren Apfel beißen - Auf geht's!]


[Bild: Am oberen Ende (oder in diesem Fall vielmehr Anfang) der steilen, fürchterlich brüchigen Schuttrinne, welche wie ein Schlauch nach unten auf das Geröllkar inmitten der Südwand führt. Da ich weit und breit das einzige größere Säugetier (Stichwort Steinbock) bin, muss ich mich immerhin nicht wegen Steinschlag sorgen. Und so beginne ich vorsichtig und mit der hierfür notwendigen Gelassenheit den „wilden Ritt“ durch die Rinne. Abfahren gibt das Terrain nicht her und so geht es vergleichsweise langsam aber stetig über diesen undefinierbaren Mix aus Splitterbruch, groben Felsblöcken und -platten, sandiger Erde und Geröll abwärts, wobei ich mir sehnsüchtig einen gutgriffigen Blockgrat mit entsprechendem Ier-Gelände herbeiwünsche... Da kann das Bernina-Panorama noch so schön sein, hier gilt alle Aufmerksamkeit dem leider allzu beweglichen Untergrund]


[Bild: Abstieg durch die obere Geröllrinne der Piz Linard S-Wand - Um der Normalroute des höchsten Silvretta-Berges etwas abzugewinnen, braucht es schon ein gewisses Faible für gepflegte „Schutt-Wühlerei“. Und auch wenn dieser splitterbrüchige Geröll-Trichter sicherlich im Detail nicht die allergrößte Ästhetizität aufweist, steht er doch exemplarisch für die Schroffheit und Steilheit des Linard, welcher abgesehen von ein paar traurigen Mini-Eisresten am Fuß seiner Nordwand (Vadret Val Muntanellas) ein reiner Felsberg ist und damit im klaren Kontrast zur Gletscherwelt rund um Piz Buin und Silvrettahorn steht]


[Bild: Beim Abstieg durch die obere Geröllrinne der Piz Linard Südwand bietet es sich meist nicht an, in die angrenzenden Randfelsen auszuweichen, da es sich dort um steiles, klettertechnisches anspruchsvolles und v. a. leider ebenfalls relativ brüchiges Plattengelände handelt. Auch wenn es stellenweise nur wenig Freude bereitet, ist man mit einem direkten Abstieg im Rinnengrund hier am besten beraten, zumal es nach unten hin (Richtung Geröllkar) glücklicherweise schnell besser wird]


[Bild: Rückblick aus dem weiten Geröllkar inmitten der Linard S-Wand zur oberen (von hier kaum identifizierbaren) Geröllrinne und zum Gipfelaufbau. Im Gegensatz zu den beiden Geröllrinnen der Normalroute kann man hier vergleichsweise entspannt absteigen (bzw. abfahren), speziell wenn man so gute Steigspuren erwischt, wie die im Vordergrund. Trotzdem bleibt das Ganze natürlich eine anstrengende, mühsame Sache: Am Piz Linard muss man sich über 500 Hm im Auf- und Abstieg voll konzentrieren. Autopilotmodus ist erst im Vals da l'Aua angesagt]


[Bild: Blick vom Fuß der Piz Linard Südwand zurück zum Gipfelaufbau, der sich aus dieser maximal verzerrten Perspektive erneut als merkwürdig breite Felsmauer präsentiert (in Wahrheit ist der Linard natürlich der Inbegriff einer Felspyramide, was vor allem mit einigen Kilometern Abstand aus halber Höhe deutlich wird). Angenehmerweise haben der Übergang aus dem Geröllkar inmitten der Südwand über das gestufte Felsgelände (II) und die anschließende Bänderquerung in die untere Geröllrinne auf Anhieb und völlig problemlos geklappt. Der finale Abstieg durch die untere Geröllrinne war dann wie erwartet eine etwas heikle Schinderei, die man aber letztlich nun einmal bewältigen muss, wenn man sich diese stolze Silvretta-Spitze in sein Tourenbuch schreiben will]


[Bild: Wieder in den so wunderbar sanft geneigten Weiten der geröllig-grasigen Hochebene des oberen Vals da l'Aua (Glims). An dieser Stelle sind alle größeren technischen Schwierigkeiten geschafft und der Helm kann endlich abgenommen werden. Auch wenn es von hier noch über 1400 Hm bis nach Lavin sind, so freue ich mich doch vor allem darauf, endlich das entspannte „Vor-sich-hin-trotten“ zu beginnen. Der Abstieg durch die beiden steilen, fürchterlich brüchigen und abschüssigen Geröllrinnen der Linard S-Wand hat nämlich etwas an den Nerven gezehrt... Zeit wird es, sich mit Muße und demonstrativer Gemütlichkeit der herrlichen Engadiner hinzugeben]


[Bild: Rückblick beim Abstieg zu den Lai da Glims zum wuchtigen Piz Linard (3410 m.) - Es ist immer ein schönes Gefühl, wenn man einen erfolgreich bestiegenen Gipfel „nach getaner Arbeit“ noch einmal so fotogen zu Gesicht bekommt, wie in diesem Fall. Auch wenn es sich beim Piz Linard um den höchsten Berg der Silvretta handelt, hat sich die Tour doch bisher irgendwie nicht so angefühlt. Das liegt wohl daran, dass ich es in meinem Kopf schlichtweg noch nicht zusammenbringe, dass es sich bei diesem (nun einmal auch zum Engadin gehörenden) Gebirge in weiten Teilen auch um Schweizer Boden handelt. Bisher war meine Sichtweise auf die Silvretta primär auf die vergletscherten Regionen auf der Tiroler und Vorarlberger Seite gerichtet, welche man z. B. via Bielerhöhe ansteuert. Dass man dieses landschaftlich wunderschöne Zentralalpengebirge jedoch auch sehr gut (!) aus dem Unterengadin in Angriff nehmen kann, ist definitiv eine „Lesson learned“. Wer diese wunderbare Ecke Graubündens besucht, sollte seinen Blick also definitiv nicht nur gen Bernina, Albula oder Livigno richten]


[Bild: Südwand des Piz Linard (3410 m.) im Zoom aus dem Gebiet der Lai da Glims - Deutlich ist im linken Bereich die schräg nach rechts oben Richtung Geröllkar verlaufende Rinne zu erkennen, welche man nach etwa 3/4 der Strecke über ein markantes Felsband (ebenfalls gut ersichtlich) nach rechts verlassen muss. Die aus dem Geröllkar zum oberen SW-Grat führende zweite Rinne verschwimmt aus dieser Perspektive mit den unzähligen Felsrippen und Aufschwüngen des obersten Gipfelaufbaus, wobei man die allgemeine Brüchigkeit des Geländes selbst aus dieser Distanz förmlich noch spüren kann]


[Bild: Postkartenidylle im Engadiner Teil der Silvretta: Stolz ragt die Felspyramide des Piz Linard (3410 m.) über der Glims bzw. Vals da l'Aua genannten Hochebene zwischen Piz Glims und Linard Pitschen auf und macht unmissverständlich klar, wer hier der lokale Herrscher ist! Interessanterweise wurde der Linard heute mutmaßlich nur von 5 Personen bestiegen (2 Bergführer-Seilschaften und ich), sofern nicht nach uns noch irgend ein vogelwilder Eidgenosse über eine der anderen Kletterrouten den Gipfel erreicht hat. Das zeigt: Der Piz Linard ist definitiv nicht überlaufen, wobei das angesichts des steinschlaggefährdeten und in Summe durchaus ernsthaftes Geländes aber auch bitter notwendig ist. Wenn sich in einer der beiden Rinnen nämlich mehr als 2-3 möglichst dicht (!) beieinander gehende Personen aufhalten, kann es dort schnell hochgradig gefährlich werden]


[Bild: Mit zunehmender Distanz gewinnt der Piz Linard (3410 m.) stetig an Format. Aus dieser Distanz wird man auch seiner fürchterlich brüchigen und schuttigen Felsflanken kaum mehr gewahr. Da das Fluchthorn (3397 m.) voraussichtlich noch auf viele Jahre hinaus bergsteigerisch gemieden werden wird, ist diese elegante Felspyramide der mit weitem (!) Abstand höchste Punkt, den man in der Silvretta erreichen kann. Glücklich ist, wer als Schutzhütte einen solchen Paradegipfel als seinen „Hausberg“ bezeichnen kann. Doch auch wenn man nicht unbedingt Ambitionen hegt, sich durch die brüchigen Geröllrinnen der S-Wand gen Gipfelsteinmann nach oben zu kämpfen, muss man um diese landschaftlich traumhaft schöne Ecke Graubündens keinen Schlenker machen. Sich an einem Tag wie heute einfach im Umfeld der Lai da Glims „verlieren“ und anschließend zu einem leckeren Abendessen in die urige Chamanna dal Linard zurückkehren: Wie gerne würde ich das nun tun! Doch ich muss noch bis ins Tal absteigen, die gebuchte Unterkunft in Samnaun ruft...]


[Bild: Die Chamanna dal Linard bzw. Linardhütte (2327 m.) ist mit gerade einmal 38 Schlafplätzen eher von der kleinen und urigen Sorte. Das passt zur Region und auch zum Gipfelziel! Noch dazu ist die Hütte nur im Juli und August durchgehend bewirtschaftet, im September/Oktober gilt das nur für die Wochentage Freitag bis Sonntag. Mitglieder der Secziun Engiadina Bassa des SAC kümmern sich ehrenamtlich (!) um die Bewirtschaftung der Gäste, so dass man bei einem Aufenthalt ganz besonders wertschätzend und v. a. großzügig sein sollte. So eine Form der alpinen Schutzhütten-Infrastruktur ist etwas ganz besonders Unterstützenswertes und Wunderbares]


[Bild: Abstieg von der Chamanna dal Linard in Richtung Lavin - An einem Tag wie heute handelt es sich dabei um eine einzige Panoramaschau, die einen (fast) von alleine gen Unterengadiner Talboden trägt. Sich einfach treiben lassen, in einen wunderbar warmen, sonnigen Spätnachmittag hineinwandeln und die Aussicht (wie in diesem Fall zum schroffen Piz d'Arpiglias) genießen: Was kann es bitte Schöneres geben?]


[Bild: Die links erkennbare Chamanna dal Linard (2327 m.) steht ganz im Banne ihres gewaltigen Namenspatrons! Auch wenn der Piz Linard (3410 m.) natürlich das absolute Paradeziel der Umgebung ist, bieten sich von hier doch zahlreiche weitere spannende Touren an. Egal ob man eine mehrtägige Wanderung in die benachbare Bergwelt der Albula-Alpen via Flüelapass vor sich hat, das Engadin mit Ziel Davos oder Klosters hinter sich lässt oder gar einen der hochalpinen Silvretta-Übergänge in Richtung Vorarlberg bzw. Tirol in Angriff nimmt: Die Möglichkeiten, sie sind hier schier unbegrenzt]


[Bild: Wieder bei den pittoresken Wiesenflächen von Plan dal Bügl (1961 m.) oberhalb des Unterengadiner Bergsteigerdorfes Lavin, wo sich ein Kreis schließt. Zwar ist es von hier noch ein 500-Hm-Schotterpisten-Hatscher bis ins Tal, doch das ist angesichts der Mühen in der Piz Linard Südwand nun genau das Richtige. Viele mögen solche mitunter etwas monotonen Bergtourenabschlüsse verfluchen oder sich sehnlichst ein (E-)MTB herbeiwünschen, ich kann in solchen Augenblicken immer wunderbar über die soeben erlebte Tour reflektieren: Es ist ja eine gerne genutzte Floskel des Bergsteiger-Lateins, aber der Piz Linard (3410 m.) gehörte für mich tatsächlich zu jenen Gipfelzielen, die seit Jahren auf „der Liste“ standen. Besonders im goldenen Lärchen-Oktober 2017, in welchem ich im Zuge von Studienexkursionen dem Engadin mehrmals einen Besuch abstatten durfte, machte der Piz Linard auf mich einen nachhaltigen Eindruck. Als wir damals die Fuorcla Val Sassa im Schweizerischen Nationalpark in Richtung Val Sassa überschritten, präsentierte sich der Berg schließlich aus dem Bereich der Chamanna Cluozza im gleichnamigen Tal als so perfekt geformte, imposante Felspyramide, dass von da an absolut klar war, dass ich den höchsten Berg der Silvretta eines Tages besteigen würde. Leider ist das Engadin aus südbayerischer Sicht nicht „mal eben um die Ecke“, so dass man in der Realität meist dann doch eher gen Nördliche Kalkalpen oder Tiroler Zentralalpen aufbricht. Doch hier und heute hat es nun endlich mit der Linard-Besteigung geklappt: Ich könnte nicht glücklicher sein. Zwar hat die Normalroute durch die Südwand auf mich nur einen bedingt positiven Eindruck hinterlassen (weniger mühsame, steinschlagsichere Kamm- oder Grattouren mit mehr „echter Kletterei“ sind mir seltsamerweise einfach lieber als splitterbrüchige „Kanonenrohre“), aber dafür gehört die Rundumsicht vom Gipfel aufgrund der isolierten Position und umfassenden Dominanz zum Besten, was man in diesem Teil der Alpen erleben kann. Wer den Piz Linard an einem Tag wie heute „erwischt“, ist definitiv ein Glücksschwein]



L'Ailefroide Orientale (3847 m.) via „La Banane“


30-31. Juli 2025


[Bild: Auf dem Weg vom Talort Ailefroide zum Refuge du Sélé - Da wir erkannt haben, dass wir bergsteigerisch-alpinistisch in der hochgradig wilden Haute Écrins (zumindest für den Moment) noch etwas kleinere Brötchen backen müssen, gleichwohl zum Abschluss unseres erstmaligen Aufenthalts in der Dauphiné noch einen hohen 3000er besteigen wollen, haben wir uns für die kommenden 2 Tage den Ostgipfel des gewaltigen Ailefroide-Massivs vorgenommen: die Ailefroide Orientale (3847 m.) - Gut 1000 Hm Zustieg sind es aus dem Tal entlang des Torrent de Celse Nière bis zur Sélé-Hütte, welche für Kletter- und Hochtouren im Bereich von Ailefroide, Pic Sans Nom und Col du Sélé der klassische Ausgangspunkt ist. Wir sind schon sehr gespannt auf das, was uns erwarten wird. Denn auch wenn der Ostgipfel als technisch „einfachster“ (Kletterei II-III, Firn bis 40 Grad) und zugänglichster Gipfel der Ailefroide gilt, so findet die Tour doch in der unmittelbaren Nachbarschaft von Glacier Noire, Pic Sans Nom und Mont Pelvoux statt. Und allein das sollte bei jedem Bergsteiger für eine gehörige Portion Demut und Ernsthaftigkeit sorgen...]


[Bild: Im Bereich der steilen Felsstufe unterhalb des Refuge du Sélé, welche mit Drahtseilen umfassend versichert wurde, so dass einigermaßen trittsichere und schwindelfreie Wanderer hier eigentlich keine Probleme bekommen sollten. Die Hütte wird zwar v. a. von Kletterern und Hochtouristen zwecks Übernachtung aufgesucht, aber auch für Wanderer bzw. Tagesgäste ab Ailefroide stellt sie ein lohnendes Tagesziel dar. Denn auch wenn sich Glacier du Sélé und Glacier de l'Ailefroide in den letzten Jahrzehnten massiv zurückgezogen haben, befindet sich die Hütte doch nach wie vor in einer spektakulären Umgebung mit ringsherum aufragenden, maximal abweisenden Felswänden]


[Bild: Ausblick vom Refuge du Sélé (2511 m.) nach Westen zum Pointe du Sélé (3556 m.) und zur Cime du Coin (3527 m.) - Beide Gipfel werden relativ selten angegangen. Am ehesten erhält noch der Pointe du Sélé (unregelmäßig) Besuch, ermöglichen Glacier bzw. Col du Sélé doch eine einigermaßen unkomplizierte Annäherung an den Bergkörper, um dann zum Beispiel über den Südostgrat (alpine Kletterei III) aufzusteigen. In der Regel stehen diese schroffen Gesellen aber v. a. Spalier, wenn sich Seilschaften zur Ailefroide aufmachen]


[Bild: Nur etwa 1,5 km Luftlinie südlich oberhalb des Refuge du Sélé ragen der Pointe de Celse Nière (3429 m.) und der Pointe Guyard (3461 m.) in den Himmel. Zwischen den beiden erkennt man die kläglichen Reste des wilden und teilweise extrem steilen (!) Glacier des Bœufs Rouges, welcher speziell in seinem unteren (von ausgeapert-plattigen Felsstufen unterbrochenen) Bereich alles andere als einladend aussieht. Inwieweit hin und wieder Alpinisten von dieser Seite einen Aufstieg auf diese entlegenen Spitzen wagen, ist mir nicht bekannt. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich hier allzu häufig jemand nach oben kämpft]


[Bild: Am Beginn eines luftigen Felsbandes, das den Beginn der eigentlichen Kletterei am Bergkörper der Ailefroide Orientale markiert - Es ist kurz nach Sonnenaufgang am nächsten Morgen, wobei wir um 02:45 Uhr aufgestanden und ca. 03:40 Uhr von der Sélé-Hütte losmarschiert sind. Noch im Dunkeln sind wir zunächst einem teilweise drahtseilversicherten Pfad in westliche Richtung bergauf zur alten, heutzutage nur mehr als Not- bzw. Winterraum genutzten Sélé-Hütte (Ancien Refuge du Sélé | Refuge d'Hiver) gefolgt. Von dort führen die (meist recht deutlichen) Steigspuren ca. 250 Hm geradewegs bergauf nach Norden in das weite Kar zwischen Ailefroide Orientale, Pic Sans Nom und Aiguille de Sialouze. An einer Stelle ist eine relativ steile, vom Gletscher glattgeschliffene, plattige Felsstufe (II) zu überwinden, bis sich der Pfad schließlich markant nach links (Westen) wendet und (den Gletscherabfluss überquerend) ziemlich gerade auf den Bergkörper (Südostgrat) der Ailefroide Orientale zuführt. Eine mit einem (nur bedingt vertrauenerweckenden) Seil versicherte, rinnenartige Steilstufe (II-III) markiert den Einstieg in die eigentliche Route und verdeutlicht unmissverständlich, dass es von nun an ernst wird! Über plattige Felsstufen (I) geht es anschließend relativ unschwierig (immer den Steinmännern folgend) quer nach links bergauf zum Beginn eines markanten Felsbandes, das am Anfang eine kurze, aber ausgesetzte Unterbrechungsstelle (II+) aufweist und die faktische Umgehung des hier aufsteilenden SO-Grates ermöglicht. Die auf dem Foto ersichtliche Stelle kann (im Aufstieg) rechts oberhalb im Fels umgangen werden, wobei wir diese Variante nur auf dem Rückweg genutzt haben]


[Bild: Rückblick auf das luftige Felsband (links), das den Südostgrat der Ailefroide Orientale durchzieht. Dieses Band muss man zwingend passieren, sonst ist man definitiv falsch! Bis auf die ausgesetzte, abdrängende Unterbrechungsstelle (II+) zu Beginn ist das Felsband technisch unschwierig und im Grunde leider viel zu schnell vorbei. Während wir uns langsam aber sicher klettertechnisch „warmlaufen“, müssen wir uns nun vorerst vom imposanten Pic Sans Nom (3913 m.) verabschieden, welchen wir hoffentlich in ein paar Stunden von einer höheren Position aus wiedersehen werden]


[Bild: Immer aufmerksam den Steinmännern folgend und den GPX-Track stets zur Hand, folgen wir der Route quer durch die SO-Abstürze der Ailefroide Orientale in südwestliche Richtung, wobei es einmal markant für einige Meter bergab geht. Glücklicherweise steht der Sonnenaufgang kurz bevor, so dass die Orientierung sehr bald noch einmal ein gutes Stück einfacher fallen wird. Denn die Hauptschwierigkeit beim Zustieg zur sogenannten Banane (der einprägsame, leicht gebogene Schneekolk, welcher zum höchsten Punkt der Orientale leitet) ist, sich hier schlichtweg nicht zu versteigen]


[Bild: Morgenstimmung beim Aufstieg zur Ailefroide Orientale - Während wir uns über Felsstufen, Bänder und plattige Rampen kraxelnd um den SO-Grat der Ailefroide herumwinden, leuchten Pointe de Celse Nière (3429 m.) und Pointe Guyard (3461 m.) im ersten Licht des Tages. Stabilem Hochdruckwetter sei Dank, steht uns ein grandioser Tag hoch über den weiten Tälern und wilden Felswänden des Vallouise inmitten der Haute Écrins bevor]


[Bild: Die Pointe des Bœufs Rouges (3516 m.) und die Pointe du Sélé (3556 m.) werden vom ersten Licht des Tages verwöhnt. Auch heute werden sicher wieder ein paar Seilschaften den (landschaftlich großartigen!) Aufstieg über den Glacier du Sélé in den gleichnamigen Col (3283 m.) in Angriff nehmen. Ob die beiden stolzen, den Pass flankierenden 3000er hingegen heute Besuch erhalten, ist noch einmal eine ganz andere Frage...]


[Bild: Während Pointe de Celse Nière (3429 m.) und Pointe Guyard (3461 m.) erst seit wenigen Minuten von der Sonne gewärmt werden, dürfte der links hinten in der Ferne erkennbare Monviso, der „Re di Pietra“ (der König aus Stein) und unangefochtene Herrscher der Cottischen Alpen, schon etwas länger den neuen Tag willkommen heißen. Schon lange wollte ich einmal an so einem goldenen Tag in die hochalpinen Gipfelwelten der Dauphiné emporsteigen und nun ist es endlich so weit: Ich kann die kommenden Stunden kaum erwarten]


[Bild: Beim kurzen Zwischenabstieg von den luftigen Felsbändern (welche den SO-Grat der Ailefroide Orientale queren) in eine blockreiche Rinne, welche sich weiter oben (oberhalb einer Steilstufe) zu einem weiten Geröllhang weitet und letztlich (unterbrochen durch eine Felswand) in eine Firnflanke übergeht. Um jedoch besagte Geröllhänge unterhalb der Firnflanke zu erreichen, müssen wir am westlichen Rand der Rinne erst einmal über gestuftes (aber sehr steiles) Gelände aufsteigen, wobei noch einmal ein paar leichte Kletterstellen (max. II) zu bewältigen sind]


[Bild: Auf dem Weg zur Felsstufe, welche in einem Bogen (rechterhand) den Zugang zu den weiten Geröllhängen unterhalb der Firnflanken vermittelt. Steinmänner, eine im Grunde logische Routenführung (= Weg des geringsten Widerstandes) und der konstante GPS-Gegencheck lassen im Grunde keine Zweifel an der Linie aufkommen, wobei an einer fast senkrechten Wandstufe (II) beherzt zugepackt werden muss. Ganz ohne Kletterei kommt man auch hier nicht durch, wobei man definitiv falsch ist, wenn man sich hier im IIIer-Gelände wiederfindet]


[Bild: Unterhalb des ersten Firnfeldes, welches unmittelbar oberhalb der Felswand beginnt. Wir haben an dieser Stelle die steilen Bänder und Felsstufen der südöstlichen Gratabstürze der Ailefroide Orientale endgültig hinter uns gelassen und können nun vergleichsweise entspannt im Geröll aufsteigen. Höhenmetertechnisch haben wir hier zwar erst etwa die Hälfte geschafft, aber dafür ist die weitere Aufstiegsroute von nun an vollkommen logisch, so dass wir uns voll und ganz auf die reinen technischen Schwierigkeiten fokussieren können]


[Bild: Auf einer deutlich ausgetretenen Geröllspur geht es über die Geröllflanke bergauf, wobei wir uns leicht links halten und eine offensichtliche „Schwachstelle“ in dem sperrenden Felsriegel anvisieren: eine rampenartige Felsstufe, welche in leichter Kraxelei (I-II) an den oberen Rand der Abbrüche zum Glacier de l'Ailefroide leitet. Von dort sind es dann nur mehr ein paar blockreiche Hänge und Stufen bis zur unteren Firnflanke]


[Bild: Ausblick beim Zustieg zur Banane zum spaltenreichen Glacier de l'Ailefroide, welcher nur in seinem oberen östlichen Bereich (hier nicht sichtbar) mit der Aufstiegsroute zur Ailefroide Orientale verbunden ist. Der Gletscher spielt v. a. für Seilschaften eine Rolle, die von der Ailefroide Occidentale (3953 m.) nicht auf der Aufstiegsroute absteigen oder z. B. die Gratüberschreitung von der Occidentale zur Orientale (und umgekehrt) abbrechen müssen. Aus dem oberen Gletscherbecken ist nach erfolgtem (Not-)Abstieg eine relativ unkomplizierte Querung zum Schneekolk der Banane möglich. Ansonsten erhält dieser Gletscher (speziell in seinem zerklüfteten unteren Bereich) nur wenig Besuch und verleiht einer Ailefroide-Tour in erster Linie das hochalpine Begleitambiente]


[Bild: Ausblick beim Aufstieg zur Ailefroide Orientale zum Gipfelpaar Pointe des Bœufs Rouges (3516 m.) und Pointe du Sélé (3556 m.) - Links kann man den stark geschrumpften Glacier du Sélé erkennen, welcher den Zugang zum gleichnamigen Col du Sélé (3283 m.) zwischen den beiden Spitzen vermittelt. Wie es wohl auf der anderen Seite Richtung Les Bans (3669 m.) und Glacier de la Pilatte aussieht...?]


[Bild: Im Zustieg zur unteren Firnflanke (unterhalb der eigentlichen Banane), wobei das Gelände wesentlich angenehmer zu begehen ist, als es hier den Anschein hat. Meist deutliche Begehungsspuren und zahlreiche Steinmänner unterstützen bei der Findung einer möglichst einfachen Aufstiegsroute, wobei man als Orientierungshilfe (grob) die gestuften Felsen unterhalb des kleinen Schneefeldes (unmittelbar unterhalb des Himmels) anvisieren sollte. Leichte Kraxelstellen (I-II) können dabei je nach Aufstiegslinie „auftreten“, wobei das Gelände aber in jedem Fall deutlich moderater ist, als noch in den wilden Bändern des SO-Grates]


[Bild: Am Beginn des Firnfeldes, welches (nur unterbrochen durch die wandartige Felsstufe links oben) zur Banane führt. Es gilt hier, den (im Aufstieg) rechten Wandteil der Steilstufe anzuvisieren, da die klettertechnischen Schwierigkeiten dort am geringsten sind (II-III je nach Linie). Wie man wiederum bis dorthin kommt, hängt von den allgemeinen Firnverhältnissen und den persönlichen Präferenzen ab: Wir entscheiden uns im Aufstieg für die Zickzack-Variante (mit einem ausholenden Bogen nach rechts) und im Abstieg für den steileren Direktabstieg im westlichen (hier linken) Bereich]


[Bild: Am Beginn der steilen Wandstufe unterhalb der Banane - Da das Firnfeld seit Jahren immer stärker abschmilzt bzw. an Masse verliert, verlängert sich die zu kletternde Felspassage von Jahr zu Jahr. Waren es früher in schneereichen Jahren höchstens 20-30 Hm sind es mittlerweile in der Regel ca. 50 Hm, die im sehr steilen (aber gutgriffigen) Felsgelände bewältigt werden müssen. Vorhandene Haken verdeutlichen, dass hier mitunter (v. a. von Bergführern) gesichert bzw. abgeseilt wird. Wir gehen jedoch alles seilfrei, was in meinen Augen hier auch sinnvoll ist, da stellenweise hohe Steinschlaggefahr herrscht]


[Bild: Gute Tritte und Griffe sowie fester Fels machen die Wandstufe unterhalb der Banane zu einem unterwartet kurzweiligen Klettervergnügen. Auf der optimalsten Route kommt man hier wohl mit einer II durch, da die meisten Bergsteiger hier aber angesichts der Kürze der Felspassage nicht jeden nächsten (Kletter-)Meter präzise abwägen werden, wird man wohl zwangsläufig im Schwierigkeitsbereich II+/III- landen. Den vollen Schwierigkeitsgrad III sollte man hier nicht erreichen, da man es sich sonst unnötig schwer macht. In jedem Fall handelt es sich neben der seilversicherten Steilstufe am Einstieg (II-III), der Unterbrechungsstufe (II+) am Felsband unterhalb des SO-Grates und der Felsstufe (II) unterhalb der Geröllflanken im Zustieg zur unteren Firnflanke um die klettertechnisch schwierigste Passage des Aufstiegs: Bei trockenem Fels durchaus der Inbegriff von Kraxelspaß, bei nassem oder gar vereistem Fels jedoch hochgradig gefährlich!]


[Bild: Tiefblick über die steile Wandstufe, die das untere Firnfeld von der eigentlichen Banane „abschneidet“ - Auch wenn der Fels hier ziemlich fest und in Summe gut zu klettern ist, liegt doch (v. a. im westlichen, deutlich steileren Abschnitt) viel loses Geröll herum, so dass man v. a. bei größeren Gruppen sehr aufpassen muss. (Mobil) Sichern könnte man wohl nur mit großem Aufwand, so dass hier idealerweise jeder ungesichert steigen kann. Ein Bergführer (rechts unten auf dem Firn erkennbar) ist hier mit seinem Gast am kurzen Seil abgestiegen, was uns darin bestärkt, es auch im Abstieg abkletternd zu versuchen]


[Bild: Oberhalb der Wandstufe am Beginn der Banane und nur mehr ca. 250 Hm vom Gipfel der Ailefroide Orientale entfernt, weitet sich (gefühlt) mit einem Schlag die Aussicht: Auf einmal verdecken Pointe des Bœufs Rouges (3516 m.) und Pointe du Sélé (3556 m.) nicht mehr den Blick zum gewaltigen Sommet Sud des Bans (3669 m.), welcher zu den anspruchsvollsten und einsamsten großen 3000ern der Haute Écrins gehört. Und auch wenn uns mit dem bis zu 40 Grad steilen Schneekolk der „La Banane“ nun das Grande Finale und (formell) einer der anspruchsvollsten Abschnitte der Tour noch bevorsteht, sind nach der Bewältigung auch der letzten anspruchsvollen Kletterpassage doch bereits die meisten Zweifel abgefallen. Vielleicht liegt es am schlichtweg grandiosen Setting und der nun schier endlos weiten Fernsicht, aber irgendwie habe ich es im Gefühl, dass uns die Banane nun förmlich zum höchsten Punkt der Orientale katapultieren wird...]


[Bild: Bei traumhaft schönem Wetter am Beginn der „La Banane“, welche uns nun über gut 150 Hm bis zum obersten Gipfelaufbau der Ailefroide Orientale leiten wird. Da die Firnbedingungen offenkundig perfekt sind und uns daher die nun folgenden gut 35-40 Grad Steilheit der Banane wohl nicht vor größere Probeme stellen werden, steigt die ohnehin bereits gute Stimmung nun mit jedem (Höhen-)Meter. Wir sind schon extrem gespannt, wie sich die Aussicht vom Ostgipfel der Ailefroide gen Pic Sans Nom, Barre des Écrins und Glacier Noire präsentieren wird: Bei der Vorstellung muss man fast unweigerlich grinsen]


[Bild: Analog zum ersten Firnfeld kurz zuvor beschließen wir auch am Beginn der Banane zuerst ein Stück „nach außen“ (in diesem Fall nach Westen in Richtung Ailefroide) zu queren und dann in einem Bogen aufzusteigen (im Abstieg werden wir die steile, direkte Variante nehmen). Das Gelände ist hier noch nicht allzu steil (kaum 30 Grad) und so lassen wir den Blick entspannt über den Glacier de l'Ailefroide (links) zum gleichnamigen Gipfelaufbau schweifen: Wer weiß, wie viele Seilschaften wohl gerade die anspruchsvolle Gratüberschreitung (Kletterei bis IV+/V) von der Occidentale zur Orientale unternehmen...?]


[Bild: Rückblick über die 35 bis max. 40 Grad steile Banane, welche am heutigen Tag glücklicherweise annähernd perfekte Verhältnisse aufweist (= griffiger Firn, gut gelegte Spur). Während wir langsam aber stetig den markant gebogenen Schneekolk emporstapfen, weitet sich mit jedem weiteren Höhenmeter die Fernsicht nun so massiv, dass wir mittlerweile am Horizont sogar die Seealpen (!) ausmachen können. Weniger als 200 Hm sind es nur mehr bis zum Gipfel der Orientale und wir können es kaum erwarten, endlich oben anzukommen]


[Bild: Im Aufstieg über die Banane, welche schließlich an einer gerölligen Felsstufe endet. Entweder man steigt hier (rechterhand) bis zum oberen Ende auf oder man weicht kurz vorher nach links aus und steigt in einer kurzen, etwas bröseligen Rinne (oberhalb der ersichtlichen „Z-Spur“ im Firn) direkt auf. Letztere Variante hat den Vorteil, dass man sich oberhalb unmittelbar entscheiden kann, ob man von dort über einen blockreichen Hang oder (weiter rechts) über ein Firnfeld die letzten gut 100 Hm zum höchsten Punkt aufsteigen will]


[Bild: Ausblick vom oberen Ende der Banane zu den südlichen Bergen der Haute Écrins rund um den alles dominierenden Sommet Sud des Bans (3669 m.) - Links von Les Bans kann man (etwas entfernt) den Le Sirac (3441 m.) erkennen, welcher mit seinem gezackten Gipfelgrat an den Rücken eines urzeitlichen Reptils erinnert. Im Gegensatz zu diesen noch relativ stark vergletscherten, hochalpinen 3000ern künden die fernen Seealpen (links am Horizont) schon von mediterranen Landen: Was für ein Kontrast!]


[Bild: Aufstieg über die oberste Gipfelflanke der Ailefroide Orientale - An diesem Punkt sind im Grunde alle technischen Schwierigkeiten überwunden und nur mehr 10-15 Minuten Steigarbeit in Blockwerk und teilweise Firn trennen uns vom höchsten Punkt. Außer uns ist mittlerweile niemand mehr an der Orientale unterwegs (im Aufstieg sind uns zwei bereits im Abstieg befindliche Bergführer-Seilschaften entgegen gekommen), so dass wir den Gipfel tatsächlich ganz für uns alleine haben werden]


[Bild: Landschaftlich herausragend schöner Schlussakt beim Aufstieg zur Ailefroide Orientale: Oberhalb der Banane geht es über einen nur mehr mäßig steilen Firnhang entspannt das letzte Stück bergauf, während links in der Ferne der omnipräsente Monviso (3841 m.) aus den Cottischen Alpen herübergrüßt]


[Bild: Gleich haben wir es geschafft! Knapp unterhalb des Gipfels der Ailefroide Orientale fällt der Blick noch einmal zurück zur Banane (mittig unten) und zu den stolzen Dauphiné-Gipfeln rund um den Sommet Sud des Bans (3669 m.) ganz rechts. Etwa 6 Stunden haben wir (inkl. aller Pausen) ab dem Refuge du Sélé bis hierher gebraucht: Keine außergewöhnlich schnelle Zeit (zumal es sich „nur“ um ca. 1400 Hm handelt) und deutlich langsamer als die Bergführer-Seilschaften (die Profis veranschlagen für die Orientale meist etwa 4-4,5 Stunden), aber wir sind trotzdem sehr stolz auf uns]


[Bild: Ausblick von der Ailefroide Orientale (3847 m.) über den vom Pic Coolidge (3775 m.) überragten hinteren Talschluss des Glacier Noire zur gewaltigen Barre des Écrins (4102 m.) - Ganz links stellt sich die felsige Aiguille du Plat de la Selle (3596 m.) zur Schau, während links der Barre der von Firnfeldern dekorierte Râteau (3809 m.) erkennbar ist. Wer indes genau hinschaut, kann zwischen Le Râteau und Barre des Écrins sogar die kühne Spitze des legendären Grand Pic de la Meije (3983 m.) ausmachen. Was für ein Panorama: Wir sind erst wenige Augenblicke am Ostgipfel der Ailefroide und bereits hin und weg!]


[Bild: Auch wenn man mit dem vom Hauptmassiv der Ailefroide deutlich abgetrennten Ostgipfel (3847 m.) eine absolut vollwertige und eigenständige (ca. 75 Meter Prominenz) Bergspitze bestiegen hat, wird von hier doch deutlich, dass der zerklüftete Felsgrat zwischen Ailefroide Occidentale (3953 m.) und Pointe Fourastier (3908 m.) schon noch einmal Welten entfernt ist: Großen Respekt an alle Seilschaften, die sich an die sehr anspruchsvolle Überschreitung (Kletterei bis IV+/V) wagen! Und sogar noch einmal einige Nummern wilder und schärfer sind wiederum die rechts teilweise ersichtlichen Abgründe der oberen Ailefroide Occidentale Nordwestwand, welche in Form der mystischen Gervasutti-Devies-Führe sogar Eingang in Walter Pauses „Im extremen Fels“ gefunden hat]


[Bild: Atemberaubender Ausblick von der Ailefroide Orientale (3847 m.) zum östlich benachbarten Pic Sans Nom (3913 m.) und zum von hier seltsam unscheinbar wirkenden Pic du Coup de Sabre (3699 m.) unmittelbar davor. Ob heute wohl Seilschaften diesen wohl kühnsten hohen 3000er zwischen Ailefroide und Pelvoux erreichen werden...? In jedem Fall stockt einem beim Blick in die düsteren Untiefen der Pic Sans Nom Nordwand (welche v. a. durch ihre legendäre George-Russenberger-Führe bekannt geworden ist) unweigerlich der Atem. Es gibt Kletterer wie Sepp Gwiggner (welcher tatsächlich alle Routen aus „Im extremen Fels“ erfolgreich geklettert ist), die die N-Wand des Pic als eine der schwierigsten und gefährlichsten „Pause-Touren“ bezeichnen... Für mich absolut unerreichbar und astronomisch weit weg (!), doch vielleicht werde ich diese düstere, unvergleichlich wilde Wand eines Tages zumindest einmal vom Pic Coolidge oder der Barre des Écrins aus genauer in Augenschein nehmen können]


[Bild: Vielleicht eines der eindrucksvollsten und außergewöhnlichsten Panoramen, das ich in meiner bisherigen „Bergsteigerkarriere“ im Alpenraum erleben durfte: Tiefblick von der Ailefroide Orientale (3847 m.) zum beinahe vollständig schuttbedeckten Glacier Noire, welcher sich (eingezwängt zwischen Barre des Écrins und Trabanten, Mont Pelvoux, Pic Sans Nom, Ailefroide und Pic Coolidge) aus der Gegend südöstlich des Col de la Temple über viele Kilometer ins Tal schiebt und den (wie es Ralf Gantzhorn und Hartmut Eberlein ganz treffend beschrieben haben) „vielleicht wildesten und furchteinflößendsten Felsenkessel der Dauphiné“ darstellt. Dieses „Amphitheater des Zerfalls“ (Gantzhorn & Eberlein) einmal von oben zu sehen (egal von welchem der umliegenden Gipfel), gehört wohl zu den erhabendsten Momenten, die man als normaler Alpinbergsteiger erleben kann]


[Bild: So nah und doch so fern: Nur etwa 1,5 km Luftlinie liegen zwischen dem Pic Sans Nom (3913 m.) und der Ailefroide Orientale (3847 m.), doch gefühlt sind es Welten. Zwar mussten wir uns den Aufstieg auf den Ostgipfel der Ailefroide hart und ehrlich erarbeiten (immerhin Kletterei bis II+/III, Firn bis 40 Grad und satte 2400 Hm ab dem Parkplatz), doch der „Berg ohne Namen“ dürfte noch einmal eine ganz andere Hausnummer sein. Der leichteste Anstieg, welcher offenbar vom Col du Pelvoux durch die furchterregend steilen Rinnen und Bänder der Südostwand zum Gipfel führt, verlangt steinschlaggefährdete, sehr ernste IIIer-Kletterei, wobei man in jedem Fall Reserven nach oben haben sollte. In der Regel wird diese Route jedoch v. a. als Abstieg (!) vom Gipfel nach einer Klettertour (z. B. durch die N-Wand) genutzt. Normalbergsteiger (wie wir es de facto nun einmal sind) haben am Pic Sans Nom ehrlicherweise nichts verloren und sollten sich z. B. lieber seinem kaum weniger eindrucksvollen Nachbarn namens Mont Pelvoux zuwenden]


[Bild: Tiefblick von der Ailefroide Orientale (3847 m.) zur markanten (ganz links außen ersichtlichen) Aiguille de Sialouze (3576 m.), welche sich elegant aus dem Südgrat des Pic Sans Nom erhebt und aufgrund des wunderbar festen Granits von Kletterern hoch geschätzt wird. Die Überschreitung dieses eindrucksvollen Kletterberges (5b bzw. V+/VI-) ab der markanten Einschartung der Brèche de Sialouze (3319 m.) stellt für versierte Alpinisten die ideale Akklimatisation vor z. B. einer Mont Pelvoux-Überschreitung dar, sollte jedoch trotz des (in Kontrast zum deutlich brüchigeren Gneis des Pic Sans Nom) traumhaft festen Gesteins nicht unterschätzt werden. Nicht zu vernachlässigen sind indes natürlich auch die Fernblicke, wobei insbesondere die unverkennbare Felspyramide des Monviso (3841 m.) die Blicke fast schon magisch anzieht]


[Bild: Ausblick von der Ailefroide Orientale (3847 m.) über den Talschluss des Vallouise und den Glacier du Sélé zum dominierenden Sommet Sud des Bans (3669 m.) - Obwohl es mittlerweile schon nach 10 Uhr ist und die Haute Écrins bekannt für ihr mitunter recht quellwolkiges Wetter ist (wobei das Ganze noch kein Vergleich zum Monviso ist, dem Wolkenfänger der Poebene schlechthin), werden wir weiterhin von einem vollkommen klaren Panorama bis zu den Seealpen verwöhnt: Was für ein unglaubliches Wetterglück wir doch haben]


[Bild: Es scheint, als könne man einfach vom Ostgipfel zum Hauptmassiv der Ailefroide herüberqueren... Das ist natürlich nur ein Trugschluss, ist die Orientale doch durch eine tief eingehauene, wilde Scharte vom (rechts außen ersichtlichen) Pointe Fourastier (3908 m.) deutlich abgetrennt. Zudem bricht das Schneefeld in der Bildmitte sehr bald ziemlich steil zum Glacier de l'Ailefroide ab. Wir verzichten angesichts des uns noch bevorstehenden 2400-Hm-Abstiegs ins Tal daher auf „optionale Ausflüge“ vom Gipfel aus und lassen stattdessen die wirklich grandiose Aussicht in Ruhe auf uns wirken]



[Bild: Gipfelglück auf der Ailefroide Orientale (3847 m.) im Herzen der wilden, unvergleichlich hochalpinen Haute Écrins - Auch wenn es im Zuge dieses erstmaligen Dauphiné-Aufenthalts nicht mit dem Berg links im Hintergrund (der Barre des Écrins) geklappt hat, da uns die Tour als Seilschaft etwas zu anspruchsvoll vorkam, bin ich doch unglaublich glücklich (und auch etwas erleichtert), dass es am Ende noch mit einem richtig hohen „Écrins-3000er“ geklappt hat. Auch wenn die Ailefroide Orientale eher in die Kategorie der (für Dauphiné-Verhältnisse) leichten Hochtouren fällt, haben wir uns diesen stolzen Berg doch hart erarbeitet. Teilweise ausgesetzte Kletterei bis Schwierigkeitsgrad II+/III, Firn bis 40 Grad Steilheit und eine mitunter etwas knifflige Orientierung sind in Summe (zumal 1400 Hm ab der Hütte bzw. 2400 Hm ab dem Tal bewältigt werden müssen) ziemlich knackige Gesamtanforderungen. Die Franzosen bewerten die Normalroute auf die Ailefroide Orientale (je nach Quelle) mit F+ bis max. (!) PD. In den Ostalpen wäre diese Tour sicher ein PD+ bis AD-, was noch einmal verdeutlicht, wie streng Hochtouren in diesem Teil der (West-)Alpen bewertet sind]


[Bild: Abstieg über den obersten Gipfelhang der Ailefroide Orientale zur Banane (rechts unten). Bei Nebel bzw. schlechter Sicht muss man hier etwas aufpassen, nicht ausversehen auf das linke (östliche) Schneefeld abzusteigen und dort den Abstieg zu forcieren, da man sonst schnell in vogelwildes Gelände kommt. Im Normalfall sollte die Orientierung aber zumindest bis zu den Geröllflanken unterhalb der Banane (westlich des SO-Grates der Orientale) keine Probleme bereiten. Wir wissen nun, was uns erwartet und logischerweise auch wo wir hin müssen und so können wir (trotz der Aussicht auf stramme 2400 Hm Abstieg) die Aussicht nach wie vor (noch) genießen]


[Bild: Am oberen Ende der Banane, welche sich zwar mittlerweile in etwas aufgeweichtem Zustand präsentiert, aber in Summe immer noch „gut zu gehen“ ist. Grober Orientierungspunkt ist hier der der Banane vorgelagerte Gupf rechts unten, wobei wir im Abstieg direkt zur steilen Wandstufe zwischen den beiden Firnfeldern absteigen wollen, um Zeit zu sparen. Erste kleine Quellwolken machen zudem auf dezente Art und Weise klar, dass sich das wolkenlose, absolut perfekte Wetter langsam aber sicher dem Ende entgegenneigt]


[Bild: Abstieg über die 35-40 Grad steile Banane, welche in einem markant geschwungenen Bogen (welcher auch für den ungewöhnlichen Namen verantwortlich ist) bergab führt. Wahrscheinlich wird der Klimawandel die Banane in einigen Jahren komplett abgeschmolzen haben, allzu mächtig ist das Eis hier im Spätsommer bzw. Herbst leider nicht mehr. Ist dieser Schneekolk blank, besteht akute Absturzgefahr zum Glacier de l'Ailefroide (rechts) hin, weswegen man diese Tour am besten noch vor Mitte August unternimmt (mit klarer Tendenz zu Juni-Juli). In der Regel gibt es im Refuge du Sélé tagesaktuelle Informationen zu den Verhältnissen, so dass man sich vorab (ggf. auch telefonisch) informieren kann. Das „bonnes conditions“ am Aushang hat uns gestern bei der Ankunft natürlich erst einmal entsprechend beflügelt]


[Bild: Das gewaltige Hauptmassiv der Ailefroide begleitet uns beim Abstieg über die Banane. Die enorm schwierige Gratüberschreitung (IV+/V) reizt mich insofern nur bedingt, als dass sie wohl (vom Gesamtanspruch her) schlichtweg 1-2 Nummern zu schwierig für mich ist. Aber die beiden Normalrouten, entweder die Südflanke oder der Südostgrat, könnten irgendwann einmal vielleicht einen Versuch wert sein. Da das Abschmelzen der Gletscher bei der Südflanke wohl teilweise allzu „ungutes“ Felsgelände freigelegt hat, ist wahrscheinlich (wenn) eher der SO-Grat naheliegend. Dieser verlangt wohl Kletterei bis III/III+ (wenige Stellen), ist aber dafür gletscherfrei. Wer weiß, welche Abenteuer in der Haute Écrins sich in Zukunft noch so ergeben werden...]


[Bild: Wieder am unteren Ende der Banane angekommen, werden wir uns sehr bald wieder der Steigeisen entledigen, da wir (wie schon im Aufstieg) die steile, teilweise geröllbedeckte Wandstufe mit den Bergschuhen abklettern wollen. Während wir uns mental schon einmal auf die unmittelbar bevorstehenden knapp 50 Hm im Schwierigkeitsgrad II bis III- (je nach Linie) vorbereiten, beginnen die Wolken immer stärker zu quellen. Möglicherweise werden innerhalb der nächsten 30-60 Minuten die ersten Gipfel der Écrins eingenebelt, aber das ist uns angesichts der geglückten wolkenlosen Gipfelschau im Grunde eigentlich relativ egal]


[Bild: Vorsichtig klettern wir über die sehr steile, teilweise schuttbedeckte Wandstufe ab, wobei wir uns hier sehr bald schräg links halten und uns in Form einer Abwärtsquerung der Felswand annähern werden, um dort dann zum Firnfeld abzuklettern. Der Abseilstand (links unten) verdeutlicht, dass hier im Abstieg oftmals abgeseilt wird, wobei in diesem Bereich der Wandstufe die Steinschlaggefahr sehr hoch ist! Wir klettern hier ungesichert und fühlen uns eigentlich zu jeder Zeit sicher und wohl, da der Fels meist fest und zuverlässig ist und weiter links (östlich) auch deutlich weniger loses Geröll herumliegt. Die Kletterei ist zudem nicht anhaltend II-III, sondern nur an wenigen, kurzen Stellen. Meistens handelt es sich um ausgesetztes Kraxelgelände im Bereich I-II, so dass man nur kurzzeitig mit Gesicht zum Fels wirklich ernsthaft (!) abklettern muss]


[Bild: Nachdem wir auch das untere Firnfeld unterhalb von La Banane und Wandstufe problemlos hinter uns gelassen haben, geht es anschließend über die uns bereits bekannten, weiten Blockwerk- und Geröllhänge abwärts. Auch wenn wir diesen Abschnitt im Aufstieg bereits vollständig im Hellen passiert haben, sieht es im Abstieg irgendwie noch einmal ganz anders aus. Es gilt hier, konsequent GPX-Track unterstützt und penibel auf Steinmänner achtend, den markanten Schwenk nicht zu verpassen, der irgendwann nach links (Osten) in die geröllige Rinne führen wird, welche den SO-Grat begrenzt. Noch geht es aber erst einmal ein gutes Stück relativ direkt bergab]


[Bild: Geröllige Weiten beim Abstieg von der Ailefroide Orientale - Noch geht es ein Stück in direkter Linienführung abwärts, aber da das Kar irgendwann in wilde Wandstufen übergeht und extrem steil zum Vallouise abbricht, müssen wir den passenden Abzweig erwischen, der uns linkerhand zu den ausgesetzten Bänderquerungen des Südostgrates leiten wird. Es gibt hier zwar durchaus Varianten wie das Südost-Couloir, welches zwar direkter, aber auch steiler und anspruchsvoller ist (ich vermute den oberen Einstieg in das Couloir bei dem von der Sonne beschienenen, vorgelagerten Felskörper schräg links der Bildmitte unterhalb des Felszackens). Wir wagen an diesem Punkt natürlich keine Experimente mit ungewissem Ausgang und folgen brav unserem Track und den Steinmännern. Wir möchten heil von diesem hochalpinen Berg wieder herunterkommen und wissen, dass uns das auf der „Voie Normale“ auch gelingen wird]


[Bild: Luftige, aber nur mäßig schwierige (I-II) Kletterei in den Südostabstürzen der Ailefroide Orientale - Man muss in diesem Abschnitt (auf dem „Weg“ zu dem markanten Felsband, das den Südostgrat horizontal durchzieht und die ausgesetzte Unterbrechungsstelle aufweist) orientierungstechnisch gut aufpassen. Zwar gibt es ausreichend Steinmänner und meist recht deutliche Begehungsspuren, dennoch müssen wir auch beim Abstieg ein paar mal innehalten und checken, wo es weitergeht (obwohl wir die Route ja eigentlich bereits kennen). Zudem handelt es sich hierbei fast durchgehend um anspruchsvolles Felsgelände, in dem man wirklich trittsicher und schwindelfrei sein sollte]


[Bild: Unterwegs auf dem sehr luftigen Felsband, das den SO-Grat der Ailefroide Orientale durchzieht und im Auf- bzw. Abstieg in jedem Fall passiert werden muss, da alle anderen etwaigen Varianten weiter oben oder unten deutlich (!) schwieriger und riskanter sind. Bis auf die noch folgende ausgesetzte Unterbrechungsstelle (II+), welche oberhalb auch umgangen werden kann (II), ist dieses Felsband technisch nicht wirklich schwierig und v. a. ein schönes Fotomotiv, zumal sich rechts im Hintergrund auch noch der Pic Sans Nom (3913 m.) wunderbar in Szene setzt. Hier sind v. a. Schwindelfreiheit und Trittsicherheit gefragt, geht es rechterhand doch steil in die Tiefe: Einen Fehler kann man sich hier definitiv nicht leisten]


[Bild: Leichte, aber ausgesetzte Kraxelei (I) oberhalb der steilen Abbrüche zu dem zwischen Ailefroide und Pic Sans Nom eingebetteten Geröllkar hin. Ungefähr 15 Minuten trennen uns noch von dem Kar, nur mehr die sehr steile rinnenartige Steilstufe (II-III bzw. A0, wobei das Fixseil keinen sehr vertrauenerweckenden Eindruck gemacht hat und wir diese Stelle daher auch im Abstieg freikletternd bewältigen) muss überwunden werden]


[Bild: Ausblick aus den SO-Abstürzen der Ailefroide Orientale über das östlich davon gelegene, weite Geröllkar, welches nördlich vom imposanten Pic Sans Nom (3913 m.) überragt wird. Mittig im Hintergrund setzt sich zudem die elegante Felsnadel der Aiguille de Sialouze (3576 m.) in Szene und stellt dabei den prächtigen Südgrat zur Schau (V+/VI- bzw. 5b), welcher die wohl lohnendste (alpine) Genuss-Klettertour ab dem Refuge du Pelvoux darstellt]


[Bild: Entspanntes, aber hochkonzentriertes Abklettern vom Südostgrat der Ailefroide Orientale, während rechts im Hintergrund der steile, schrecklich ausgeaperte Glacier des Bœufs Rouges herübergrüßt. Wer ganz genau hinschaut, kann rechts der Bildmitte vielleicht schon die alte Sélé-Hütte (Ancien Refuge du Sélé / Refuge d'Hiver) erkennen. Noch sind es immerhin etwa 500 Hm bis zur eigentlichen Sélé-Hütte bzw. 1400 Hm (und viele Km) bis zum Parkplatz... O mei]


[Bild: Pic du Coup de Sabre (3699 m.), Pic Sans Nom (3913 m.) und Aiguille de Sialouze (3576 m.) könnten rein von ihrem optischen Erscheinungsbild her auch in den Dolomiten stehen. Doch überragen sie allesamt selbst die Marmolada um viele hundert Höhenmeter. Besonders der kühne Pic Sans Nom, welcher (stünde er in den Ostalpen) nur von den Bergen der Bernina überragt werden würde, steht idealtypisch für den „Nimbus Westalpen“, welcher sich besonders in Haute Écrins, Mont-Blanc-Gruppe, Wallis und Berner Alpen manifestiert. Am Morgen haben wir (noch im Dunkeln) die Stirnlampen einiger Seilschaften gesehen, die sich zum (Pic du) Coup de Sabre bzw. zur SW-Seite des Pic Sans Nom aufgemacht haben: Welcher der wilden Kletterrouten sie wohl unternommen haben...?]


[Bild: Rückblick aus dem gerölligen Kar südlich des Pic Sans Nom zum unteren SO-Grat der Ailefroide Orientale. Der mit einem windigen Fixseil versicherte Einstieg (II-III, rinnenartige Steilstufe) befindet sich ungefähr im Bereich des kleinen Schneefeldes ganz rechts. Gäbe es keine eindeutigen Spuren im Geröll, die verlässlich auf den Einstieg zuführen, bzw. sinnvoll platzierte Steinmänner oder GPX-Tracks, mir würde bei diesem Anblick definitiv die Fantasie fehlen, wie man diese gewaltige Felsbarriere verhältnismäßig „einfach“ überwinden kann: Was für ein wildes Gelände, durch das wir eben noch durchgestiegen sind!]


[Bild: Der zwischen dem gleichnamigen Pic du Coup de Sabre und dem Pic Sans Nom eingezwängte Glacier ist im Jahr 2025 faktisch nur mehr ein trauriges Toteisfeld und klimawandelbedingt sicherlich in wenigen Jahren komplett verschwunden. Wie an so vielen anderen Orten in den Alpen, lässt das Abschmelzen der Gletscher auch hier viel brüchig-schuttiges, teilweise steinschlaggefährdetes und geländetechnisch instabiles Felsgelände zurück, das die Seilschaften z. B. beim Zustieg zu den Kletterrouten vielfach vor immer größere Herausforderungen und Risiken stellt]


[Bild: Im Bereich der einzigen wirklich anspruchsvollen Kletterstelle zwischen dem Geröllkar (zwischen Ailefroide und Pic Sans Nom) und dem Refuge du Sélé: An dieser Stelle hat der Gletscher schon vor vielen Jahrzehnten glattgeschliffene, steile Felsplatten freigelegt, welche an ihrem (im Abstieg) linken Rand über eine kurze, aber herzhafte Felsstufe (wenige Meter im Schwierigkeitsgrad II) überwunden werden. Das Ganze fällt uns aufgrund des vorherigen Geländes im Bereich des Ailefroide SO-Grates sehr leicht, erfordert aber unmittelbar vor dem anschließenden faktischen „Auslaufen“ bzw. Autopilotmodus noch einmal volle Konzentration]


[Bild: Entspannter Abstieg aus dem Kar zwischen Ailefroide und Pic Sans Nom in Richtung Refuge du Sélé, wessen alte (ca. 100 Hm höhergelegene) Hütte mittig unten bereits erkennbar ist. Im Hintergrund zeigen sich die düsteren Nordabstürze von Pointe de Celse Nière (3429 m.) und Pointe Guyard (3461 m.) mit dem dazwischen eingelagerten, furchterregend steilen Glacier des Bœufs Rouges erneut von ihrer eindrucksvollsten Seite]


[Bild: Traumhaft schöner Ausblick über den Talschluss des Vallouise zum Pointe du Sélé (3556 m.) und zum gleichnamigen Gletscher (links). Im Vergleich zu den unvergleichlich wilden Gletschertälern von Glacier Blanc und v. a. natürlich Glacier Noire etwas weiter nördlich, mag dieses Ecke der Haute Écrins vielleicht etwas moderater und zugänglicher wirken. Dafür ist das Angebot an Kletter- und Hochtouren rund um Refuge du Sélé und Refuge du Pelvoux wahrscheinlich so vielfältig und reichhaltig, wie sonst in nur wenigen Regionen der französischen Alpen. Man könnte es (entsprechendes Können und Wetter vorausgesetzt) hier locker 1-2 Wochen aushalten, ohne dass einem langweilig werden würde]


[Bild: Kurz bevor wir im Bereich der alten Sélé-Hütte um die Ecke biegen und einem teilweise versicherten Pfad in Form einer unschwierigen Abwärtsquerung zum ersehnten Etappenziel namens Refuge du Sélé folgen (der Kaffee wartet...), blicken wir noch ein letztes Mal zum imposanten Felskastell der Ailefroide Orientale (3847 m.) zurück, das sich mit der Barriere seines hochgradig abweisenden SO-Grates vehement gegen eine allzu leichte Besteigung wehrt. Doch wir haben diesen stolzen Haute Écrins-3000er souverän und noch dazu durchgehend seilfrei sowie ohne Verhauer bestiegen: Was für ein tolles Abenteuer!]


[Bild: Wie muss es sich wohl angefühlt haben, Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts in dieser auch heutzutage hochalpinen Traumlandschaft unterwegs gewesen zu sein...? Damals reichte der Glacier du Sélé in jedem Fall noch weit, weit das Vallouise herab, so dass man es von der alten Sélé-Hütte (Ancien Refuge du Sélé | Refuge d'Hiver) nicht wirklich weit bis zum Gletscher hatte. Will man heutzutage dagegen z. B. eine Hochtour zum Col du Sélé unternehmen, muss man erst einmal einen weiten Zustieg hinter sich bringen. Doch diese Entwicklungen sind leider voraussichtlich auf viele, viele Jahrtausende hinaus unumkehrbar, so dass alle Gletscher der Haute Écrins (vielleicht von kleinen Resten im Bereich von Glacier Blanc und Noire abgesehen) bis zum 21. Jahrhundert wohl verschwunden sein werden. Wer weiß, wie sich der Alpinismus in der Dauphiné in den kommenden Jahrzehnten entwickeln wird...]



[Bild: Nach einer ausgiebigen (und maximal verdienten) Kaffeepause beim Refuge du Sélé machen wir uns schließlich am mittleren Nachmittag auf den Weg zurück in die Zivilisation. Knapp 1000 Höhenmeter Hatscherei durch das herrliche Vallouise nach Ailefroide stehen uns noch bevor, was sich angesichts der knapp 10 Stunden und 1400 Hm (im Auf- und Abstieg), die wir schon in den Beinen haben, letztlich sehr (!) ziehen wird. Doch schlussendlich schaffen wir es müde aber unendlich glücklich zurück zum Parkplatz beim Campingplatz in Ailefroide. Während der anschließenden Fahrt zurück zu unserer Unterkunft in Puy-Saint-Vincent schweifen die Gedanken unweigerlich und umgehend zurück zum weiten Gipfelplateau der Ailefroide Orientale, welches uns v. a. mit Tief- und Nahblicken (Glacier Noire, Pic Sans Nom!) verwöhnt hat, die alpenweit ihresgleichen suchen. Allgemein war diese wilde Tour natürlich auch das Highlight und der krönende Abschluss unseres Premieren-Aufenthalts in der Dauphiné, in welcher wir sehr deutlich gespürt haben, was es heißt, mit „echtem“ Westalpen-Niveau konfrontiert zu werden. In der Haute Écrins sind die technischen Schwierigkeitsbewertungen nämlich sehr streng und scharf, ein PD bzw. WS rund um die Barre des Écrins ist wohl vergleichbar mit einem AD/ZS in den Ostalpen. Der erwähnte höchste Dauphiné-Berg und einzige 4000er der Region war diesmal im Hinblick auf unser Mindset als Seilschaft noch etwas zu viel. Wäre das Wetter an allen Tagen so stabil wie heute gewesen, wir hätten uns vielleicht auch an Pic Coolidge, Mont Pelvoux oder Roche Faurio versucht, gehören diese Berge doch wie die Ailefroide Orientale zu den eher moderateren Gipfelzielen der Écrins. Aber auch für solche Berge muss letztlich alles passen: Das Wetter, die Verhältnisse, die Logistik, das Mindset und die eigene körperliche Gesundheit. Dass es in Form des Ailfefroide Ostgipfels für immerhin einen Teil unserer Gruppe am Ende mit einem „richtigen“, hohen Dauphiné-3000er geklappt hat (noch dazu an der landschaftlich unvergleichlich wilden, hochalpinen und wirklich entlegenen Schnittstelle von Pic Sans Nom, Glacier Noire, Barre des Écrins und Pic Coolidge!), macht mich sehr glücklich und (trotz der am Ende letztlich etwas kleineren, gebackenen Brötchen) absolut stolz. Die Haute Écrins hat mich nicht zum letzten Mal gesehen, solche Berge habe ich bis dato nämlich nur in Patagonien erleben dürfen (und dort auch nur von unten). Ob es beim nächsten Mal dann mit der Barre klappt, ist dabei nachrangig. Hauptsache bei Wetter und Verhältnissen wie heute eine spannende, nicht zu steile Firnrinne wie das Couloir Coolidge am Mont Pelvoux oder eine spektakuläre Kletterpassage im Schwierigkeitsgrad II-III (wie z. B. an der Pic Coolidge Normalroute von Westen) in wilder Umgebung in Angriff nehmen und zumindest ein ganz kleines bisschen von dem spüren, was diejenigen erleben, die einen „Pause-Klassiker“ gehen: Sich wie ein echter Alpinist fühlen, das geht hier in der (aus deutscher Sicht so weit, weit entfernten) Haute Écrins wohl so gut, wie nirgendwo sonst im Alpenraum, vom Mont Blanc oder Wallis vielleicht einmal abgesehen. A la prochaine, chères Hautes Écrins!]



Glacier Blanc + Pic de Neige Cordier (Versuch)


27. Juli 2025


[Bild: Barre des Écrins (4102 m.) im ersten Licht des Tages - Gut 2200 Hm Differenz liegen zwischen uns und dem höchsten Punkt der Dauphiné, als wir uns am frühen Morgen vom Refuge Cézanne auf den Weg zum Glacier Blanc machen. Die Besteigung dieses südlichsten 4000ers der Alpen haben wir zwar nicht geplant, dafür überzeugen uns weder die Wettervorhersage für die kommenden 2-3 Tage noch unsere allgemeine Konstitution. Aber wir wollen uns zumindest bis kurz vor das Refuge des Écrins vorwagen, die Barre einmal von ihrer Schokoladenseite sehen und vielleicht einen der hohen 3000er nördlich oberhalb des Glacier Blanc besteigen. Mal schauen, ob wir den anvisierten Pic de Neige Cordier erreichen werden...]


[Bild: Rückblick beim Aufstieg zum Refuge du Glacier Blanc zur gewaltigen Felsmauer, welche (von links nach rechts) vom Mont Pelvoux (3943 m.) über den Pic Sans Nom (3913 m.) und den Pic du Coup de Sabre (3699 m.) zum Massiv der Ailefroide (3953 m.) reicht und zum Glacier Noire hin (hier nicht sichtbar) in düsteren, furchteinflößend steilen und von Hängegletschern sowie vertikalen Firnrinnen dekorierten 1000-Meter-Wänden abbricht. Wohl nur wenige Gegenden der Alpen dürften eine annähernd wilde, unmittelbar an den Karakorum erinnernde Aura vermitteln... Was für ein Anblick!]


[Bild: Nur knapp 4 km Luftlinie liegen zwischen dem Mont Pelvoux (3943 m.) und Ailefroide, wobei dabei stolze 2500 Hm (!) Vertikale zu überwinden sind, wenn man über diese Seite auf- bzw. absteigt. Man kann sich also ausmalen, wie anhaltend steil und v. a. anspruchsvoll das Gelände (Kletterei bis III bzw. Abseilen, Firn bis 40-45 Grad, spaltenreiche Gletscher) ist. Auch wenn die Idee einer Überschreitung des Berges durchaus sehr attraktiv und bei den Franzosen auch relativ beliebt ist, werden die meisten Pelvoux-Aspiranten wohl wieder über das Couloir Coolidge oder die Rochers Rouges absteigen, sind die allgemeinen Anforderungen und Risiken dort doch deutlich überschaubarer]


[Bild: Kurze Zeit nachdem man das Refuge du Glacier Blanc passiert hat, wird das untere Ende des entsprechenden Gletschers erreicht, welcher seinem Namen zur dieser Jahreszeit (Ende Juli) im Bereich seiner Zunge nur mehr bedingt Ehre macht: Der Glacier Blanc zeigt sich in unserem Fall nämlich bereits ziemlich aper, was für Hochtouristen aber durchaus Vorteile hat, sind so doch fast alle Spalten zu sehen. Während an dieser Stelle viele Seilschaften auf den Gletscher wechseln und auf ihm zum Refuge des Écrins weitergehen, bleiben wir vorerst noch auf dem nördlich angrenzenden Pfad, der quer durch die gerölligen Flanken von Pic du Glacier d'Arsine und Pic du Glacier Blanc führt]


[Bild: Technisch unschwierig, aber stellenweise etwas mühsam geht es über die von Felsrippen durchzogenen Schuttflanken nördlich oberhalb des Glacier Blanc dahin, unser anvisiertes Gipfelziel stets vor Augen: Um den Pic de Neige Cordier (3613 m.) in Angriff zu nehmen, gilt es zunächst den Col Émile Pic (3483 m.) anzusteuern, welcher sich links hinten bereits zeigt. Noch wissen wir es an dieser Stelle nicht, aber wir hätten an dieser Stelle mal besser den Pic du Glacier Blanc als Gipfelziel ausgewählt...]


[Bild: Je weiter wir uns in das eisige Reich des Glacier Blanc vorarbeiten, desto mehr rückt die imposante Nordflanke der Barre des Écrins (4102 m.) ins Blickfeld. Wirkt der höchste Berg im Umkreis von über 100 km von hier noch seltsam klein und lediglich wie eine von vielen Dauphiné-Spitzen, wird sehr die bald die unumschränkte Dominanz dieses Eisriesen deutlich werden. Schon jetzt bin ich tief beeindruckt von dem (zwar klimawandelbedingt stark schrumpfenden, aber immer noch sehr eindrucksvollen) Amphitheater-artigen Kessel des Glacier Blanc]


[Bild: Kaum zu glauben, wie Perspektiven täuschen können: Der nur hin und wieder von „Liebhabern“ angegangene Pointe de la Grande Sagne (3660 m.) ist fast 500 Meter niedriger als die Barre des Écrins. Im Gegensatz zu dieser dürfte man mit einer Besteigung (Normalroute via Col de la Grande Sagne und W-Grat, alternativ bei guten Bedingungen via NW-Couloir) des Pointe jedoch verbreitet eher ratlose Blicke ernten. Wer in der Gegend jedoch schon viel gesehen und bestiegen hat, wird an diesem wildromantisch-einsamen Zacken aber (hoffentlich) seine Freude haben]


[Bild: Nachdem der Geröllpfad schließlich bergab auf den Glacier Blanc geführt hat und wir auf diesem der Trasse ein kurzes Stück gen Refuge des Écrins gefolgt sind (unten erkennt man Seilschaften, die genau diese Route weiter zur Hütte verfolgen), sind wir nun in das Kar südlich unterhalb des Pic de Neige Cordier abgebogen. Nun gilt es, sich ca. 450 Hm nach oben zu arbeiten und auf möglichst sinnvoller Linie den Col Émile Pic anzusteuern. Da sich das leider über weite Strecken als allzu mühsam und unschön darstellen wird, schweift der Blick des Öfteren zur Barre und den verheißungsvoll breiten Spuren in ihrer Nordflanke]


[Bild: Typisches Geröll- und Schotterterrain beim Aufstieg zum Col Émile Pic. Ganz links kann man die Scharte, welche den Zugang zum Westgrat vermittelt, bereits erkennen. Allerdings sind wir hier deutlich zu weit rechts (östlich). Wer den Aufstieg zum Col anpeilt, sollte sinnvollerweise die (Firn-)Reste des praktisch nicht mehr vorhandenen Gletschers nutzen und das vielfach schauerlich brüchige Geröll so gut es geht meiden. Es gibt also gute Gründe, warum die Franzosen den Pic meist via Nordgrat überschreiten und hier v. a. herunterkommen]


[Bild: Im Aufstieg zum Col Émile Pic (3483 m.), welcher sich links hinten in vermeintlich stark vereistem Zustand präsentiert (mal sehen, wie das Ganze von nahem aussieht...) - Ab diesem Punkt steigen wir durchgehend im Firn auf, da es so einfach viel schneller und v. a. frustfreier geht. Das Ziel ist, zunächst relativ gerade auf die Südwand des Pic de Neige Cordier zuzuhalten und dann nach links in die Falllinie des Col zu queren]


[Bild: Das wahrlich spektakulär gelegene Refuge des Écrins (3170 m.) befindet sich vis-à-vis der von gewaltigen Hängegletschern und Séracs dekorierten Nordflanke der Barre des Écrins (4102 m.) und ist seit jeher die klassische Ausgangsbasis zur Besteigung dieses 4000ers. Konnte man früher von der Hütte mit nur geringem Höhenverlust fast direkt auf den Glacier Blanc wechseln, muss man mittlerweile einen (besonders morgens ziemlich ärgerlichen) Höhenverlust von ca. 150 Hm in Kauf nehmen (Tendenz steigend), bevor es auf die Nordflanke der Barre zugeht, da der Glacier Blanc stetig an Masse bzw. Volumen einbüßt: Eine Konstellation, die frappierend an die Konkordiahütte in den Berner Alpen erinnert]


[Bild: Spektakuläres Ambiente im Aufstieg zum Col Émile Pic: Während wir uns langsam aber stetig das von Firnhängen und gerölligen Felsstufen geprägte Kar nach oben arbeiten, wird das Wetter über dem weiten Becken des Glacier Blanc immer sonniger. Entgegen aller Prognosen ist es mittlerweile ein wirklich richtig schöner Tag und so setzen sich Barre des Écrins (4102 m.), Barre Noire (3751 m.), Barre Blanche (3698 m.) und Pointe de la Grande Sagne (3660 m.) immer besser in Szene]


[Bild: Barre des Écrins (4102 m.) und Barre Noire (3751 m.) im Zoom vom Aufstieg zum Col Émile Pic aus gesehen - Wohl nur wenige Berge der Alpen vermitteln eine solch eindrucksvolle, hochalpine Aura wie die Barre! Nach wie vor eisgepanzert und mit Lawinen, Sérac-Abbrüchen und Spaltenstürzen drohend, ist der Aufstieg über die Nordflanke zwar passagenweise relativ steil (bis zu 45 Grad), aber in der Regel so gut gespurt, dass es die meisten Seilschaften (bei gutem Wetter) zumindest bis zur Brèche Lory bzw. zum Dôme de Neige des Écrins (4015 m.) schaffen (letztgenannter Nebengipfel der Écrins ist einer der 82 offiziellen 4000er der Alpen). Der Gipfelanstieg aus der Brèche Lory zum Hauptgipfel ist dann noch einmal eine andere Geschichte und verlangt ausgesetzte Kletterei bis II sowie kurzzeitig III (am Einstieg) in oftmals vereistem Fels: Kein Wunder, dass sich viele Seilschaften mit dem Dôme de Neige zufriedengeben]


[Bild: Unterhalb der Südwand des Pic de Neige Cordier geht es leicht ansteigend quer über ein steiles Firnfeld hinweg (in manchen Jahren hat es hier im Spätsommer mittlerweile nur mehr Schutt bzw. Geröll) in Richtung Col Émil Pic, wobei uns angesichts der mutmaßlichen Steilheit und scheinbaren Vereisung des Abbruchs mittlerweile ernsthafte Zweifel an unserem Vorhaben beschleichen. Noch wollen wir die Besteigung des Pic nicht aufgeben und uns das Ganze noch aus näherer Position anschauen. Da aber ein Teil von uns (inkl. mir) auch heute wieder bis ins Tal zurück muss und der Schnee bereits jetzt extrem aufgeweicht ist, können wir uns schlichtweg keinen „ewig“ andauernden Anstieg mehr erlauben]


[Bild: Weniger als 100 Hm unterhalb des Col Émile Pic ist hier und heute für uns Schluss. Mehrere Faktoren kommen dabei zusammen, dass wir den Aufstieg gen Pic de Neige Cordier an dieser Stelle nicht fortsetzen: Zum einen ist der Schnee mittlerweile so weich, dass wir bei jedem Schritt akut abrutschgefährdet sind. Angesichts von strammen 40 Grad Steilheit, welche nach oben hin sogar noch weiter zunimmt (wir vermuten mindestens 45-50 Grad unmittelbar unterhalb des Abbruchs), ist das keine gute Konstellation. Zum anderen erscheint uns der Abbruch vom Col deutlich steiler und schwieriger, als wir es den uns zur Verfügung stehenden Beschreibungen entnommen haben. Wir meinen aus der Ferne ein Fixseil erkennen zu können, wollen uns aber nicht darauf verlassen und vermuten steile, ausgesetzte Kletterei im Bereich II-III. Schließlich stünde uns dann ab dem Col dann noch die eigentliche Kletterei (welche dann theoretisch nicht mehr wirklich schwierig sein soll) über den W-Grat bevor. Und so entscheiden wir uns an dieser Stelle, den Aufstieg zum Pic de Neige Cordier abzubrechen. Schade, aber im Nachhinein vernünftig, wird diese Route im Aufstieg (im Sommer) doch laut dem Hüttenteam des Refuge des Écrins praktisch nicht mehr gemacht. Stattdessen hätten wir uns wohl den Pic du Glacier Blanc vornehmen sollen, welcher mit deutlich vertretbarem Aufwand und Risiko vom Glacier Blanc aus bestiegen werden kann]


[Bild: Ausblick aus dem steilen Kar südlich unterhalb von Pic de Neige Cordier und Pic du Glacier Blanc zur Barre des Écrins (4102 m.) und zu ihren östlich angrenzenden, düsteren Trabanten namens Barre Noire (3751 m.), Barre Blanche (3698 m.) und Pointe de la Grande Sagne (3660 m.) - Auch wenn es leider nichts mit dem Pic de Neige Cordier geworden ist, fällt die Enttäuschung nur marginal aus, werden wir doch (bei mittlerweile traumhaft sonnigem Wetter) mit einem hochalpinen Ambiente verwöhnt, dass ich so in den Alpen bisher noch nicht allzu oft erleben durfte]


[Bild: Abgesehen von Barre des Écrins, Dôme de Neige, Roche Faurio, Pic de Neige Cordier und Pic du Glacier Blanc erhalten die meisten der schroffen Felszacken rund um den Glacier Blanc so gut wie nie Besuch. Pointe de la Grande Sagne (3660 m.), Barre Blanche (3698 m.) und Barre Noire (3751 m.) sind allesamt Ziele, die sich nur wirklich versierte Alpinisten vornehmen sollten. Auch wenn weder die Anforderungen im Firn noch im Fels bei diesen Gipfeln extrem sind, wird man doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf sich alleine gestellt sein bzw. keine Begehungsspuren vorfinden, technische Reserven „nach oben“ sollten in jedem Fall also vorhanden sein. Das selbstständige Absichern hochalpiner Grate und Felsflanken sollte ebenfalls routiniert von der Hand gehen, wie auch die Risikoeinschätzung im Hinblick auf Stein- und Eisschlag. In jedem Fall stehen diese Gipfel sinnbildlich für die Wildheit und Schroffheit der Haute Écrins und auch wenn man sie z. B. bei einer Besteigung der Barre des Écrins (buchstäblich) links liegen lässt, verleihen sie einem Aufenthalt im Reich des Glacier Blanc doch erst den besonderen Touch]


[Bild: Als einer von nur 3 Alpen-Viertausendern außerhalb von Walliser Alpen, Berner Alpen und Mont-Blanc-Gruppe stellt die Barre des Écrins (4102 m.) zusammen mit ihrem Nebengipfel Dôme de Neige des Écrins (4015 m.) eines der absoluten Traumziele für ambitionierte Bergsteiger dar. Für uns sollte es bei diesem ersten Aufenthalt in den Dauphiné-Alpen leider nicht mit dem südlichsten (und gleichzeitig auch westlichsten) 4000er der Alpen klappen, aber um ein Gespür für die Haute Écrins bzw. den Glacier Blanc zu bekommen, war der heutige Tag auf jeden Fall sehr wertvoll. Wir werden eines Tages wiederkommen, uns brav in die Trasse durch die Nordflanke einreihen und uns dann an der Brèche Lory an den ausgesetzten Westgrat wagen. Alles zu seiner Zeit...]


[Bild: Barre des Écrins (4102 m.) in all ihrer Pracht von Nordosten - Deutlich ist die Spur zu erkennen, welche vom Fuße der Nordflanke aus dem Gletscherbecken des Glacier Blanc empor bis unter die Gipfelwand führt, um dann eine markante Rechtsquerung unterhalb des Bergschrundes zur Brèche Lory bzw. zum Dôme de Neige des Écrins (4015 m.) zu vollziehen. Ganz rechts unten kann man indes das exponiert gelegene Refuge des Écrins (3170 m.) erkennen, von welchem man eine nicht minder spektakuläre Aussicht über die (noch) schier endlosen Gletscherweiten genießen kann]


[Bild: Haben wir uns im Aufstieg vom Glacier Blanc in Richtung Col Émile Pic noch über längere Strecken in furchtbar abschüssigem, steilem Schutt (der übleren Sorte) aufgehalten, wählen wir für den Abstieg zurück zum Gletscher eine wesentlich elegantere, sinnvollere Linie weiter westlich (im Abstieg rechts), wobei wir über die meiste Zeit im Firn abfahren können. So dauert es nicht lange, bis wir wieder auf die breite Spur treffen, welche vom Refuge des Écrins bis zu der Stelle führt, an der man wieder auf die Geröllhänge oberhalb des Gletschers wechseln kann. Es kann alles so einfach sein]


[Bild: Faszination Barre des Écrins (4102 m.) - Im Angesicht von diesem gewaltigen 4000er fühlt man sich zwangsläufig klein und unbedeutend, so abrupt und gewaltig erhebt sich die vergletscherte Nordflanke aus dem weiten Becken des Glacier Blanc. Die Barre gehört zu jenen Bergen mit absolut unverkennbarem Erscheinungsbild: Wer sie einmal gesehen und memoriert hat, wird sie nie wieder vergessen]


[Bild: Beim Abstieg entlang des spaltenreichen Glacier Blanc beeindruckt der unmittelbare Kontrast zwischen der zerklüfteten Gletscherzunge und der gewaltigen Felsmauer von Mont Pelvoux (3943 m.) und Pic Sans Nom (3913 m.) - Wer von so einem eindrucksvollen Westalpen-Panorama verwöhnt wird, kommt tatsächlich erstaunlich einfach und schnell über den (formell) gescheiterten Gipfelsturm hinweg. Manchmal soll es halt einfach nicht sein, doch das betrübt uns nicht. Wir werden (besser vorbereitet) wiederkommen, das steht fest. Außerdem: Wer weiß, ob sich die Tage in der Dauphiné nicht doch noch ein richtig hoher 3000er ausgeht]


[Bild: Kurz bevor wir schließlich wieder das Refuge Cézanne bzw. den Parkplatz erreichen, erhaschen wir noch einen Blick in das Tal des Glacier Noire, wobei hier nur der untere (nördliche) Teil des Gletschers sichtbar ist. Eingerahmt von Barre des Écrins, Barre Noire und Barre Blanche, Pointe de la Grande Sagne, Le Fifre und Pic Coolidge präsentiert sich der Glacier Noire (seinem Namen alle Ehre machend) praktisch vollkommen schuttbedeckt. Um das höhergelegene (südliche) Becken des Gletschers zu erreichen, muss man dem rechts ersichtlichen Wanderweg über die Moräne folgen, an geeigneter Stelle auf den Gletscher absteigen und schließlich zur Geländestufe östlich unterhalb des Bosse Coolidge queren bzw. diese in leichter (aber meist steiler) Kletterei überwinden. Dies ist auch das Vorgehen, wenn man zu einer der Nordwandrouten von Mont Pelvoux, Pic Sans Nom oder Ailefroide vorstoßen bzw. alternativ den einsamen Ostanstieg auf den Pic Coolidge verfolgen will. Mal schauen, zu gerne würde ich diesen (abgesehen von der Meije) wohl spektakulärsten Bereich der Haute Écrins einmal mit eigenen Augen sehen...]



Pointe de l'Aiglière (3307 m.)


24. Juli 2025


[Bild: Pointe de l'Aiglière (3307 m.) von Südosten - Die meisten Bergsteiger aus Deutschland oder Österreich, die tatsächlich den langen Weg in die französischen Westalpen auf sich nehmen, werden wohl die Mont-Blanc-Gruppe (allenfalls vielleicht noch das Vanoise) ansteuern. Nur die wenigsten deutschsprachigen Hochtouristen „verirren“ sich dagegen letztlich in die Dauphiné-Alpen bzw. in dessen Kerngebiet, die unvergleichlich wilde Haute Écrins. Bevor wir uns in den kommenden Tagen dem (bergsteigerisch-alpinistisch ziemlich anspruchsvollen!) Areal rund um Barre des Écrins, Ailefroide und Pelvoux vorsichtig nähern wollen, steht heute eine erste moderate Eingeh- und Erkundungstour auf dem Programm: der Pointe de l'Aiglière (3307 m.) westlich oberhalb von Puy-Saint-Vincent. Dafür geht es zunächst vom Parkplatz am Ende Fahrstraße oberhalb des Torrent de la Combe de Narreyroux auf einem einfachen Bergweg entspannt in südwestliche Richtung bergauf. Die Abzweigung zur Cabane des Grands Plans (oberhalb des Wasserfalls Cascade de Narreyroux) wird ignoriert und stattdessen der Aufstieg durch das Kar in westliche Richtung forciert. Orientierungsschwierigkeiten sollten dabei (ggf. unter Zuhilfenahme von GPS und Online-Kartendienst) eigentlich nicht auftreten]


[Bild: Herrliche alpine Mattenlandschaft im Bereich der südöstlichen Ausläufer des Pointe de l'Aiglière (rechts hinten). Auch wer keine Gipfelambitionen hegt, wird von einer Wanderung durch diese (bei schönem Wetter) friedliche, wunderbar grüne Hochebene absolut begeistert sein. Nicht jede Ecke der Haute Écrins ist unzugänglich, senkrecht und wild. Natürlich wird die Tour spätestens ab dem Gipfelaufbau (der Pointe de l'Aiglière ist für sein unzuverlässiges Gestein „bekannt“...) ein gutes Stück anspruchsvoller, aber bis dahin können wir erst einmal unbeschwert vor uns hin trotten]


[Bild: Linksseitig eingerahmt von dem langen, bergsteigerisch gänzlich unbekannten Bergkamm, welcher vom Col du Bal über den Pointe des Queyrettes und den Pointe des Neyzets zum Col de l'Aiglière (rechts hinten) zieht, folgen wir dem ausgetretenen Wanderweg in ziemlich gerader Linie nach Westen. Sehr bald wird der Weg einen markanten Rechtsschwenk vollziehen und bergauf in Richtung der Point de l'Aiglière Ostflanke leiten]


[Bild: Um zum Gipfelaufbau des Pointe de l'Aiglière (3307 m.) zu gelangen, gilt es, die mäßig steilen Geröllhänge seiner Ostflanke (rechts im Profil) zu erreichen. Dazu folgen wir dem Pfad linkerhand über die grasbewachsenen Hänge bergauf, um dann nach Norden geradewegs auf den Gipfelaufbau zuzuhalten. Die Route quert dabei den Torrent de la Combe de Narreyroux (im Hintergrund ist der entsprechende Abfluss zu erkennen), führt jedoch irgendwann rechterhand weg von den fürchterlich brüchigen Felsflanken des Pointe und quer bergauf zur splittrigen Ostflanke]


[Bild: Rückblick über das von alpinen Matten geprägte Hochkar, über das wir soeben noch aufgestiegen sind. Währenddessen wird nun mit jedem gewonnenen Höhenmeter die Aussicht auf die umliegende Bergwelt der Dauphiné immer besser, wobei uns das große Highlight (der Ausblick zur eigentlichen Haute Écrins) noch bevorsteht]


[Bild: In der von splittrigem Blockwerk und Geröll geprägten Ostflanke des Pointe de l'Aiglière - Dass dieser Schieferberg einem nicht geschenkt wird, ist spätestens jetzt klar. Es gilt, sich mit möglichst geringem Aufwand dem obersten Gipfelaufbau zu nähern, wobei es glücklicherweise eine relativ deutliche Pfadspur gibt. Dieser sollte man sinnvollerweise folgen, da man sonst schnell in allzu ekelhaftes Gelände kommt. Die Pfadspur endet abrupt etwa 150 Hm unterhalb des Gipfels am Fuße einer markanten Felsmauer, wobei es dann von dort zwei Möglichkeiten gibt: Entweder direkt über brüchige, etwas unangenehme Felsstufen (Kraxelei I-II) hoch zum Grat oder (empfehlenswerter!) rechterhand in einem Bogen weit ausholend zum Grat, wobei es oftmals ein Schneefeld zu überqueren gilt. Letztere Variante dauert etwas länger, ist aber viel angenehmer, einfacher und sicherer. Sollte das Schneefeld in seinem (im Aufstieg) linken Bereich (zu) steil sein, muss man einfach etwas weiter ausholen. Irgendwann wird man unkompliziert auf den NO-Grat queren können]


[Bild: Hat man es bis auf den Nordostgrat des Pointe de l'Aiglière geschafft, ist der höchste Punkt nur mehr ca. 15 Minuten entfernt. Zunächst geht es etwas unterhalb des Grates entlang, später wechselt man direkt auf den Grat, wobei ein paar einfache, nicht-exponierte Kraxelstellen (max. I) zu überwinden sind. Generell ist dieses Schlussstück des Aufstiegs aber viel angenehmer als die (teilweise) Schinderei in der Ostflanke des Pointe]


[Bild: Kurz vor dem höchsten Punkt des Pointe de l'Aiglière (3307 m.): Gleich haben wir es geschafft! Nur mehr ein paar einfache Felsstufen trennen uns von unserem ersten Dauphiné-Gipfel. Das Wetter ist entgegen der Vorhersage auch deutlich sonniger als gedacht und so steht einem entspannten Aufenthalt inkl. grandioser Gipfelschau nichts im Wege]


[Bild: Ausblick vom Pointe de l'Aiglière (3307 m.) nach Südwesten zum Nachbargipfel Pointe des Neyzets (3248 m.) - Es gibt zwar Tourenbeschreibungen im Internet, die eine Route via Col de l'Aiglière von Osten her skizzieren. Sicherlich dürfte dieser schuttige Geselle aber trotzdem noch einmal deutlich weniger Besuch erhalten als unser heutiges (nicht gerade überlaufenes) Tourenziel]


[Bild: Tiefblick vom Pointe de l'Aiglière in nordwestliche Richtung: Wer möchte, kann den Berg (ab Puy-Saint-Vincent) via Col de l'Aup Martin und Pas de la Cavale einmal komplett umrunden. Zwar ist man dabei durchgehend auf ausgebauten Steigen bzw. Wanderwegen unterwegs, dennoch handelt es sich aufgrund des Fehlens von Hütten, der hohen Kilometeranzahl und der allgemein einsamen, wilden Umgebung um eine durchaus ernste Angelegenheit. Rechts zeigt sich indes einer der wildesten, eindrucksvollsten Berge der Haute Écrins, der Sommet Sud des Bans (3669 m.) - Um diesen höchsten Punkt der Les Bans zu erreichen, braucht es den gestandenen Alpinisten! Der äußerst zerrissene Glacier de la Pilatte und ernste, hochalpine Kletterei im Bereich III-IV sind hierbei als Hauptschwierigkeiten zu nennen]


[Bild: Grandioser Ausblick vom Pointe de l'Aiglière (3307 m.) zu den hohen Bergen der Dauphiné (von links nach rechts): Sommet Sud des Bans (3669 m.), L'Ailefroide (3953 m.), Pic du Coup de Sabre (3699 m.), Pic Sans Nom (3913 m.) und Mont Pelvoux (3943 m.) gehören allesamt zu den Giganten der Haute Écrins! Dagegen nimmt sich der Pointe de l'Aiglière eher bescheiden aus, sind doch im Gegensatz zu ihm alle diese Gipfel nur im Zuge mehr oder weniger anspruchsvoller Kletter- bzw. Hochtouren zu erreichen]


[Bild: Die mehrgipfelige Ailefroide (3953 m.) gehört zu den höchsten Bergen der gesamten Dauphiné und muss lediglich der Meije (3983 m.) und der alles überragenden Barre des Écrins (4102 m.) den Vortritt lassen. Insgesamt weist die Ailefroide vier benannte Gipfel auf, wobei die beiden mittleren Erhebungen namens Ailefroide Central (3927 m.) und Pointe Fourastier (3908 m.) in der Regel nur im Rahmen der Überschreitung („la Traversée“) erreicht werden, wobei hier hohe klettertechnische Anforderungen (bis IV+/V) gemeistert werden müssen. Viel häufiger werden dagegen die Ailefroide Occidentale (3953 m.) und die Ailefroide Orientale (3847 m.) für sich bestiegen, wobei insbesondere der letztgenannte Ostgipfel vom Refuge du Sélé aus (Kletterei II-III und Firn bis max. 40 Grad) auch von moderaten Hochtouristen erreicht werden kann]


[Bild: Der sagenumwobene Pic Sans Nom (3913 m.) gehört wohl zu imposantesten Bergen der Dauphiné (und das will etwas heißen!). Während er auf der anderen Seite mit einer gewaltigen 1000 Meter hohen Nordwand in das an den Karakorum erinnernde Becken des Glacier Noire abbricht, zeigt er aus dieser Perspektive (von Süden) seine „flache“ Seite. Am Pic Sans Nom ist alles steil bis senkrecht, wild und äußerst anspruchsvoll. Selbst auf der Normalroute, welche vom Col du Pelvoux (rechts im Bild) durch die furchterregenden Rinnen und Bänder der Südostwand zum Gipfel führt, ist man mit steinschlaggefährdeter, teilweise sehr ausgesetzter IIIer-Kletterei konfrontiert, sofern man denn die optimalste überhaupt Route findet. Wer am Pic Sans Nom unterwegs ist, sollte wissen, was er/sie tut...]


[Bild: Der Mont Pelvoux (3943 m.) wurde früher (als der in Savoyen liegende Mont Blanc noch nicht zu Frankreich gehörte) für den höchsten Berg des Landes gehalten, so dass er dem Gebiet der Haute Écrins seinem Namen aufgedrückt hat (auch heute noch wird die Gegend analog zu „Les Écrins“ als „Le Pelvoux“ bezeichnet). Der aus den beiden Hauptgipfeln Pointe Puiseux (3943 m.) und Pointe Durand (3932 m.) bestehende Berg kann via Couloir Coolidge (max. 40 Grad) vergleichsweise „einfach“ bestiegen werden, sofern denn noch solide Bedingungen (z. B. guter Trittfirn) in der Rinne herrschen. Als mögliche Alternative zum Couloir kommt (v. a. bei starker Ausaperung) ggf. die Route über die Rochers Rouges (Kletterei bis II+/III) in Frage. Alle anderen Routen am Pelvoux, wie z. B. der furchteinflößend steile Direktabstieg nach Ailefroide via Glacier du Pelvoux, Glacier des Violettes und Névé Pélissier, sind deutlich (!) anspruchsvoller, von den vogelwilden Nordwandrouten oberhalb des düsteren Glacier Noire ganz zu schweigen]


[Bild: Im Abstieg über die schuttige Ostflanke des Pointe de l'Aiglière - Da wir am heutigen Tag erst gegen Mittag in Richtung Gipfel aufgebrochen sind, wandern wir nun in das wunderbar warme Licht des späten Nachmittages hinein. Gut 1500 Höhenmeter muss man für den Pointe zwar bewältigen, da wir an dieser Stelle aber bereits alle etwas steileren Passagen hinter uns haben, ist der Rest nur mehr Fleiß- bzw. Steigarbeit]


[Bild: Wieder zurück in dem von idyllischen Matten geprägten Hochkar zwischen Pointe de l'Aiglière, Pointe des Neyzets und Col du Bal: Mit dem ersten Gipfel der Haute Écrins im Gepäck marschiert es sich definitiv leichter. Mal schauen, was die kommenden Tage bergsteigerisch für uns bereithalten werden. Als nächstes wollen wir uns in das Reich des Glacier Blanc vorarbeiten und uns ein bisschen in dem Gebiet nördlich oberhalb des Refuge des Écrins herumtreiben. Mal schauen, welche Eindrücke und Ausblicke zur Barre uns dort erwarten werden...]


[Bild: Ein letzter Blick zurück zum geologisch höchst interessanten Pointe de l'Aiglière (3307 m.), bevor es via Cascade de Narreyroux zurück zum Parkplatz geht. Wer sich für ein paar anstrengende, kurzzeitig etwas steilere Geröllpassagen und von splittrigem Schiefer geprägte Ier-Kraxelei nicht zu schade ist, wird in diesem unscheinbaren Gesellen einen sehr lohnenden Aussichtsberg vorfinden. Auch um sich einen ersten Eindruck vom südlichen Bereich der Haute Écrins zu verschaffen, ist der Pointe ideal geeignet. Fazit: Abgesehen von 1-2 kleinen Schönheitsfehlern sehr empfehlenswert]


[Bild: Für Tiere wie das Murmeltier sind Gebiete wie die Haute Écrins ein Segen! Auch wenn der Pointe de l'Aiglière formell nicht zum streng geschützten Areal des Nationalpark Écrins gehört, sind der Berg und seine unmittelbare Umgebung doch so ruhig, dass die Mankei hier weitestgehend ungestört (abgesehen von Steinadlern...) leben können]



Wilder Freiger (3418 m.) -

Überschreitung via Becherhaus (3195 m.)


28-29. Juni 2025


[Bild: Auf dem Weg zum Becherhaus (3195 m.) inmitten der Stubaier Alpen - Das im Italienischen „Rifugio Gino Biasi“ genannte Schutzhaus ist ein Idealbeispiel für eine Gipfelhütte (oder etwas poetischer ausgedrückt: für ein „Wolkenschloss“) und aufgrund seiner Nähe zum zentralen Stubaier Alpenhauptkamm eine der wichtigsten alpinen Unterkünfte des Gebietes. Schon seit vielen Jahren wollte ich dieser höchstgelegenen Schutzhütte Südtirols einen Besuch abstatten und nun ist es endlich so weit: Spontan 2 Tage vorher reserviert, erreichen wir nach einem kräftezehrenden Anstieg über 2000 Hm aus dem Stubaital via Nürnberger Hütte, Freigerscharte und Wilder Freiger Signalgipfel (und einem kurzen Zwischenabstieg über ca. 200 Hm) das Becherhaus schließlich am späten Nachmittag, während sich zu unserer Rechten mittlerweile der gewaltige Übeltalferner (der flächenmäßig größte Gletscher der Stubaier Alpen) ausbreitet und alle Blicke auf sich zieht. Leider waren wir an diesem Tag ab dem Freiger See über weite Strecken des Aufstiegs vom Nebel „verwöhnt“, so dass wir den Wilder Freiger Hauptgipfel am Signalgipfel gar nicht erst in Betracht gezogen haben. Für den morgigen Tag ist jedoch feinstes, absolut stabiles Hochdruckwetter vorhergesagt, so dass wir in dieser Hinsicht keinerlei „Druck“ haben und alle Hoffnung in die für den kommenden Tag geplante Überschreitung des Berges hin zur Seescharte setzen. Für heute heißt es daher nur mehr, das grandiose Setting rund das Becherhaus in Ruhe auf sich wirken zu lassen und die Aussicht über den Übeltalferner zu genießen: Was für ein Leben...]


[Bild: Ausblick vom Becherhaus (3195 m.) über den Übeltalferner zum kecken Schwarzwandspitz (3358 m.) und dem rechts daneben aufragenden, breiten Felskamm der Sonklarspitze (3444 m.) - Links in der Ferne schaut ein Teil der Ötztaler Alpen (Hochfirst, Hochwilde, Hinterer Seelenkogel, Granatenkogel) herüber, während man noch weiter links am Horizont im Dunst sogar die Brenta erahnen kann]


[Bild: Trotz seiner unmittelbaren Nähe zu mehreren alpinen Schutzhütten (u. a. Becherhaus, Müllerhütte, Teplitzer Hütte) wird der stolze Botzer (3251 m.) deutlich seltener bestiegen, als z. B. Wilder Freiger, Wilder Pfaff oder Zuckerhütl. Die alpine Literatur nennt den hier ersichtlichen Botznerferner (welcher noch nahtlos in den Übeltalferner übergeht) und den NO-Grat (I) als Hauptroute. Spätestens ab August muss jedoch heutzutage mit „unverdaulichen“ Ausaperungseffekten gerechnet werden, welche einen Anstieg deutlich erschweren bis gar unmöglich machen können. Wer am Becherhaus verkündet, dass er den Botzer bestiegen bzw. als Tourenziel hat, wird mit ziemlicher Sicherheit zur Minderheit gehören und vielleicht sogar erstaunte Blicke ernten]


[Bild: Vor wenigen Jahren noch von einer mächtigen Eiskappe gekrönt, hat die Sonklarspitze (3444 m.) in den vergangenen Jahrzehnten fast 20 Meter (!) an Höhe verloren. Dennoch handelt es sich hierbei immerhin noch um den sechsthöchsten Gipfel der gesamten Stubaier Alpen, welcher trotz der starken Ausaperung und des v. a. im Gipfelbereich äußerst brüchigen Gesteins (Schiefergneis) nach wie vor sehr gerne bestiegen wird. Besonders beliebt ist die Besteigung von der Müllerhütte (3145 m.) aus über den steilen Ostgrat (II), ggf. in Kombination mit der Überschreitung zur Siegerlandhütte hin]


[Bild: Wohl nur wenige Schutzhütten in den Ostalpen bieten eine so geniale, so hochalpin anmutende Szenerie wie das Becherhaus (3195 m.) - Mit Blick auf das fast 2 km lange Massiv der Sonklarspitze (3444 m.) lässt es sich definitiv aushalten! Während in regelmäßigen Abständen noch Seilschaften über die schier endlosen Gletscherweiten des Übeltalferners in Richtung Müllerhütte oder Becherhaus schreiten, sinnieren wir über Gott, die Welt und den morgigen Tag. Der Wilde Freiger (3418 m.) gilt ja als Aussichtsgipfel ersten Ranges und ich bin schon extrem gespannt, ob er seinem Ruf gerecht werden wird]


[Bild: Wilder Freiger (3418 m.) vom Becherhaus (3195 m.) aus gesehen - Bei dem vermeintlich höchsten Punkt handelt es sich in Wahrheit um den von einer kleinen Antenne „dekorierten“ Signalgipfel (3392 m.), welchen wir heute beim Zustieg zur Hütte via Freigerscharte bereits (im Nebel) überschritten haben. Der Aufstieg zum Gipfel wird morgen erneut über den hier im Bild ersichtlichen Südgrat erfolgen, welcher technisch leicht (I und Drahtseilpassagen A / K1) und praktisch kaum ausgesetzt ist. Auch der Übeltalferner reicht seit vielen Jahren kaum mehr an den Grat heran, so dass heutzutage Steigeisen und Eispickel zwar grundsätzlich zur Ausrüstung gehören sollten, jedoch in der Regel nicht mehr benötigt werden]


[Bild: Kaum ist die Sonne hinter dem Stubaier Alpenhauptkamm untergegangen, kehrt schlagartig eine alpine „Strenge“ rund um das Becherhaus ein. Aufgrund seiner Exponiertheit, Höhe und Nähe zum Übeltalferner wird es hier auch im Sommer bei schönem Wetter nachts empfindlich kalt! Sehr bald werden wir uns in die behagliche Schutzhütte zurückziehen, die angesichts des unangenehm kalten Nordwindes ihrem Charakter auch heute voll gerecht wird. Vorher genießen wir jedoch noch den Ausblick zum spitzen Zuckerhütl (3507 m.), welches sich rechts hinten erstmals zeigt. Dieser höchste Berg der gesamten Stubaier Alpen wird uns auch morgen über viele Stunden hinweg begleiten]


[Bild: Einer Himmelsleiter aus düsterem Urgestein gleich, strebt der ausgeprägte Südgrat des Wilden Freiger vom Becher gen Signalgipfel (3392 m.) - Da wir die Route bereits von heute Nachmittag (im Abstieg) kennen, machen wir uns keinerlei Sorgen, zumal für morgen Sonne pur und keine bis kaum Quellwolken vorhergesagt sind. Wenn wir ein bisschen Glück haben, wird die in wenigen Stunden anstehende Überschreitung ein wahres Fest für die Sinne, ein Paradebeispiel für eine hochalpine Genusstour am Zentralalpenhauptkamm, direkt auf der Grenze zwischen Südtirol (Italien) und Tirol (Österreich): Die Vorfreude steigt kurz vor dem Schlafengehen ins Unermessliche...]


[Bild: Sonnenaufgang am Becherhaus (3195 m.) - Auch wenn wir erst in ca. 1,5-2 h aufbrechen werden, haben wir uns natürlich (!) frühzeitig aus unserem Lagerplatz geschält, um den anbrechenden Tag auf dieser höchstgelegenen Schutzhütte Südtirols gebührend zu feiern. Während die Feuersteine (mittig im Hintergrund) und rechts daneben (am Horizont) die Hohen Tauern sowie die Zillertaler Alpen so langsam aber sicher von den ersten Sonnenstrahlen des Tages berührt werden, wird auch mir ums Herz auf einmal ganz warm: Ich habe im Gefühl, dass das heute einer jener unvergleichlich schönen Tage werden wird, von denen man noch lange zehren wird]


[Bild: Schwarzwandspitz (3358 m.), Hohes Eis (3392 m.), Sonklarspitze (3444 m.), Zuckerhütl (3507 m.) und Wilder Pfaff (3456 m.) im ersten Licht des Tages vom Becherhaus (3195 m.) aus gesehen - Für Momente wie diese muss man normalerweise extrem früh aufstehen oder gar im hochalpinen Bereich biwakieren... Aus einer warmen, gemütlichen Schutzhütte vor die Tür treten und unmittelbar diese Aussicht vor der Nase haben, es sind diese Momente des Bergsteigens, die einen immer wieder aufs Neue sprachlos zurücklassen und einem so viel geben, dass man es im Grunde nicht adäquat in Worte fassen kann]


[Bild: Alpenglühen an Zuckerhütl (3507 m.) und Wildem Pfaff (3456 m.) - Ganz unten kann man die (sich noch im Schatten befindende) Müllerhütte (3145 m.) erkennen, von welcher aus auch heute sicherlich wieder viele Seilschaften aufbrechen werden, um einen der umliegenden Stubaier Hochgipfel anzusteuern. Glücklich sind diejenigen, die an einem Tag wie heute die Zeit „am Berg“ verbringen können]


[Bild: Da geht's gleich hoch! Morgendlicher Ausblick von der Becherhütte (3195 m.) zum Wilden Freiger (3418 m.), welchen wir nach dem Frühstück über den markanten Südgrat ansteuern werden. Noch befinden sich die Felswände, Grate und Firnflanken dieses siebthöchsten Stubaier Gipfels im Schatten, doch das wird sich schon sehr bald ändern. Alpine Bergtouren oberhalb der 3000-Meter-Marke wie diese, sie haben einfach ihr ganz eigenes Flair]


[Bild: Die höhentechnische Königstour der Stubaier Alpen ist zweifellos die Überschreitung des Wilden Pfaff (3456 m.) von der Müllerhütte (3145 m.) aus über den Ostgrat (II) mit anschließender Besteigung des Zuckerhütl (3507 m.) über seine Ostflanke (II und ggf. steiler Firn bis 45 Grad) - Leider ist das Zuckerhütl von der klimawandelbedingten Ausaperung besonders hart getroffen, die Normalroute über die Ostflanke mittlerweile bereits ab dem Frühsommer akut steinschlaggefährdet, so dass viele Seilschaften bzw. Bergsteiger den Berg nur mehr im Winter (z. B. als Skitour) besteigen. Von den Stubaier Bergführern wird das Zuckerhütl im Sommer beispielsweise gar nicht mehr „angeboten“, so unkalkulierbar wird das Risiko mittlerweile von den Profis eingeschätzt. Natürlich gibt es noch andere Routen auf den höchsten Stubaier Berg (z. B. von Westen über die Pfaffenschneide), diese lassen sich jedoch nicht ganz so „elegent“ in den Übergang von der Müllerhütte zur (z. B.) Hildesheimer Hütte integrieren, wie es bei der Ostflanke der Fall war. Auch in diesem Jahr ist das Zuckerhütl bereits Ende Juni seit Wochen (!) praktisch komplett aper. Wer es also von nun an über die Normalroute probiert, geht in jedem Fall objektiv hohe Risiken ein]


[Bild: Ausblick vom Becherhaus (3195 m.) zum (im Italienischen „Il Capro“ genannten) Botzer (3251 m.) - Zählt dieser aussichtsreiche Stubaier 3000er doch bereits zu den eher exklusiveren Gipfelzielen im Umkreis, dürften seine umliegenden Trabanten wie z. B. die links ersichtliche Hochgewand (3189 m.), der hinter dem Botzer aufragende Nock (3202 m.) oder der rechts herübergrüßende Königshofspitz (3133 m.) sogar noch deutlich aufgesucht werden. Mancher dieser hochgradig einsamen Gipfel dürfte wahrscheinlich sogar in dem einen oder anderen Jahr gar keinen Besuch erhalten]


[Bild: Da kommen doch zwangsläufig Hochgefühle auf: Ausblick vom Becherhaus (3195 m.) zum Wilden Freiger (3418 m.), kurz bevor wir uns an den Aufstieg über den eleganten Südgrat zum Signalgipfel machen. Gemeinsam mit uns werden sich noch zahlreiche andere Wanderer bzw. Bergsteiger auf den Weg machen, zählt der Freiger aufgrund seiner relativ leichten Erreichbarkeit doch zu den beliebtesten (und begehrtesten) alpinen Gipfeln / 3000ern der Zentralalpen, zumal man ihn ohne Hochtourenequipment (v. a. ohne Seil) und damit guten Gewissens (entsprechende Erfahrung vorausgesetzt) auch solo anvisieren kann]


[Bild: Östlich des Becherhauses (3195 m.) dominiert das weitläufige Gletscherbecken des Übeltalferners die Szenerie. Auch wenn die friedlichen Verhältnisse auf dem Gletscher einen entspannten Eindruck vermitteln (und in der Tat hat es in diesem Jahr Ende Juni hervorragende Bedingungen für Hochtouren!), sollte man den Übeltalferner in jedem Fall nur angeseilt betreten, ist er doch gebietsweise äußerst spaltig. Die breit ausgetretenen Trassen der Seilschaften zur Müllerhütte mögen harmlos und verlockend aussehen. Dennoch sollte man einen Übergang bzw. eine ggf. anschließende Besteigung des Wilden Pfaff (3456 m.) nicht unangeseilt (solo) unternehmen]


[Bild: Am Beginn des Südgrates auf den Wilden Freiger, welcher (nach einem kurzen Höhenverlust bzw. Zwischenabstieg vom Becherhaus) in ziemlich gerader Linienführung im blockigen Urgestein bergauf führt. An manchen Stellen ist der Grat zwar mit Drahtseilen versichert, doch sind die entsprechenden Passagen so einfach (max. A / K1), dass man keine Klettersteigausrüstung benötigt. Immer wieder müssen zudem leichte Kraxelstellen (I) bewältigt werden, was jedoch angesichts des trockenen und festen Gesteins purer Genuss ist. Sollten man zwischen den Felsblöcken des Grates (Alt-)Schneereste vorfinden bzw. kurzzeitig ein Stück auf den Gletscherrand links vom Grat ausweichen müssen, schadet es indes nicht, Steigeisen (oder zumindest Grödel) im Rucksack zu haben]


[Bild: Was für eine Lage! Wohl nur wenige alpine Schutzhütten haben das Prädikat „Wolkenschloss“ so sehr verdient, wie das Becherhaus (3195 m.) - Warum eine Übernachtung auf so einer exponierten Gipfelhütte zwangsläufig etwas ganz Besonderes ist, wird beim Rückblick vom Südgrat des Wilden Freiger mehr als deutlich. Es ist kaum zu fassen, was für eine Logistik dahinter steckt, den Betrieb einer solchen Schutzhütte mit 100 Schlafplätzen (!) zzgl. Notlager und Winterraum zu gewährleisten. An so einem tollen Ort so komfortabel übernachten zu dürfen, ist ein Privileg]


[Bild: Das bereits im Jahr 1894 in seiner ursprünglichen Form erbaute und zu Beginn „Kaiserin-Elisabeth-Schutzhaus“ genannte Becherhaus wurde aufgrund seiner Beliebtheit und alpinistischen Bedeutung im Laufe der vergangenen 130 Jahre mehrfach umfangreich erweitert und modernisiert (zuletzt 2020-2021 in Form einer Generalsanierung). Gleichzeitig hat die Hütte eine höchst wechselhafte Geschichte (inkl. einer Enteignung der DAV Sektion Hannover durch den italienischen Staat nach dem 1. Weltkrieg) hinter sich. So war das Becherhaus z. B. in den 1960 und 70er Jahren lange Zeit geschlossen bzw. militärisch (!) besetzt. Gut dass solche Zeiten lange hinter uns liegen und das Becherhaus heutzutage wieder das ist, was seine Erbauer ursprünglich für die Hütte vorgesehen hatten: eine (heutzutage urig-heimelige) Unterkunft für Bergsteiger im Hochgebirge]


[Bild: Unterwegs am fotogenen Wilder Freiger Südgrat - Da das Gelände nicht wirklich schwierig ist (max. I und A / K1), die Steigeisen im Rucksack bleiben können und der Fels bereits zu dieser frühmorgendlichen Stunde warm und v. a. trocken ist, gestaltet sich der Aufstieg zum Signalgipfel äußerst entspannt: Wir lassen uns bewusst Zeit um zu fotografieren und um die Aussicht über den Übeltalferner bzw. in Richtung Dolomiten zu genießen. Zugleich steigt mit jedem gewonnenen Höhenmeter die Spannung, wie sich das Panorama vom Gipfelgrat aus darstellen wird, haben wir tagszuvor zwischen Freiger See und Becherhaus doch praktisch nur in die „dicke Suppe“ gestarrt]


[Bild: Auch wenn der Übeltalferner stellenweise (noch) bis an den Südgrat zum Signalgipfel heranreicht, sind hier in der heutigen Zeit Steigeisen im Normalfall nicht mehr notwendig, speziell dann, wenn die Sommersaison bereits im fortgeschrittenen Zustand ist. In manchen (schneereichen) Jahren können Steigeisen (bzw. zumindest Grödel) am Anfang der Saison aber noch notwendig sein! Am besten erkundigt man sich vor der Tour telefonisch im Becherhaus, da man sich dann ggf. das Gewicht sparen kann]


[Bild: Innehalten und genießen beim Aufstieg über den Südgrat des Wilden Freiger - Links kann man das von hier bereits seltsam klein wirkende Becherhaus (3195 m.) erkennen, welches im Westen und Süden vom Übeltalferner eingerahmt wird. Während (links) der Botzer (3251 m.) und (ganz rechts) der Schwarzwandspitz (3358 m.) in der Regel nicht ansatzweise so viel Besuch erhalten wie der Freiger, dürften die rechts in der Ferne ersichtlichen Berge rund um die Hochwilde (3480 m.) und den Hinteren Seelenkogel (3470 m.) in den Ötztaler Alpen heute ebenfalls von vielen Bergsteigern angesteuert werden, handelt es sich doch bei beiden Gipfeln um gletscherfreie, technisch nicht allzu schwierige Touren bis nahe an die 3500-Meter-Marke]


[Bild: Unschwieriges Blockgelände (max. I, Drahtseile bis A / K1) kurz vor dem Signalgipfel, wobei das Ganze sogar markiert ist. Nur noch wenige Hm, dann werden wir den Gipfelgrat erreichen, über welchen die Staatsgrenze von Italien (Südtirol) und Österreich (Tirol) verläuft. Auch wenn mir hier einerseits fast ein bisschen die alpinistische Herausforderung (z. B. eine moderat ausgesetzte Kletterstelle im Schwierigkeitsgrad II-III) fehlt, so ist es andererseit auch einmal sehr angenehm, so völlig entspannt (und gleichzeitig von hochalpinem Gletscherterrain umgeben!) im leichten Blockgelände zu kraxeln. Den Kopf ausschalten und in Muße stressfrei vor sich hin steigen: Manchmal tatsächlich eine absolute Wonne]


[Bild: Traumhafte Bedingungen beim Aufstieg zum Wilden Freiger über seinen aussichtsreichen Südgrat: Umgeben von den (für Ostalpenverhältnisse vergleichsweise imposanten) Weiten des Übeltalferners steigt es sich besonders beschwingt, muss man beim Blick über den Gletscher in Richtung Sonklarspitze, Zuckerhütl und Wilder Pfaff doch unweigerlich grinsen. Wie schön es doch ist, sich keinerlei Gedanken um das Wetter machen und sich einfach nur auf den immer näher kommenden Gipfel freuen zu können]


[Bild: Schier endlos weite Fernsicht vom Wilder Freiger Signalgipfel (3392 m.) zu den Feuersteinen (links), den dahinter in der Ferne herübergrüßenden Zillertaler Alpen sowie über das mehr als 2000 Meter tiefer gelegene Ridnauntal in Richtung Dolomiten - Mit dem Erreichen des vom Hauptgipfel nur etwas mehr als 300 m entfernten Signalgipfels haben wir Südtirol wieder verlassen und die Landesgrenze erreicht. Der nun folgende rasche Übergang zum höchsten Punkt wird also im wahrsten Sinne des Wortes ein echter „Grenzgang“]


[Bild: Rückblick vom Wilder Freiger Signalgipfel (3392 m.) zum Becherhaus (3195 m.) - Zwar nur ca. 1 km Luftlinie und 200 Hm entfernt, ist unsere Unterkunft der vergangenen Nacht doch bereits gefühlt so unendlich weit weg (und das, obwohl wir wohl in ca. 30 Minuten bereits wieder durch ihre Tür spazieren könnten). Auch heute werden sich wieder zahlreiche motivierte Wanderer, Bergsteiger und Hochtourengeher aus allen Himmelsrichtungen zu dieser höchstgelegenen Schutzhütte Südtirols aufmachen und das grandiose Panorama von der Terrasse aus genießen: Irgendwie eine schöne Vorstellung]


[Bild: Ende des 20. Jahrhunderts noch ein hochalpiner, überfirnter Kamm in unmittelbarer Nähe zum nördlichen (hier rechts) gelegenen Wilder-Freiger-Ferner (auch Grünauferner genannt), präsentiert sich der Verbindungsgrat zwischen Signalgipfel (3392 m.) und Hauptgipfel (3418 m.) heutzutage im (Hoch-)Sommer meist als knochentrockene Blockhalde, die allenfalls auf den letzten Metern den Einsatz von z. B. Steigeisen notwendig machen kann]


[Bild: Finales Schlussstück des Verbindungsgrates zwischen Wilder Freiger Haupt- und Signalgipfel: Da der Wilder-Freiger-Ferner hier tatsächlich noch bis an den Grat heranreicht und die Flanke relativ steil abfällt, kommt hier (v. a. im Frühsommer) auf den letzten Metern noch ein Hauch von Alpinismus auf, wobei in unserem Fall aufgrund der Trittspuren die Steigeisen im Rucksack bleiben können. Die anschließende leichte Blockkraxelei (I) ist dann ebenfalls kein Hindernis mehr, so dass wir nach etwa 1 Stunde Gehzeit ab Becherhaus (inkl. Fotopausen) schließlich den höchsten Punkt des Wilden Freiger erreichen. Die Gipfelschau kann beginnen...]


[Bild: Ausblick vom Wilden Freiger (3418 m.) über die nach Norden abfallende, seltsam hochflächenartig-wirkende Gipfelflanke zu den markanten Feuersteinen und zum kühnen Horn des Pflerscher Tribulaun (links dahinter) - Der Wilde-Freiger-Ferner (links) reicht indes kaum mehr an den Gipfelgrat heran, bei den meisten Schneefeldern v. a. in der Bildmitte handelt es sich lediglich um Altschnee]


[Bild: Atemberaubender Tiefblick über den Wilder Freiger Nordgrat, welcher den gleichnamigen Wilder-Freiger-Ferner im oberen Bereich in zwei Arme teilt. Über diesen Gletscher zum / vom Gipfel auf- oder abzusteigen, ist heutzutage (vor dem Hintergrund zahlreicher unkomplizierterer Alternativen) absolut unüblich, zumal er abschnittsweise recht steil und zerschrunden ist. Links im Hintergrund grüßen dagegen der zweit- bzw. dritthöchste Berg (die Pfaffenschneide zählt aufgrund der geringen Schartenhöhe als Gipfel, nicht als eigenständiger Berg!) der gesamten Stubaier Alpen herüber: der Schrankogel (3497 m.) und die Ruderhofspitze (3474 m.) - Diese stolzen Stubaier Granden können analog zum Freiger ebenfalls gletscherfrei bestiegen werden, wobei man bei der Ruderhofspitze routentechnisch schon wissen sollte, was man macht]


[Bild: Westlich des Wilder-Freiger-Ferners ragt einer der wahrscheinlich besten Aussichtsgipfel für den Stubaier Hauptkamm in die Höhe: der Apere Freiger (3262 m.) - Diese Aussichtsloge par excellence kann in ca. 3-4 Stunden von der Sulzenauhütte aus über einen Teil des Lübecker Weges und schließlich den W-Grat (Kraxelei bis I) erreicht werden. Für Begeher des Stubaier Höhenweges handelt es sich um eine der lohnendsten Gipfeloptionen unterwegs und den idealen Auftakt vor dem Übergang zur Dresdner bzw. Nürnberger Hütte (wobei der Tag dann natürlich sehr lang wird!). Links in der Ferne (ganz außen) kann man überdies die Watzespitze (3532 m.) erkennen, welche zu den anspruchsvollsten hohen Zielen der Ostalpen gehört]


[Bild: Sonklarspitze (3444 m.) und Wilder Pfaff (3456 m.) im Zoom vom Wilden Freiger (3418 m.) aus gesehen - Das Zuckerhütl (3507 m.) ragt zwar unmittelbar über dem Pfaff ein paar Meter in die Höhe, hebt sich jedoch aus dieser Perspektive kaum von seinem Nachbarn ab. Keinerlei Probleme hat man dagegen beim Erkennen der beiden Berge mittig am Horizont, handelt es sich doch um den dritthöchsten (links) bzw. zweithöchsten (rechts) Berg von ganz Österreich: die Weißkugel (3738 m.) und die Wildspitze (3768 m.) in den Ötztaler Alpen. Hinter diesen Giganten müssen selbst die stolzen Hochgipfel der Stubaier Alpen klar zurücktreten]


[Bild: Ausblick vom Wilden Freiger (3418 m.) über seinen Westgrat, über welchen der Abstieg zur (bzw. Anstieg von der) Sulzenauhütte via Lübecker Weg (Gratkletterei I-II, Gletscherpassage auf der Fernerstube) erfolgen kann. Dahinter ragen wuchtig die noch etwas höheren Nachbarberge des Wilden Freiger in den Himmel: Sonklarspitze (3444 m.) und Wilder Pfaff (3456 m.) - Angesichts dieses gewaltigen, durch und durch hochalpinen Panoramas wird automatisch klar, warum der Freiger seit weit über 100 Jahren als eines der begehrtesten Hochtourenziele der Stubaier Alpen gilt. Die Aussicht ist wirklich unerhört schön]


[Bild: Hinter dem Signalgipfel (3392 m.) des Wilden Freiger grüßen am Horizont die Dolomiten herüber und künden von großen Taten. Es ist müßig zu versuchen, sie alle zuzuordnen oder zu benennen, aber sichtbar sind die Giganten der „Bleichen Berge“ von dieser gewaltigen Stubaier Aussichtswarte tatsächlich (fast) alle: Dreischusterspitze, Drei Zinnen, Hohe Gaisl, Piz Popena und Monte Cristallo, Sorapiss, die Tofane, Monte Pelmo, Furchetta und Sass Rigais, Civetta, Piz Boè (Sella), Marmolada, Langkofel, Pala, Rosengarten und Schlern - Die Liste, sie ließe sich endlos fortführen. Mit was für einem Panorama der Wilde Freiger doch aufwartet...]


[Bild: Ausblick vom Wilden Freiger (3418 m.) über den Übeltalferner. Ganz links bildet der aus dieser Perspektive ein bisschen an einen Nunatak erinnernde Becher mit dem auf seiner Spitze trohnenden Becherhaus (3195 m.) die östliche Begrenzung für den größten Stubaier Gletscher. Ganz rechts kann man die Pfaffennieder (3136 m.) erkennen, wobei sich hinter der unscheinbaren Kammerhebung (Punkt 3227 m.) die Müllerhütte (3145 m.) befindet. Das Herz des „klassischen“, vom Gletscherskizirkus ungestörten Stubaier Hochtourengehens, es schlägt hier]


[Bild: Nordöstlich vom Wilden Freiger ragt in etwa 11 km Entfernung einer der markantesten Berge der gesamten Stubaier Alpen in den Himmel, der Habicht (3277 m.) - Diesen (im Tiroler Volksmund auch „Hager“ oder „Hoger“ genannten) imposanten Berg habe ich im Jahr 2010 bestiegen, wodurch er für mich auf ewig der erste große 3000er-Gipfelerfolg in den Stubaier Alpen sein wird - Auch abseits vom Habicht ist die Aussicht vom Freiger nach Norden über die schier endlosen Weiten der Tiroler Bergwelt schlichtweg ein Traum! Das Auge, es weiß gar nicht an welchem Gipfel es zuerst ruhen soll]


[Bild: Gipfelfreuden auf dem Wilden Freiger (3418 m.) inmitten des zentralen Stubaier Alpenhauptkammes - Schon seit vielen Jahren wollte ich diesem Paradeberg im Herzen der Ostalpen einen Besuch abstatten. Dass es nun in Kombination mit einer Übernachtung auf dem Becherhaus (3195 m.) spontan und dann auch noch bei absolut perfektem Wetter geklappt hat, ich kann es einfach nicht fassen. Was für ein Glück!]


[Bild: Nördlich vom Wilder Freiger Signalgipfel (3392 m.) breitet sich eine relativ flache, im Hochsommer mittlerweile apere Hochebene aus, die nach Norden zum NO-Grat hin zwar sanft abfällt, aufgrund der zahlreichen ebenen Mulden jedoch viel Platz für ein (Not-)Biwak bietet, wenn z. B. der Abstieg zum Becherhaus oder zur Nürnberger Hütte nicht (mehr) möglich ist. Vor Steinschlag bzw. sonstigen Naturgefahrenereignissen ist man hier weitestgehend sicher, wobei man in diesem Bereich natürlich sehr exponiert ist. In jedem Fall hat man von hier eine atemberaubend schöne Aussicht nach Osten zu den Feuersteinen sowie nach Norden zum wuchtigen Habicht (3277 m.) - Schwer vorzustellen, dass das hier vor wenigen Jahrzehnten noch durch und durch vergletschertes Terrain war]


[Bild: Wieder im Bereich des Signalgipfels (3392 m.) angekommen, bietet sich uns ein spannender Ausblick über den östlichsten Nebenarm des Wilder-Freiger-Ferners und zu den von den Hängegletschern des Grüblferners dekorierten Feuersteinen (links hinten). Als wir gestern von der Freiger Scharte (ganz rechts vor dem Roten Grat erkennbar) hier heraufgekommen sind, war das Wetter bei weitem noch nicht so fein]


[Bild: Abstieg über den langgezogenen Nordostgrat des Wilden Freiger, welcher vom Signalgipfel etwa 350 Hm und 1,5 km zum Gamsspitzl (3051 m.) abfällt. Auch wenn der östliche Bereich des Wilder-Freiger-Ferners hier formell an 1-2 Stellen (noch) ganz knapp an den Grat heranreicht, ist vollständige Gletscherausrüstung doch nicht mehr notwendig. Je nach Verhältnissen können Steigeisen bzw. zumindest Grödel nützlich sein, in der Regel wird man hier (v. a. im Hochsommer und Herbst) aber mit regulärer Wanderausrüstung gut bedient sein. Technisch ist die markierte Route unkompliziert, so dass man an einem Tag wie heute maximal entspannt gen Seescharte abwärts steigen kann, den Habicht (3277 m.) dabei immer im Blickfeld]


[Bild: Von allen Anstiegen, die von Norden aus dem Stubaital auf den Wilden Freiger führen, handelt es sich beim NO-Grat zweifellos um die landschaftlich schönste Route, geht es doch über ca. 300 Hm fast direkt über den Grat berauf (oder wie in unserem Fall bergab), während der Wilder-Freiger-Ferner zu beiden Seiten für ein hochalpines Ambiente sorgt. Nur im Bereich einer Felsrippe muss man kurzzeitig dezent kraxeln (Umgehung über den Gletscher möglich, aber bei normalen Bedingungen kaum empfehlenswert), ansonsten ist das Ganze in erster Linie eine genussreiche Panoramawanderung]


[Bild: Im Abstieg über den Wilder Freiger NO-Grat zur Seescharte - Während links das unscheinbare Gamsspitzl (3051 m.) kaum aus der Umgebung herausragt, stellt der lange Gratkamm zwischen Feuersteinen und Habicht einige sehr eindrucksvolle Berggestalten zu Schau. Die von hier besonders markante, pyramidale Innere Wetterspitze (3053 m.) kann beispielsweise von Osten von der Bremer Hütte aus unkompliziert (I-II) bestiegen werden und stellt so z. B. eine ideale Zugabe für einen Übergang zur Innsbrucker bzw. Nürnberger Hütte dar]


[Bild: Rückblick über den Wilder Freiger Nordostgrat, welcher v. a. westseitig noch vom (in diesem Bereich relativen steilen und durchaus spaltigen) Wilder-Freiger-Ferner begrenzt wird. Die markante Felsrippe kann indes ostseitig auf dem hier ziemlich harmlosen Gletscher(-rest) umgangen werden, wobei das nur bei z. B. vereisten Felsen ernsthaft in Betracht gezogen werden sollte. Im Normalfall wird der direkte An- bzw. Abstieg über die Felsen die klar schnellste, sicherste und letztlich sinnvollste Variante sein. Die Markierungen leiten einen in jedem Fall direkt über den NO-Grat hinweg]


[Bild: Kurz vor dem Gamsspitzl (3051 m.) leitet die markierte Route vom NO-Grat weg und rechterhand über eine blockreiche Flanke bergab in eine (oft schneegefüllte) Mulde. Dabei haben wir stets die beiden eindrucksvollen Feuersteine vor Augen, welche über dem Freiger See ihre düsteren Nordwestabstürze zur Schau stellen. Eine der Hauptrouten auf den Östlichen Feuerstein (3267 m.) führt von der Nürnberger oder alternativ Bremer Hütte über den hier ersichtlichen Grüblferner (der linke Gletscher) zum Pflerscher Hochjoch (3164 m.) und dann über den NO-Grat zum höchsten Punkt. Je nach Ausaperung (Bergschrund!) handelt es sich dabei aber um eine durchaus ernste Angelegenheit, bei der man sinnvollerweise mit vollständiger Hochtourenausrüstung unterwegs ist]


[Bild: Wer sich den Wilden Freiger (3418 m.) aus welchem Grund auch immer nicht zutraut, hat mit dem schuttigen Gamsspitzl (3051 m.) eine zwar wenig markante, aber dafür ebenfalls sehr aussichtsreiche Alternative! Der Aufstieg führt von dem markierten Weg zur Seescharte über den gerölligen Osthang (im Profil) in 15-20 Minuten (ca. 100 Hm) auf den Gipfel, wobei wir uns das Gamsspitzl heute sparen. Unser Bedarf nach Gipfeln ist für heute gedeckt, uns zieht es unmittelbar weiter zur Nürnberger Hütte und zu einem herzhaften Knödelgericht in Kombination mit einem kalten Getränk]


[Bild: Ausblick von dem Abschnitt zwischen Gamsspitzl und Seescharte über das weite Kar zwischen Freiger See und Rotem Grat zu den mächtigen, vom Grüblferner dekorierten Feuersteinen: Der Archetypus einer kristallinen Zentralalpengebirgslandschaft, er befindet sich hier im Herzen der wunderbaren Stubaier Alpen nordöstlich vom Wilden Freiger]


[Bild: Kurz vor Erreichen der Seescharte (2762 m.) baut sich das spitze Felshorn der Urfallspitze (2805 m.) vor uns auf. Bei der eigentlichen Seescharte handelt es sich um eine von mehreren Übergangsoptionen von der Nürnberger Hütte zur Sulzenauhütte (und umgekehrt). Wer auf dem Stubaier Höhenweg unterwegs ist und auf möglichst direktem Weg die jeweils nächste Hütte ansteuern will, wird hier in der Regel nicht vorbeikommen, ist die Route über das Niederl (2680 m.) doch die deutlich direktere Variante. Wer jedoch Gipfelambitionen im Hinblick auf den Wilden Freiger oder zumindest das Gamsspitzl hegt, für den stellt die Seescharte einen wichtigen Etappenpunkt dar]


[Bild: Sowohl die beiden Feuersteine als auch der pittoreske Freiger See dürften heute wieder von zahlreichen Bergsteigern, Wanderern und Hochtouristen Besuch erhalten haben. Wie weit indes Gletscher wie der Grüblferner einst herunterreichten, wird an der gewaltigen Moräne (links) deutlich. Kaum zu glauben, dass wir dort unten im Kar erst vor knapp 24 Stunden durchgekommen sind und dabei in den dichten Nebel gestarrt haben... Wie anders die Berge doch bei strahlendem Sonnenschein bzw. gutem Wetter sind]


[Bild: Im Abstieg von der Seescharte zur Nürnberger Hütte - Während der markierte Steig unterhalb der Urfallspitze über schuttige Berghänge quer in das Kar abwärts führt und dabei langsam aber sicher die Vegetation „zurückkommt“, bauen sich die beiden Wetterspitzen vor uns immer bedrohlicher auf. Noch sind es zwar über 1000 Hm bis zum Parkplatz, aber alles was nun noch vor uns liegt, fällt unter die Kategorie „Autopilotmodus“. Technisch anspruchsvolle Wegabschnitte stehen uns bis zum Stubaital nicht mehr bevor und so können wir die Tour ab sofort bequem auslaufen lassen]


[Bild: Während wir nach einer ausgiebigen „Knödel-und-Kaltgetränk-Pause“ bei der Nürnberger Hütte schließlich am Nachmittag noch den Schlussabstieg durch das wunderbare Langental zum Parkplatz im Stubaital in Angriff nehmen, muss ich unweigerlich an den erst vor wenigen Stunden erreichten Gipfel des Wilden Freiger (3418 m.) denken: Als ich mich vor vielen Jahren zum ersten Mal mit den Stubaier Alpen auseinandersetzte, war relativ schnell klar, dass ich diesem aussichtsreichen 3000er mitten am Zentralalpenhauptkamm irgendwann einmal einen Besuch abstatten werde. Gleichzeitig war aufgrund der Nähe zum Becherhaus (3195 m.), diesem höchstgelegenen Südtiroler Wolkenschloss hoch über den „arktischen“ Weiten des Übeltalferners, schnell der Wunsch geboren, eine Freiger-Tour idealerweise mit einer Übernachtung in der genannten Schutzhütte zu verbinden. Doch dies sollte sich jahrelang nicht realisieren lassen, u. a. aufgrund der enormen Beliebtheit des Becherhauses und des langjährigen Unwissens über den faktisch gletscherfreien Aufstieg via Freiger Scharte (wodurch sich die Möglichkeit einer Rundtour ergibt). Dass diese landschaftlich so wunderbare Tourenkombination (Wilder Freiger Überschreitung via NO-Grat und Freiger Scharte + Übernachtung im Becherhaus) nun endlich (ganz spontan!) geklappt hat und uns noch dazu so unfassbar schönes Wetter vergönnt war, ich werde einige Zeit brauchen, um das alles zu realisieren. In jedem Fall kann ich den Wilden Freiger jedem ambitionierten Bergwanderer ans Herzen legen: Wirklich schwierig ist die Tour zu keiner Zeit, Steigeisen / Grödel und Helm sind letztlich während der gesamten 2 Tage im Rucksack geblieben. Man muss sich natürlich jederzeit bewusst sein, dass man im hochalpinen Terrain unterwegs ist und sich z. B. ein Wettersturz oder schlechte Bedingungen (Neuschnee, vereister / nasser Fels) rasch sehr drastisch auf das allgemeine Anforderungsniveau auswirken. Ensprechende bergsteigerische Reserven „nach oben“ (alpine Erfahrung, Trittsicherheit, Schwindelfreiheit etc.) sollten sinnvollerweise vorhanden sein. Wer aber die Anforderungen souverän erfüllt und von solchem AKW verwöhnt wird, wie wir es hatten, wird keinerlei Probleme bekommen und diese Traumtour vollauf genießen können. Hochalpin angehauchte Touren nahe der 3500-Meter-Marke am Zentralalpenhauptkamm: Sie haben einfach ein ganz besonderes bergsteigerisches Flair...]



Reichenspitze (3303 m.) via Kuchelmooskees


21-22. Juni 2025


[Bild: Beim Aufstieg von der Staumauer des Speichers Zillergründl zur Plauener Hütte hat man den entsprechenden Stausee in der Anfangszeit direkt neben sich. Dieser hinterste Talschluss des Zillergrundes (ein 20 km langes Seitental des eigentlichen Zillertales) wird Zillergründl genannt und beherbergt ringsherum einige der vornehmsten Berggestalten der Region, darunter den (links hinten erkennbaren) Rauchkofel (3251 m.) - Unser Hochtourenziel für dieses WE, die elegante Reichenspitze (3303 m.), ist hier noch nicht in Sicht. Doch das wird sich sehr bald ändern...]


[Bild: Nachdem der Zustieg zur Plauener Hütte am Anfang noch durch einen langen Tunnel und oberhalb des Speichers Zillergründl auf schottrigen Fahrstraßen dahingeführt hat, geht das Ganze schließlich in einen „klassischen“ Wanderweg über und führt quer über von Latschenkiefern bewachsenen Hängen in Richtung Kuchelmooskar. Dabei zeigt sich mit dem Nördlichen Schwarzkopf (3079 m.) im Hintergrund bereits ein idealtypischer Vertreter der Reichenspitzgruppe, die aufgrund ihrer zersägten, wildgezackten Grate und des allgemein schroffen Erscheinungsbildes als eine der wildesten Untergruppen der Zillertaler Alpen gilt]


[Bild: Die Reichenspitze (3303 m.) in all ihrer herben Pracht vom (unteren) Kuchelmooskar aus gesehen - Die Wildheit der Reichenspitzgruppe, sie wird hier im Angesicht der plattigen, vom Gletscher geformten Geländestufe und der zahlreichen imposanten, vom Kuchelmooskees gespeisten Wasserfälle allzu deutlich. Der große Hermann Delago nannte die Reichenspitze einst ein „herausfordernd kühnes Horn“. Und wenn ein solch legendärer Dolomitenkletterer das sagt, dann heißt das schon was!]


[Bild: Inmitten des landschaftlich traumhaft schönen Kuchelmooskares, welches man beim Zustieg zur Plauener Hütte im unteren Bereich durchquert. Wie es am Zentralalpenhauptkamm oftmals der Fall ist, so erlebt man auch hier in der Reichenspitzgruppe diesen faszinierenden Kontrast zwischen lieblichen alpinen Matten auf der einen Seite und wildzerklüfteten Felsgraten, Wasserfällen, Gletschern und zerborstenen Spitzen auf der anderen Seite: In seiner Gesamtkomposition ist das einfach so schön, so ästhetisch, dass einem das Weitergehen nicht immer leicht fällt]


[Bild: Der untere Bereich des Kuchelmooskares ist vom oberen Bereich durch eine imposante Geländestufe abgetrennt. Vor vielen, vielen Jahrzehnten reichte das Kuchelmooskees noch fast bis zu der plattigen Stufe, doch diese Zeiten sind lange vorbei. Heutzutage beträgt die Distanz deutlich über 1 km und in nicht allzu ferner Zukunft wird es wohl nur mehr in dem hochgelegenen Becken zwischen Reichenspitze, Hahnenkamm, Wildgerlosspitze und Kuchelmooskopf einen kümmerlichen Gletscherrest geben, bis auch dieser im Laufe der kommenden Jahrzehnte irgendwann verschwunden sein wird. Das „klassische“ Hochtourengehen, es ist (zumindest in den Ostalpen) eine langsam aber sicher aussterbende Bergsportdisziplin]


[Bild: Zillertaler Bergidylle beim maximal entspannten Zustieg zur Plauener Hütte via Kuchelmooskar - Während die zahlreichen Wasserläufe des Kuchelmoosbaches friedlich gen Speicher Zillergründl fließen, erheben sich im Hintergrund so unbekannte Gipfel wie (von links nach rechts) der Südliche Magnerkopf (2892 m.), der Nördliche Magnerkopf (2878 m.) und der Große Magner (2873 m.) - All diese Gipfel können vom Stausee via Magnerkar und Magnerscharte (bei der Namensgebung hat man es sich leicht gemacht) erreicht werden. Technisch ist das Ganze wohl nicht schwieriger als I (laut AVF), aber aufgrund der Einsamkeit und Entlegenheit ein mutmaßlich ziemlich ernstes Unterfangen]


[Bild: Reichenspitze (3303 m.), Hahnenkamm (3209 m.) und Kuchelmooskees (im Zoom) vom Aufstieg zur Plauener Hütte aus gesehen - Selten habe ich den Zentralalpen so eindrucksvolle Wasserfälle gesehen wie hier in der Reichenspitzgruppe! Andererseits dürfte es klimawandelbedingt leider auch dieses Jahr wieder zu rekordverdächtigen Masseverlusten der Gletscher kommen. Das mit brachialer Wucht gen Speicher Zillergründl fließende Schmelzwasser, es hat leider einen (in meinen Augen) sehr traurigen Hintergrund bzw. Beigeschmack]


[Bild: Während wir dem durchgehend sehr angenehm zu begehenden Wanderweg zur Plauener Hütte über grasbewachsene Hänge bergauf folgen, bringt sich in der Phalanx der höchsten Spitzen der Reichenspitzgruppe mittlerweile ein anderer Gigant in Stellung: der links erkennbare Kuchelmooskopf (3214 m.) - Auch wenn es aus dieser Perspektive nicht den Anschein hat, so ist seine Besteigung via Kuchelmooskees und Nordgrat (max. I) doch eine relativ unkomplizierte Angelegenheit]


[Bild: Ausblick von der Plauener Hütte (2363 m.) über die Weiten des Kuchelmooskares zur Reichenspitze (3303 m.) - Während wir den Nachmittag rund um die herrlich gelegene Hütte ausklingen lassen und manche noch das nahe gelegene Rainbachköpfl (2690 m.) „mitnehmen“, beginnen die Gedanken so langsam um den morgigen Tag zu kreisen: Wie wohl die Verhältnisse auf dem Gletscher sein werden (das Kuchelmooskees gilt ja als vergleichsweise spaltig)...? Aus der Ferne scheint der Gletscher in vermeintlich gutem Zustand. Doch auch die Verhältnisse in der (von hier nicht einsehbaren) Westflanke, über die letztlich der finale Anstieg erfolgen wird, werden maßgeblich über den Gipfelerfolgt entscheiden. Ich bin schon sehr gespannt!]



[Bild: Nordöstlich der Plauener Hütte ragen ein paar Gipfel auf, die sinnbildlich für das ruppige Erscheinungsbild der Reichenspitzgruppe stehen: Während die links ersichtliche Richterspitze (3052 m.) gerne und häufig bestiegen wird, fristen der Nördliche Schwarzkopf (3079 m.) und der Südliche Schwarzkopf (3042 m.) ein ziemliches Schattendasein. Das liegt natürlich daran, dass die Richterspitze durch einen Klettersteig (C / K3) „erschlossen“ ist, wobei zusätzlich auch noch leichte Kraxelei (max. I-II) verlangt wird. Zudem verläuft über die Gamsscharte (2972 m.) zwischen Richterspitze und Nördlichem Schwarzkopf der markierte Übergang von der Plauener Hütte zur Richterhütte, so dass viele Wanderer die Richterspitze elegant „mitnehmen“. Im Gegensatz dazu wird bei den beiden Schwarzköpfen richtige Kletterei verlangt, unter dem Schwierigkeitsgrad II (siehe Alpenvereinsführer) geht da nichts. Es dürfte sich um eher alpine, herbe Anstiege handeln]


[Bild: Der Winterraum der Plauener Hütte wird speziell im Frühling gerne genutzt, zählen Reichenspitze und Kuchelmooskopf doch zu den begehrtesten Skihochtourenzielen weit und breit. Die beiden Schwarzköpfe (im Hintergrund) dürften zwischen November und Mai jedoch noch weniger Besuch erhalten, als sie es ohnehin schon tun. Ihre Besteigung über eine der zahlreichen Kletterrouten ist etwas für die Sommermonate, wenn der Fels trocken und die Plauener Hütte bewirtschaftet ist, erreicht man die Berge doch von der Hütte in angenehm kurzer Zeit]


[Bild: Die im Süden aufragende Kleinspitze (3169 m.) gehört zu den eher einsamen Gesellen der östlichen Zillertaler Alpen. Obwohl der Berg von Südwesten (aus dem Hundskehlgrund) einigermaßen einfach (max. I, ca. 6 h Gehzeit) erreicht werden kann, nehmen sich nur wenige Bergsteiger diese kühne Spitze als Tourenziel. Es gibt schlichtweg so viele vermeintlich attraktivere Gipfelziele in der näheren Umgebung (Rauchkofel, Berge der Reichenspitzgruppe, Grundschartner), dass es die Kleinspitze da manchmal etwas schwer hat. Wer an diesem formschönen Berg unterwegs ist, wird sich indes zwangsläufig in der Zeit zurückversetzt fühlen: Wer „Bergsteigen wie Anno 1900“ sucht, wird an der Kleinspitze definitiv fündig]


[Bild: Die Reichenspitze (3303 m.) am nächsten Morgen (im Zoom) von der Plauener Hütte aus gesehen - Rechterhand ist die Spur im Geröll zu sehen, die uns nun zunächst in nördliche Richtung quer durch das Kuchelmooskees zum gleichnamigen Gletscher führen wird. Die Wettervorhersage für den heutigen Tag ist perfekt, stabiles Hochdruckwetter steht uns bevor. Jetzt müssen nur noch die Verhältnisse auf dem Kuchelmooskees mitspielen, dann steht einem grandiosen Tourentag praktisch nichts mehr im Wege]


[Bild: Kurz vor Beginn des Kuchelmooskeeses wird endgültig klar, wie wir heute den Gletscher betreten werden: Es gilt, den markanten Eisschlauch direkt in Falllinie unterhalb der Reichenspitze anzuvisieren, der von links unten nach rechts oben führt. Diese breite Firnrinne vermittelt den Zugang zum Kuchelmooskees, wobei die Verhältnisse natürlich jedes Jahr anders sind. Sollte der Eisschlauch verschwunden sein, dürfte ein Zugang zum Gletscher über das geröllige Plattengelände links davon möglich sein, wobei wir natürlich dankbar sind, dass wir direkt im Firn aufsteigen können. Die größte Herausforderung bei Hochtouren dürfte künftig nicht der Gang über den Gletscher, sondern der Zugang zum Gletscher sein]


[Bild: Auf dem Weg zum Eisschlauch, über den wir das eigentliche Kuchelmooskees unterhalb der Reichenspitze Südwand gewinnen werden. Hier könnte man strenggenommen noch seilfrei gehen, da das Anseilen weiter oben aber deutlich umständlicher wäre, gehen wir ab diesem Zeitpunkt als Seilschaft: Die eigentliche Hochtour hat begonnen]


[Bild: Aufstieg über den Eisschlauch am Beginn des Kuchelmooskeeses, welcher den einfachsten Zugang zum Gletscher darstellt, führt er doch (nur mäßig steil) zwischen glatten Gletscherschliffen in gerader Linie elegant bergauf. Der über uns ersichtliche Felsgrat (zwischen Reichenspitze und Zillerspitze) kann übrigens erklettert werden, allerdings ist das Ganze angesichts der gerüttelten Schwierigkeiten (Stelle V- / A0, mehrfach IV und anhaltend II-III) nur etwas für sehr erfahrene Alpinkletterer]


[Bild: Nach dem Eisschlauch macht die Route über das Kuchelmooskees einen Linksschwenk und führt unterhalb der Reichenspitze Südwand in relativ gerader Linie auf den Kuchelmooskopf (links hinten) zu. Das Ganze ist im Detail natürlich von den Verhältnissen vor Ort abhängig, grundsätzlich sollte man aber ausreichend Abstand von der Südwand der Reichenspitze halten, gilt sie doch als sehr steinschlaggefährdet]


[Bild: Mittlerweile in der Sonne, geht es mit gebührendem Abstand zu den Bruchzonen des Kuchelmooskeeses entspannt über den Gletscher bergauf. Wir haben Topverhältnisse erwischt, Spalten bereiten uns überhaupt keine Probleme. Und so marschieren wir vergnügt in Richtung des oberen Gletscherbeckens, Hahnenkamm und Wildgerlosspitze (rechts hinten) als geländetechnische Orientierungspunkte nutzend. Die letzte Unbekannte des Tages werden die Verhältnisse in der W-Flanke der Reichenspitze sein, da wir vom Gletscher heute allem Anschein nach nichts zu befürchten haben werden]


[Bild: Während wir die nächste (nur mäßig steile) Geländeschwelle auf dem Kuchelmooskees in Angriff nehmen, kommt langsam aber sicher die Westflanke der Reichenspitze in unser Blickfeld. Sie vermittelt den mit weitem Abstand einfachsten Zugang zur Gipfelregion, stellen alle anderen Anstiege (z. B. Ostwand, Übergang vom Gabler) doch deutlich (!) höhere Ansprüche an die Bergsteiger bzw. Kletterer]


[Bild: In der weiten „Arena“ des oberen Kuchelmooskeeses, welche u. a. von Wildgerlosspitze (3280 m.) und Hahnenkamm (3209 m.) eingerahmt wird. Hierbei handelt es sich in der Regel um den (abgesehen von allfälligen Spalten) harmlosesten Bereich des Gletschers, das Kuchelmooskees ist hier fast eben. Auch wer nicht wie wir die Reichenspitze als Tourenziel hat, sondern z. B. Kuchelmooskopf oder Wildgerlosspitze anvisiert, wird hier in der Regel vorbeikommen, laufen doch fast alle Gletscherrouten in diesem Bereich zusammen]


[Bild: Hat fast Pistenqualität: Rückblick über das Kuchelmooskees zum Rauchkofel (3251 m.) und zur Kleinspitze (3169 m.) - Links davon kann man in der Ferne die höchsten Berge der schönen Rieserfernergruppe (Hochgall, Magerstein, Schneebiger Nock) ausmachen, während rechts im Hintergrund Zillertaler Granden wie die Napfspitze, die Wollbachspitze oder der Große Löffler herübergrüßen - Das Panorama wird nun mit jedem gewonnenen Höhenmeter immer besser]


[Bild: Solche „Untiefen“ umgehen wir auf dem Gletscher natürlich weiträumig, doch bereiten uns Spalten am heutigen Tag grundsätzlich keinerlei Probleme. Die Besteigung der Reichenspitze via Kuchelmooskees gilt prinzipiell ja als eher spaltige Hochtour, die später im Jahr bei starker Ausaperung teilweise ziemlich „giftig“ werden kann. Doch wir sind früh im Jahr da und müssen uns um solche Beschwernisse keine Sorgen machen. Stattdessen heißt es nun, in relativ direkter Linie die Westflanke der Reichenspitze (rechts hinten) anzuvisieren. Noch fehlt uns ein bisschen die Phantasie, wo es letztlich hochgehen könnte, doch eine markante Firnrinne (hier nicht ersichtlich) hat bereits unser Interesse geweckt]


[Bild: Rückblick über die sehr steile Firnrinne (teilweise 40-45 Grad), über die wir das Kuchelmooskees gen Reichenspitze W-Flanke verlassen haben. Inwieweit der Aufstieg später im Jahr technisch einfacher ist (wenn der Firn hier weitestgehend abgeschmolzen sein dürfte), kann ich nicht sagen. Ein Ausweichen in die Randfelsen ist jedoch mit Kletterei (wohl mind. II) verbunden und aufgrund der lockeren Struktur nur bedingt zu empfehlen. Sinnvollerweise nutzt man die Firnrinne als Aufstieg, vermittelt sie doch den schnellsten Zugang zur W-Flanke. Wir haben indes Glück, finden wir doch bereits eine gute Spur vor, wodurch uns einiges an Arbeit erspart bleibt. Ernst ist das Gelände aber in jedem Fall: Stürzen ist hier angesichts der Steilheit tabu!]


[Bild: Mit einem Mal kommt beim Aufstieg über die Reichenspitze Westflanke ein Gipfel ins Blickfeld, den wir bisher noch überhaupt nicht auf dem Schirm hatten: der Gabler (3263 m.) - Dieser kühne Nebengipfel der Reichenspitze wird gerne und ganzjährig bestiegen, v. a. im Frühling steht er auf der Wunschliste von ambitionierten Skitourengehern ganz oben! Aber auch im Sommer wird er regelmäßig angegangen, zählt seine Besteigung über die sogenannte Glatze (damit ist der obere Bereich seiner zum Wildgerloskees gehörenden NO-Flanke gemeint, welche man in der Bildmitte erkennen kann) mit anschließender Gratüberschreitung zur Reichenspitze hin (luftige Kletterei bis III) doch zum Feinsten, das man aus alpinistischer Sicht in der näheren Umgebung unternehmen kann]


[Bild: Im Anstieg zum obersten Gipfelaufbau der Reichenspitze (3303 m.) - Nachdem die steile Firnrinne, welche den Zugang vom Kuchelmooskees zur Westflanke vermittelt hat, nun hinter uns liegt, steht vor der finalen Kraxlei erst einmal ein „dankbarer“ Firngrat bevor. Das Ganze ist nämlich nicht schwierig oder ausgesetzt und so können wir noch einmal etwas verschnaufen, bevor uns am Gipfelaufbau eine durchaus knackige Mischung aus steilem Firn (40-45 Grad) und bröseliger Kraxelei (max. I-II) bevorsteht]


[Bild: Rückblick zu dem Punkt, an dem man die Firnrinne (Zugang zur W-Flanke der Reichenspitze) verlässt. Dahinter baut sich der wildgezackte Hahnenkamm (3209 m.) auf, welchen nur sehr erfahrene Kletterer versuchen sollten. Wer sich an die gesamte Gratüberschreitung von diesem Punkt bis zur Wildgerlosspitze (3280 m.) im Hintergrund macht, wird mit Schwierigkeiten bis zum Grad V+ in nicht immer zuverlässigem Fels konfrontiert. Dagegen nimmt sich die Normalroute auf die Reichenspitze geradezu bescheiden aus]


[Bild: Rückblick aus der Westflanke der Reichenspitze zum Kuchelmooskees, welches im Westen vom gleichnamigen Kuchelmooskopf (3214 m.) und von der imposanten Wildgerlosspitze (3280 m.) eingerahmt wird. Ausgangspunkt für ihre Normalrouten ist der Firnstattel Punkt 3118 m. zwischen den beiden Gipfeln. Während der Nordgrat des Kuchelmooskopfes eine gutmütige Angelegenheit ist (I), stellt der Südgrat der Wildgerlosspitze (Stellen III) deutlich höhere Anforderungen an eine Besteigung]


[Bild: Unterwegs am obersten Gipfelaufbau der Reichenspitze - Da die Altschneereste ziemlich hart sind, ist das Ganze trotz der guten Spur nicht ganz trivial. Ohne eine saubere Steigeisentechnik und den Einsatz des Pickels geht hier nicht viel. Das Gipfelkreuz ist zwar bereits zum Greifen nah, die letzten Höhenmeter wollen aber hart verdient werden. Nachdem wir die stellenweise bis zu 45 Grad steile Firnrampe hinter uns gebracht haben, geht es anschließend im bröseligen Fels in leichter Kletterei (I-II) rasch empor zum höchsten Punkt]


[Bild: Ausblick von der Reichenspitze (3303 m.) nach Süden über den langen, zerborstenen Verbindungsgrat zur Zillerplattenspitze (3148 m.) - Rechts in der Tiefe kann man einen Teil des Speichers Zillergründl erkennen, während darüber der Rauchkofel (3251 m.) und die Kleinspitze (3169 m.) emporragen. Während ganz links im Hintergrund mit der Rötspitze (3496 m.) einer der tollsten Zentralalpenberge überhaupt herüberschaut, zeigen sich mittig (in der Ferne) die großen Spitzen der Rieserfernergruppe (Hochgall, Magerstein, Schneebiger Nock) von ihrer besten Seite]


[Bild: Schier endlos weiter Blick von der Reichenspitze nach Norden - Wer genau hinschaut, kann an den Ufern des Unteren Gerlossees (rechts) vielleicht die Zittauer Hütter ausmachen. Dieses wunderbar gelegene Refugium ist für Touren rund um das traumhaft schöne Wildgerlostal der ideale Ausgangspunkt, so z. B. für die Besteigung des Gabler (3263 m.) über die Glatze. Aber auch Übergänge zur Richterhütte mit anschließendem Abstieg ins schöne Krimmler Achental oder alternativ der von dort möglichen Besteigung der Richterspitze (ggf. inkl. Übergang ins Zillergründl) sind möglich]


[Bild: Obwohl die Wildgerlosspitze (3280 m.) der Reichenspitze (3303 m.) die höhentechnische Krone der Umgebung nur knapp überlassen muss, wird doch klar, dass wir uns auf dem eindeutig höchsten Berg der Umgebung befinden. Erst in Person der über 12 km Luftlinie entfernten Dreiherrenspitze (3499 m.) manifestiert sich letztlich ein noch höherer Zentralalpen-3000er. Wie spektakulär der Ausblick von der Reichenspitze über das weite Gletscherbecken des Kuchelmooskeeses zu den Nachbarbergen ist, spottet am Ende jeder Beschreibung: Man muss es einfach selbst erlebt haben]


[Bild: Warum der Gratübergang vom Gabler (3263 m.) zur Reichenspitze (3303 m.) als sprichwörtlicher „Tanz auf der Rasierklinge“ gilt, wird aus dieser Perspektive schnell klar: Man muss schon sehr routiniert im maximal ausgesetzten Felsgelände (Kletterschwierigkeit III) sein, um angesichts dieser wilden Gratschneide nicht ins Schwitzen zu geraten. Wer indes über die entsprechende Erfahrung verfügt und das Seilhandling (inkl. Abseilen) routiniert beherrscht, kann den Übergang in gut 1-1,5 h schaffen]


[Bild: Ausblick von der Reichenspitze (3303 m.) zum Großvenediger (3657 m.) und zur gewaltigen Mauer der von den Maurerkeesköpfen über die Simonyspitzen zur Dreiherrenspitzen ziehenden Felswand, die nordseitig (noch) vom zerklüfteten Krimmler Kees beherrscht wird. Im Vordergrund kann man das schwindende Rainbachkees erkennen, über das der Zustieg zur Ostwand (III) der Reichenspitze erfolgt. Ausgangspunkt für diese Tour ist in der Regel die Richterhütte, welche sich (mittig) in der rechten Bildhälfte befindet (links von dem weiten Geröllfeld). Links am Horizont kann man indes die großen Berge der Glocknergruppe (u. a. Großes Wiesbachhorn, Johannisberg, Großglockner) ausmachen - Was für ein unfassbares Panorama...]


[Bild: Gipfelglück auf der Reichenspitze (3303 m.) in den westlichen Zillertaler Alpen - Aufgrund seiner dem Hauptkamm vorgelagerten Position bietet die Reichenspitze eine einmalig schöne Aussicht auf weite Teile der Venedigergruppe, Rieserfernergruppe und Zillertaler Alpen. Andererseits ist die Sicht nach Norden vollkommen frei, meint man hinter den grünen Kitzbüheler Alpen im Dunst doch bereits das bayerische Alpenvorland zu erkennen. Wir könnten es auf dieser herrlichen Aussichtswarte leicht stundenlang aushalten (zumal wir AKW haben), doch das Kuchelmooskees mahnt zum zeitigen Aufbruch, wollen wir den Gletscher im Abstieg doch nicht in gar faulem Zustand erwischen]


[Bild: Im Abstieg von der Reichenspitze - Aufgrund der schon etwas fortgeschrittenen Tageszeit ist der Firn mittlerweile angenehm sulzig, so dass sich die steileren Firnpassagen in der Westflanke etwas einfacher begehen lassen, als noch vor 1-2 Stunden. Dennoch bleibt das hochalpine Terrain absolut ernsthaft, Absturzgefahr ist in den bis zu 45 Grad steilen Firnrinnen bzw. -rampen durchgehend gegeben. Einen Gang runter schalten, werden wir erst auf dem flachen Kuchelmooskees können]


[Bild: Rückblick aus der Reichenspitze W-Flanke zum Gipfel, während links der Gabler (3263 m.) keck herüberschaut. Dieser etwas wenige steile, angenehm offene Abschnitt der W-Flanke ist der technisch einfachste Abschnitt dieser Auf- bzw. Abstiegsroute. Wer es bis hierher geschafft hat, wird es im Normalfall auch bis zum Gipfelkreuz schaffen]


[Bild: Der Abstieg über die bis zu 45 Grad steile Firnrinne, die in einem Bogen direkt auf das oberste Becken des Kuchelmooskeeses führt, verlangt noch einmal höchste Konzentration. Wie steil und anspruchsvoll das Ganze ist, verdeutlicht die Haltung der Bergsteiger: Geradeaus absteigen, ist hier stellenweise nicht mehr! Stattdessen heißt es, sich mit dem Gesicht zum Firn und dem Eispickel in der Hand vorsichtig nach unten zu „arbeiten“. Wie gut, dass wir TOP-Verhältnisse (= guter Trittfirn, Spuren etc.) haben. Wer hier indes auf Blankeis stößt, ist (vorsichtig ausgedrückt) nicht zu beneiden]


[Bild: Wieder zurück auf dem mittlerweile gleißend weißen Kuchelmooskees - Haben wir im Aufstieg die Westflanke der Reichenspitze noch in einem weiten Rechtsbogen angesteuert (die direkte, steile Variante vermeidend), werden wir im Folgenden in ziemlich direkter Linie absteigen (die beiden Bergsteiger unten dienen als Orientierungspunkt): Der sulzige Gletscher gibt das mittlerweile mehr als nur her, wir wollen keine Zeit „vergeuden“ und das Kuchelmooskees möglichst bald hinter uns lassen]


[Bild: Beim Abstieg über das Kuchelmooskees haben wir die ganze Zeit den formschönen Rauchkofel (3251 m.) und die Kleinspitze (3169 m.) vor Augen. Ich weiß noch gut, wie ich vor 3,5 Jahren den Rauchkofel aus dem Ahrntal bei traumhaftem Herbstwetter bestiegen (Link zum Tourenbericht) und von seinem Gipfel aus die Reichenspitze erblickt habe. Dass es so „bald“ mit einer Besteigung dieses eindrucksvollen Zillertaler 3000ers (noch dazu ebenfalls bei AKW) klappen würde, ich hätte es mir damals nicht besser vorstellen können]


[Bild: Warum man v. a. im Abstieg (wenn sich die Felswände ringsherum im Tagesverlauf aufgeheizt haben) die Südwand der Reichenspitze (links im Bild) mit gebührendem Abstand und möglichst zügig passieren sollte, wird angesichts der zahlreichen Steine, die offenbar erst vor wenigen Tagen auf den Gletscher gestützt sind, sehr deutlich. Das Verschwinden des Permafrosts, der auch hier in der Reichenspitzgruppe als natürlicher „Kleber“ der Berge fungiert, wird die Bergsteiger in Zukunft (positiv gesprochen) vor immer größere Herausforderungen stellen, sie (negativ gesprochen) jedoch vielfach auch akut gefährden, so dass viele Tourenziele und Routen zwangsläufig unbegehbar werden]



[Bild: Rückblick vom Kuchelmooskees zum gleichnamigen Gletscher und zur Reichenspitze (3303 m.) - Hier liegen nun alle größeren Schwierigkeiten und v. a. objektiven Gefahren (Spalten, Steinschlag) hinter uns, so dass wir uns vor dem Rückmarsch zur Plauener Hütte eine längere Pause gönnen. Am Seil müssen wir hier logischerweise auch nicht mehr gehen und so kann das gesamte Hochtouren-Equipment in den Rucksack wandern. Die Pflicht ist geschafft, jetzt folgt die genussreiche Kür]


[Bild: Inwieweit Kletterrouten durch die Südwand des Kuchelmooskopfes führen, ist mir nicht bekannt (der AVF verweist lediglich auf eine ältere Ausgabe aus den 80er Jahren, was in diesem Fall definitiv kein gutes Zeichen ist). Der SW-Grat (links im Profil) stellt wohl eine lohnende Klettertour (III, 3-4 h ab Plauener Hütte) dar, wobei (mindestens) 99 % aller Besteigungen sicherlich über den Nordgrat (via Kuchelmooskees) erfolgen dürften]


[Bild: Reichenspitze (3303 m.) und Hahnenkamm (3209 m.) im Zoom vom Kuchelmooskar aus gesehen - Aus dieser Perspektive kann man sich kaum vorstellen, dass dieser stolze Zillertaler Urgesteins-3000er so vergleichsweise „einfach“ bestiegen werden kann (sofern denn wie in unserem Fall die Verhältnisse auf dem Gletscher und in der W-Flanke mitspielen). Das gilt natürlich nur für die Normalroute, da alle anderen Anstiege an diesem Berg z. T. deutlich (!) anspruchsvoller sind]


[Bild: Auf dem Weg durch das Kuchelmooskar zurück zur Plauener Hütte - Da der entsprechende Pfad spätestens mit dem Zusammentreffen der Route von der Gamsscharte (Übergang zur Richterhütte) zum breiten, maximal entspannten Wanderweg „mutiert“, bleibt viel Zeit, um die gegenüber aufragenden Spitzen rund um Rauchkofel (3251 m.) und Kleinspitze (3169 m.) ausgiebig zu bewundern]


[Bild: Tiefblick aus dem Kuchelmooskar zum Speicher Zillergründl und zum Zillergrund, welchen man jenseits der Staumauer erkennen kann. Links im Hintergrund zeigt sich ein berühmter Zillertaler 3000er, der v. a. bei versierten Skitourengehern und bei Kletterern, welche z. B. die Nordkante (V+, anhaltend IV) in Angriff nehmen, hoch im Kurs steht: der Grundschartner (3065 m.) - Auch der im weglosen Felsterrain erfahrene Normalbergsteiger kann sich diesen Berg vornehmen (z. B. von Westen via Grundscharte oder von Osten aus dem Sundergrund), sollte sich dabei jedoch auf tendenziell eher einsame (und entsprechend ernsthafte) Gefilde einstellen]


[Bild: Während wir uns der Plauener Hütte immer weiter nähern (und das kalte Getränk schon fast schmecken können!), müssen wir doch immer wieder anhalten und den Blick zurück zu den schroffen Spitzen über dem Kuchelmooskees schweifen lassen... Gerade waren wir noch in der stellenweise 45 Grad steilen, hochalpinen Westflanke der Reichenspitze unterwegs und nun nähern wir uns schon wieder mit jedem Schritt der Zivilisation und dem Ausflugstrubel auf der Staumauer vom Speicher Zillergründl: Fast schon surreal diese Kontraste...]


[Bild: „Wohin uns wohl die nächste Bergtour führen wird...?“ - Vermutlich eher nicht auf die Kleinspitze (3169 m.), dafür stehen dann doch noch zu viele andere Gipfelziele auf der Wunschliste weiter oben. Aber dass wir wieder für eine gemeinsame (Hoch-)Tour in die Zillertaler zurückkehren werden, das steht fest. Ich persönlich bin sowieso seit bald 15 Jahren ein Riesenfan dieser wunderbaren Zentralalpengruppe, in der noch so viele schöne Gipfel (wie z. B. der Große Möseler, der Große Löffler, der Schwarzenstein, der Hohe Weißzint oder auch die so wunderbar abgelegene Napfspitze) darauf warten, Besuch zu erhalten. Und wer weiß, vielleicht klappt es ja sogar eines Tages mit dem legendären Turnerkamp...]


[Bild: Nach einer etwas längeren Pause bei der Plauener Hütte machen wir uns schließlich am mittleren Nachmittag auf den Weg zurück in die Zivilisation. Hierfür folgen wir dem schon vom Vortag bekannten Weg in einigen ausladenden Kehren über weite, grasbewachsene Hänge bergab in den unteren Bereich des Kuchelmooskares. Dabei haben wir stets die Reichenspitze (3303 m.) und ihre wilden Trabanten vor Augen, so dass der Abstieg zum Speicher Zillergründl vielleicht nicht ganz so flott vonstatten geht, wie es normalerweise der Fall wäre: Das Wetter ist einfach nach wie vor so unglaublich toll, dass es eine Schande wäre, bei diesem Setting einfach zu rushen]


[Bild: Fast schon kitschig: Ausblick beim Abstieg von der Plauener Hütte über den Speicher Zillergründl - Rechts ist der aus dem Kuchelmooskar herausleitende Wanderweg erkennbar, welcher uns letztlich oberhalb des Speichersees zur mittig erkennbaren Staumauer führen wird]


[Bild: Kuchelmooskopf (3214 m.), Hahnenkamm (3209 m.) und Reichenspitze (3303 m.) beim Abstieg von der Plauener Hütte ins untere Kuchelmooskar - Ich habe im Laufe meines Bergsteigerlebens ja schon ein paar Touren in den Zentralalpen unternehmen können, aber das Zillergründl, dieser so wunderbar wilde Talschluss des Zillergrundes, gehört definitiv zu den eindrucksvollsten Ecken zwischen Bielerhöhe und Maltatal, die ich bisher kennenlernen durfte!]


[Bild: Ein letzter traumhaft schöner Blick durch das malerische Kuchelmooskar zum gleichnamigen Gletscher und den darüber aufragenden Felsspitzen namens Kuchelmooskopf (3214 m.) und Reichenspitze (3303 m.), dann heißt es Abschied nehmen von dieser östlichen Perle der Zillertaler Alpen. Wahrscheinlich werde ich jetzt erst einmal nicht so schnell wieder genau in diese Ecke der Ostalpen kommen. Aber wer weiß, von welchem nächsten Gipfel aus ich die Reichenspitze wiedersehen werde... Sie ist so markant, so dominant, dass sie bei Touren zwischen Inntal und Pongau fast schon zwangsläufig ins Auge sticht]


[Bild: Der zwar künstliche, aber trotzdem landschaftlich sehr schöne Speicher Zillergründl zeigt sich beim Abstieg zur Staumauer noch einmal von seiner ästhetischsten Seite. Der Wanderweg oberhalb des Sees ist technisch unschwierig und so bleibt viel Zeit, um gedanklich bereits ein bisschen Revue passieren zu lassen... Viele klassische hochalpine Gipfelziele der Ostalpen kann man heutzutage ja seilfrei bzw. ohne Hochtourenausrüstung angehen. Dass sich die Gletscher immer weiter zurückziehen, eröffnet vielfach neue Optionen für Bergbesteigungen mit tendenziell „leichtem Gepäck“. Die Reichenspitze (3303 m.) ist jedoch trotz des massiv schrumpfenden Kuchelmooskeeses nach wie vor einer jener Zentralalpen-3000er, welche sinnvollerweise nur mit vollständiger Hochtourenausrüstung angegangen werden. Und das wird auch erst einmal noch einige Jahre so bleiben. Umso glücklicher bin ich, dass uns die Besteigung dieses begehrten Zillertaler Gipfels gelungen ist und das noch dazu bei absolut perfektem Wetter. Denn wie wir letztes Jahr am Großvenediger gesehen haben (oder vielmehr wie wir nicht(s) gesehen haben...), ist das absolut nicht selbstverständlich. Dass ich zudem erst vor zwei Tagen auf dem Patteriol im Verwall gestanden habe, fühlt sich fast unwirklich an. Ich werde erst einmal ein paar Tage brauchen, um diese Fülle an Eindrücken zu verarbeiten. Doch natürlich wird es mir sehr bald wieder „nach draußen“ ziehen, ist der alpine Bergsport doch letztlich für mich das sprichwörtliche Lebenselixier, die Luft zum Atmen, ohne die ich nicht leben kann]



Patteriol (3056 m.)


19-20. Juni 2025


[Bild: Beim Anmarsch von St. Anton am Arlberg durch das Verwalltal zur Konstanzer Hütte hat man ab einem gewissen Punkt das berühmte „Matterhorn des Verwall“ stets vor Augen: den Patteriol (3056 m.) - Dieses kühne Felshorn ist einer der wenigen 3000er der Gebirgsgruppe und neben Kuchenspitze, Küchlspitze und Fasulspitze sicherlich eine der kühnsten Gestalten weit und breit. Am Patteriol ist alles steil, abweisend und unnahbar. Doch der Blickfang der Konstanzer Hütte hat eine Schwachstelle, die sich der alpin erfahrene Bergsteiger mit etwas Geschick zunutze machen kann, um eine seilfreie Besteigung zu schaffen: die Südflanke. Angeblich nicht schwieriger als II, aber orientierungstechnisch wohl nicht ganz einfach, steinschlaggefährdet und anhaltend steil, wollen wir morgen über sie eine Besteigung wagen. Beim abendlichen Entspannen rund um die Hütte wandern schließlich die Blicke in regelmäßigen Abständen zur knapp 1400 vertikale Meter entfernten Spitze. Vorfreude und (gesunde) Nervosität wechseln sich dabei ab. Wir können es kaum erwarten, endlich loszulegen]


[Bild: Morgenstimmung im Fasultal - Wir befinden uns hier mittlerweile schon auf dem sogenannten Bruckmannweg, welcher den Übergang von der Konstanzer Hütte zur Neuen Heilbronner Hütte via Wannenjöchli sowie gleichzeitig den Zustieg zur Patteriol Südflanke ermöglicht. Technisch stellt dieser markierte Wanderweg keine große Herausforderung dar, so dass wir uns in aller Ruhe „warmlaufen“ (und v. a. auch wachwerden) können]


[Bild: Nachdem der Bruckmannweg aus dem Fasultal zunächst v. a. über grasbewachsene Hänge bergauf geführt hat, erreicht er unterhalb der Patteriol Südabstürze schließlich eine geröllige, im Frühsommer häufig noch schneegefüllte Mulde. Hier kann man (wie wir) bereits vom markierten Wanderweg abzweigen und die Einstiegsrinne ansteuern. Oder man folgt dem Weg sinnvollerweise noch ein Stück bis zu der Anhöhe, von wo der Bruckmannweg leicht bergab führt und man das Wannenjöchli bereits erkennen kann. Letzteres hat den Vorteil, dass man dann für den Zustieg zur Einstiegsrinne eine Pfadspur durch das steile, teilweise relativ fiese Geröll nutzen kann]


[Bild: Im Bann der Patteriol Südabstürze: Es gilt, den markanten, Keil-artigen Wandteil anzuvisieren, der am weitesten nach unten in die Geröllflanke hinabreicht. Links von ihm zieht eine markante Rinne schräg von rechts unten nach links oben (darüber erkennt man ein auffällig helles Stück Felswand). Diese Rinne markiert den Beginn der Patteriol Normalroute, wobei der Zustieg zu der eigentlichen Rinne wesentlich mühsamer ist, als der eigentliche Einstieg]


[Bild: Beim Zustieg zur Einstiegsrinne in die Patteriol Südabstürze weitet sich mit jedem gewonnenen Höhenmeter die Sicht - Während das Fasultal und die westlichen Felswände bzw. Flanken der von der Kuchenspitze zum Schafbichljoch ziehenden Gebirgskette noch im Schatten liegen, dürfen Patteriol und Fasulkamm bereits die Sonne eines großartigen Tages spüren. Gleich wird es „ernst“, wobei wir uns wohl kein besseres Setting für unsere Verwall-Premiere hätten wünschen können]


[Bild: Einstiegsrinne der Patteriol Normalroute - Technisch nie schwierig (max. I-II) oder ausgesetzt, führt sie in ziemlich direkter Linie bergauf zu dem hier teilweise erkennbaren Schneefeld, um sie dann rechterhand über plattiges Gelände zu verlassen. Die Hauptschwierigkeit v. a. im Frühsommer stellt Altschnee dar, welcher den Aufstieg über die Rinne deutlich (!) erschweren kann, da sie vergleichsweise steil ist. Steigeisen bzw. zumindest Grödel sollte man (wenn man früh im Sommer einen Aufstieg wagt) in jedem Fall dabei haben]


[Bild: Die prächtige Vollandspitze (2928 m.) gehört zu den eher selten bestiegenen hohen Bergen des Verwall. Dieser höchste Gipfel des südlichen Fasulkammes kann z. B. über den Nordgrat (Stellen III-), die Westwand (II) oder den Fasulferner (oben steil!) bestiegen werden. Vermutlich dürfte man diesen aussichtsreichen Verwaller Gesellen exklusiv für sich haben, stehlen ihm doch Patteriol und Kuchenspitze ziemlich die Schau]


[Bild: Im oberen Bereich der Rinne erfolgt über plattiges Gelände eine markante Aufwärtsquerung nach (in Aufstiegsrichtung) rechts bzw. Nordosten. Bei trockenem Fels handelt es sich hierbei um eine relativ unschwierige Passage, mit echten Kletter- / Kraxelpassagen wird man nicht konfrontiert. Liegt jedoch Schnee auf den Platten oder sind diese nach einem Regenschauer aufgrund der Nässe unangenehm abschüssig, kann dieser Teil der Route schnell kritisch werden. Wir haben (obwohl es sich klettertechnisch um prinzipiell relativ harmloses Terrain handelt) hier sogar einen relativ neuen Bohrhaken gefunden]


[Bild: Nach dem plattigen Gelände, einer Begrenzungsrippe und einem anschließenden (steilen und relativ unangenehm zu begehenden) Geröllkar, welches man geradewegs nach Nordosten queren muss (nicht linkerhand durch den steilen Schutt zur Scharte zwischen Horn (3003 m.) und Patteriol aufsteigen!), geht es über eine Felsrippe steil bergauf. Auch wenn man beim Kraxeln über die von Felsstufen und Blockwerk geprägte Rippe stets auf Steinschlag achtgeben muss, handelt es sich doch um einen der landschaftlich schönsten Abschnitte der Route, ist die Kletterei doch nie wirklich schwierig (max. I-II) oder allzu ausgesetzt. Man gewinnt sehr schnell an Höhe, während der Patteriol-Gipfel immer näher kommt]


[Bild: Ausblick beim Aufstieg über die Felsrippe über den südlichen Fasulkamm (Vollandspitze, Fasulspitze etc.) zur Silvretta - Die markante Felsspitze ist das 2023 von einem gewaltigen Bergsturz erschütterte und höhentechnisch gestutzte Fluchthorn (3397 m.), während man weiter rechts (hinter der Vollandspitze) u. a. den Piz Buin (3312 m.) erkennen kann. Ganz links grüßt der Muttler (3296 m.) in der Samnaungruppe herüber, während geübte Augen (links vom Fluchthorn) sogar den Ortler (3905 m.) in der Ferne ausmachen können]


[Bild: Im oberen Bereich der Felsrippe, über die man sich (aus dem steilen Geröllkar zwischen Horn (3003 m.) und Patteriol (3056 m.) kommend) dem Gipfelaufbau annähert. Nur mehr ein paar Felsblöcke und -stufen müssen überwunden werden, dann wechselt man kurzzeitig in die schattige Nordflanke. Denn der anspruchsvollste Abschnitt der Normalroute steht uns noch bevor: die Besteigung des Patteriol muss man sich im wahrsten Sinne des Wortes hart verdienen]


[Bild: Gipfelgrat des Patteriol (3056 m.) - Leider kann man von hier nicht einfach über den Grat „spazieren“ und sich unkompliziert dem Gipfelaufbau nähern. Es gilt, der Gratschneide von hier noch ein kurzes Stück zu folgen, dann jedoch bald linkerhand etwas absteigend in die Nordflanke zu wechseln und über abschüssiges, teilweise ausgesetztes Plattengelände (II) unterhalb der Gratschneide zum Gipfelaufbau herüber zu queren]


[Bild: In der Patteriol Nordflanke, in der man (nur wenige Meter unterhalb des Grates) zu der Scharte vor dem Gipfelaufbau herüberqueren muss. Knackpunkt ist hier (wie auch in unserem Fall) oftmals der Altschnee, welcher in Form betonharter Firnrinnen ein Queren massiv erschweren oder sogar unmöglich machen kann. Schon viele Bergsteiger sind an dieser Stelle umgekehrt, da sie (selbst mit Steigeisen und Eispickel bewaffnet) eine Querung risikotechnisch nicht verantworten konnten bzw. wollten (wer hier linkerhand im steilen Firn abrutscht, wird mutmaßlich sterben). Auch wir müssen erst ein bisschen rumprobieren (inkl. einem kleinen Verhauer), bis wir einen gangbaren Abstieg in die Flanke finden, der eine Querung zur Scharte ermöglicht: In unserem Fall definitiv der anspruchsvollste Teil des Aufstiegs zum Patteriol]


[Bild: Schlussanstieg zum Patteriol: Nachdem wir die Querung in der Nordflanke gut bewältigt haben, geht es im leichten Kraxelgelände (max. I) aus der Scharte zwischen Süd- und Hauptgipfel in wenigen Minuten zum höchsten Punkt. Da wir in der Nordflanke aufgrund der tückischen Altschneefelder bzw. Firnrinnen kurzzeitig gezweifelt hatten, ob wir es tatsächlich bis zum höchsten Punkt schaffen würden, fliegen wir diese letzten Höhenmeter förmlich empor... Die Euphorie ist zurück!]


[Bild: Ausblick vom Patteriol (3056 m.) über das Schönverwalltal und die Pflunspitzen in Richtung Lechquellengebirge (rechts hinten in der Ferne) - Da der Patteriol (mit Ausnahme der Kuchenspitze bzw. Küchlspitze im Osten) alle umliegenden Gipfel und Täler sehr deutlich überragt, kommt der „Aussichtskanzel-Faktor“ hier besonders gut zum Tragen. Ringsherum ist einfach alles steil, wild und vertikal]


[Bild: Tiefblick vom Patteriol (3056 m.) zur Abzweigung vom Schönverwalltal in Richtung Freschalp(e) bzw. Langer See - Wie deutlich sich das Verwall landschaftlich von anderen Gebirgsgruppen der Zentralalpen / Nördlichen Kalkalpen unterscheidet, wird hier gut deutlich: Solche weiten, nur von wenigen Almen und Schotterwegen durchzogenen Hochtäler habe ich in der Form in den Ostalpen bisher nur sehr wenige gesehen]


[Bild: Wie wild und abweisend sich ein Aufenthalt am Gipfel des Patteriol (3056 m.) anfühlt, wird hier fast greifbar: Zu allen Seiten stürzen imposante Wände, Felsrippen und Grate in die Tiefe (rechts zeigt sich im Profil die Felsrippe, über die wir zum Gipfelgrat aufgestiegen sind), wodurch der Eindruck der Vertikale hier besonders intensiv ist. Mittig im Bild erkennt man den hinteren Bereich des Fasultales (über das man z. B. nach Galtür oder Ischgl gelangen kann), während in der Ferne Samnaungruppe und Silvretta herübergrüßen]


[Bild: Das östlich vom Patteriol (3056 m.) aufragende Gipfelpaar bestehend aus Kuchenspitze (3148 m.) und Küchlspitze (3147 m.) ist (nicht zuletzt aufgrund der wildgezackten Gipfelschneide) die Krone des Verwall. Der Hohe Riffler (3168 m.) mag der höchste Berg dieser schönen Gebirgsgruppe sein. Doch an Erhabenheit, Wucht und Wildheit wird er von diesem mitten im Zentrum des Verwall gelegenen Duo haushoch geschlagen. Besteigen kann man Kuchenspitze und Küchlspitze über eine Vielzahl von Routen, doch alle sind hochalpin, anspruchsvoll (mind. II-III) und teilweise arg von klimawandelbedingter Ausaperung betroffen. Von Westen her können die Gipfel über ihre jeweilige SW-Wand (II) bestiegen werden, wobei sich nur wirklich hochalpin erfahrene Bergsteiger an diesen beiden brettharten „Keulen“ versuchen sollten]


[Bild: Ausblick vom Patteriol (3056 m.) nach Norden zum Zusammentreffen von Schönverwalltal (links) und Fasultal (rechts), wo sich gleichzeitig auch die Konstanzer Hütte (1688 m.) befindet. Im Hintergrund zeigen sich (ganz links hinten) das Lechquellengebirge mit der Braunarlspitze (2649 m.) und der Unteren Wildgrubenspitze (2753 m.) sowie (mittig) über dem Arlberg die westlichen Lechtaler Alpen (Valluga, Weißschrofenspitze) mit den Allgäuer Alpen schräg rechts dahinter]


[Bild: Gipfelglück auf dem Patteriol (3056 m.) inmitten des schönen Verwall. Schon seit vielen Jahren wollte ich dieser zwischen Silvretta, Rätikon, Lechquellengebirge und Lechtaler Alpen „eingequetschten“ Gebirgsgruppe an der Grenze von Vorarlberg und Tirol einen Besuch abstatten und nun hat es endlich geklappt. Dass es dann bei der ersten Verwall-Tour gleich der Patteriol geworden ist (und dann noch dazu bei so traumhaftem AKW), ich hätte es mir nicht besser ausmalen können. Das Leben ist schön]


[Bild: Blick vom Patteriol (3056 m.) zum vorgelagerten Südgipfel und zum Horn (3003 m.) rechts daneben. Rechterhand präsentiert sich der obere Teil der noch von zahlreichen Altschneefeldern und Firnrinnen dekorierten Nordflanke. Sehr bald werden wir uns wieder daran machen, diese düsteren Abstürze in ihrem oberen Bereich zu queren. Doch da wir nun wissen, dass es „gut geht“, sind wir relativ entspannt. Und so lassen wir noch ein letztes Mal den Blick in Richtung Silvretta schweifen, bevor wir uns schließlich an den (langen!) Abstieg ins Tal machen]


[Bild: Von der Scharte zwischen Patteriol Haupt- und Südgipfel geht es ein kurzes Stück nach links bergauf, bis der Grat abrupt aufsteilt und ein (seilfreies) Weiterkommen unmöglich macht. An der Stelle (schräg rechts unterhalb vom Schneefeld) erfolgt dann die leicht abwärts führende Querung in die Nordflanke]


[Bild: Kletterei (I-II) am Gipfelgrat des Patteriol. Es ist steiler und ausgesetzter, als es auf dem Bild den Anschein hat. 2,5 Stunden haben wir ab der Abzweigung vom Bruckmannweg für den Aufstieg (für nur ca. 400 Hm) gebraucht und auch im Abstieg wird es nicht wesentlich schneller gehen. Am Patteriol will jeder Griff und Tritt geprüft werden, ist das Gestein doch leider teilweise ziemlich locker und unzuverlässig]


[Bild: Bevor es über die markante Felsrippe der Südflanke wieder abwärts geht, werfen wir noch einen letzten Blick über den schroffen Gipfelgrat zurück zum Patteriol-Gipfel. Bis auf einen kleinen 10-Minuten-Verhauer (oder eher „Test“) in der Nordflanke, der kurzzeitig etwas an den Nerven gezehrt hat, haben wir die Route stets auf Anhieb gefunden. All die Schauergeschichten über falsch stehende Steinmännchen, die einen in die Irre leiten, können wir nur bedingt bestätigen. Wer sich mit einer guten, belastbaren Routenbeschreibung und ein paar ausgedruckten Bildern bzw. Screenshots der neuralgischen Stellen auf den Weg macht, sollte eigentlich keine größeren Orientierungsschwierigkeiten bekommen]


[Bild: Inmitten der Patteriol Südabstürze fühlt man sich klein und unbedeutend, ist man doch ringsherum von vogelwilden, hochgradig brüchigen Felswänden und Graten umgeben. Wir halten uns brav an „unsere“ Felsrippe und arbeiten uns vorsichtig im I-IIer Gelände bergab. Da die Felsrippe zu keiner Zeit stark ausgesetzt oder unangenehm abschüssig ist, können wir das Ganze (trotz Steinschlaggefahr) auch genießen, fühlen wir uns doch (auch angesichts des stabilen Hochdruckwetters) absolut sicher]


[Bild: Tiefblick über die steile Felsrippe der Patteriol Südabstürze ins hintere Fasultal, welches im Osten von so illustren und vor allem völlig unbekannten Gestalten wie den Schönpleisköpfen, dem Karkopf oder dem Matnalkopf überragt wird. Hinter den genannten Gipfeln befindet sich das Paznauntal, welches von Pians/Grins via Ischgl und Galtür bis zur Bielerhöhe führt. Gleichzeitig befindet sich hinter Bergkamm rechts im Hintergrund auch der Verbindungsweg („Paznauner Höhenweg“) von der Darmstädter Hütte zur Neuen Heilbronner Hütte, während sich (links) die Küchlspitze (3147 m.) von all dem gänzlich unbeeindruckt zeigt. Was für Möglichkeiten...]


[Bild: Innehalten im unteren Bereich der Felsrippe, bevor wir an geeigneter Stelle auf das steile Geröllkar queren, welches von der Scharte zwischen Horn (3003 m.) und Patteriol (3056 m.) herunterkommt. Während wir beim Abstieg die kühne Spitze (links im Hintergrund) des Fluchthorns (3397 m.) stets vor Augen haben, muss ich immer wieder an das Jahr 2023 denken, als bei einem gewaltigen Bergsturz der Südgipfel (damals 3399 m., heute ca. 3380 m.) kollabierte. Tatächlich hatte ich für den Sommer 23 eine (schon lange geplante) Besteigung des Fluchthorn Südgipfels via Weilenmannrinne (Normalroute) anvisiert... Tja, daraus wird wohl vernünftigerweise nie etwas, sollte man die Gipfel des Fluchthorns doch vorerst (= für mutmaßlich viele Jahre!) meiden]


[Bild: Ausblick über das steile, unangenehm zu begehende Geröllkar zum Horn (3003 m.) - Dieser stolze Nebengipfel des Patteriol ist einer von gerademal neun 3000ern der Verwallgruppe. Will man sich auch diese kecke Spitze ins Tourenbuch schreiben, muss man durch das Geröllkar zunächst bergauf in Richtung der Scharte steigen. Noch vor der Scharte muss man jedoch links über eine Rinne (bzw. am besten in den entsprechenden Begrenzungsfelsen), durch welche das Kar mit dem Grat verbunden ist, zur Kammhöhe und dann linkerhand unschwierig (aber teilweise ausgesetzt) zum Gipfel]


[Bild: In der mühsamen Querung des Geröllkares, welche entscheidend ist, um die Einstiegsrinne zu erreichen. Als (grober) Orientierungspunkt kann die vom Horn herabreichende Felsrippe (rechts) dienen. Allerdings sollte man sich hier nicht zu hoch halten, da man sonst in schwieriges Felsgelände kommt. Da die Abwärtsquerung in die Rinne sinnvollerweise wieder über die markante Felsplatte erfolgt, sollte man sich gut nach Steinmännchen umschauen und im Zweifel lieber etwas länger Ausschau halten. Wir haben das in die Rinne führende, plattige Felsgelände auf Anhieb (wieder) gefunden, hatten keinerlei Orientierungsschwierigkeiten und fanden den Routenverlauf eigentlich sehr logisch / natürlich]


[Bild: Was für ein Berg! Die Küchlspitze (3147 m.) gehört definitiv zu den bergsteigerischen Trophäen des Verwall. Die meisten der Wanderer, die auf dem Bruckmannweg unterwegs sind bzw. Konstanzer oder Darmstädter Hütte ansteuern, werden zwar ehrfurchtsvoll zu diesem mehrgipfeligen Felskastell emporblicken, aber vermutlich keine Besteigung in Erwägung ziehen. Wer indes über profunde Alpin- bzw. Klettererfahrung (II-III inkl. Reserven) sowie absolute Trittsicherheit und Schwindelfreiheit verfügt, kann ggf. via Ostgrat (II) oder Südwestwand (II) einen Versuch wagen, wobei nach oben hin natürlich kaum routentechnische Grenzen gesetzt sind]


[Bild: Kurz vor dem plattigen Felsgelände, welches rechterhand in Form einer technisch unschwierigen Abwärtsquerung (max. I) in die steile Einstiegsrinne leitet. Da der Einstieg in die Rinne aufgrund der steilen Altschneereste im oberen Abschnitt mutmaßlich etwas knifflig wird, halten wir vorher noch einmal inne, um den nach wie vor grandiosen Ausblick in Richtung Silvretta und Samnaun zu genießen. Denn obwohl es mittlerweile schon Nachmittag ist, zieren immer noch kaum Quellwolken den Himmel. Es ist einfach ein Tag für die Götter]


[Bild: Im unteren Abschnitt der Rinne sind die größten Schwierigkeiten bereits geschafft. Nur mehr ein paar technisch einfache Kraxelstellen (I) trennen uns von dem steilen Geröllfeld unterhalb der Patteriol Südabstürze, über das es zu der Anhöhe (rechts der Bildmitte) geht, welche den höchsten Punkt des Bruckmannweges (und damit das Ende der eigentlichen Gipfeltour) markiert. Während das „Abenteuer Patteriol“ nun also so langsam aber sicher auszulaufen beginnt, ziehen Kuchenspitze (3148 m.) und Küchlspitze (3147 m.) angesichts der mittlerweile perfekten Ausleuchtung die Blicke fast schon magisch an]


[Bild: Rückblick über die steile Rinne, welche den Anfang oder das Ende einer Patteriol-Gipfelbesteigung markiert. Mehr als ein bisschen steinschlaggefährdete Kraxelei (I-II) wird zwar nicht verlangt. Dennoch signalisiert die Rinne sehr deutlich, dass man sich nun im weglosen bzw. ernsten Felsgelände bewegt. Ist die Rinne noch ganz oder (wie in unserem Fall) teilweise mit (Alt-)Schnee gefüllt, steigen die technischen Schwierigkeiten noch einmal markant an]


[Bild: Genussbergsteigen im traumhaft schönen Verwall - Während wir es hier mittlerweile fast wieder auf die Geröllflanke unterhalb der Patteriol Südabstürze geschafft haben, zeigen sich Kuchenspitze (3148 m.) und Küchlspitze (3147 m.) von hier von einer ihrer absoluten Schokoladenseiten! Eines Tages werde ich mir auch diese formschönen Verwaller Giganten vornehmen, hier und heute sind sie jedoch einfach „nur“ hochalpine Bilderbuchkulisse für die anstehende Wanderung zum Wannenjöchli]


[Bild: Entspanntes Auslaufen im Geröll unterhalb der Patteriol Einstiegsrinne. Nun liegen alle technischen Schwierigkeiten hinter uns, so dass wir de facto in den Autopilotmodus schalten können. Auch wenn von hier der schnellste Weg zurück zur Konstanzer Hütte bzw. ins Tal über den uns bekannten östlichen Teil des Bruckmannweges (Zustieg via Fasultal) führen würde, beschließen wir, die „Extended Version“ via Wannenjöchli und Schönverwalltal zu gehen. Das Wetter ist einfach zu verheißungsvoll, um die optionale Umrundung des Patteriol einfach auszulassen]


[Bild: Rückblick vom Bruckmannweg zum Patteriol (3056 m.) - Wüsste man nicht um die Möglichkeit einer technisch einigermaßen einfachen Besteigung, man käme wohl nie auf den Gedanken, dass man von hier einigermaßen unkompliziert (max. I-II) den Gipfelgrat erreichen kann. Am heutigen Tag waren wir übrigens (trotz des Wetters!) die einzigen Menschen, die den Patteriol über die Normalroute bestiegen haben. Inwieweit Kletterer heute (z. B. am NO-Grat) am Berg unterwegs waren, ist uns dagegen nicht bekannt. Überlaufen ist der Patteriol jedoch definitiv nicht]


[Bild: Von der Anhöhe des Bruckmannweges (südlich des Patteriol) aus präsentiert sich im SW die Fasulspitze (2835 m.) als wuchtiger, monolithischer Felsturm. Doch dieser Eindruck täuscht gewaltig, wie man spätestens im Wannenjöchli (2633 m.) feststellen wird. Bei der Fasulspitze handelt es sich nämlich um einen der wildesten, am seltensten bestiegenen Gipfel des Verwall, besteht der Gipfelaufbau doch aus zahlreichen imposanten Türmen und Felsnadeln, die einen dezent an die Dolomiten erinnern]


[Bild: Unterwegs auf dem Bruckmannweg in Richtung Wannenjöchli, welches von Fasulspitze (südlich) und Patteriol (nördlich) eingerahmt wird. Der nun folgende Übergang vom Fasultal ins Schönverwalltal ist zweifellos der landschaftliche Höhepunkt beim Übergang von der Konstanzer zur Neuen Heilbronner Hütte. Zwar kann man den Patteriol auch westlich passieren (wobei man lediglich das Schönverwalltal durchschreitet), was v. a. als Schlechtwetteralternative zu empfehlen ist. In unserem Fall ist die faktische Umrundung des Patteriol jedoch die logische Fortsetzung eines bisher schlichtweg grandiosen Tourentages und auch grundsätzlich jedem zu empfehlen, der hier von Hütte zu Hütte wandert]


[Bild: Kuchenspitze (3148 m.) und Küchlspitze (3147 m.) im Zoom vom Wannenjöchli (2633 m.) aus gesehen. Was für einen Nimbus, was für einen Ruf speziell die Kuchenspitze hat, verdeutlicht die Beschreibung im Alpenvereinsführer sehr gut. Dort wird sie als „Mini Jorasses", die sich als „breite, fünfgipflige Felsmauer, [...] über blendendem Firn erhebt“, tituliert. Der blendende Firn mag klimawandelbedingt stark gelitten und vielfach auch komplett verschwunden sein, doch strahlen die Kuchenspitze und ihre Trabanten nach wie vor eine ganz besondere Aura aus, die (v. a. im Winter oder nach einem Neuschneefall) vielleicht tatsächlich ein bisschen an den berühmten 4000er im Mont-Blanc-Gruppe erinnert]


[Bild: Ein letzter Rückblick vom Wannenjöchli (2633 m.) in Richtung Fasultal und zum gewaltigen Bergmassiv rund um Kuchenspitze (3148 m.) bzw. Küchlspitze (3147 m.), bevor es nach SW abwärts gen Schönverwalltal geht. Solche Tage wie heute, wettertechnisch absolut perfekt (= wolkenlos und windstill) und zugleich mit maximaler Tageshelligkeit gesegnet, sie sind selten und daher umso kostbarer]


[Bild: Südlich über dem Wannenjöchli (2633 m.) zeigt die Fasulspitze, warum sie als einer der (via Normalroute) am schwierigsten zu besteigenden Berge der Ostalpen gilt und man praktisch kaum Informationen im Netz bzw. Alpenvereinsführer findet. Die kühne, fast schon unverschämt schlanke Fasulnadel (2835 m.) stellt den höchsten Punkt des Berges dar und kann nur in schwieriger Kletterei (V, 0,5 h ab Fasulscharte) erklommen werden. Die Nördliche Fasulspitze (der Gipfel links außen) ist etwas leichter (Stelle III, sonst II, 1 h ab Wannenjöchli), aber definitiv auch nicht geschenkt]


[Bild: Beim Abstieg vom Wannenjöchli in Richtung Schönverwalltal kommt man nach kurzer Zeit am pittoresken Wannensee vorbei, welcher an einem heißen Tag wie heute für viele Wanderer eine willkommene Erfrischung darstellt. Aufgrund der Höhenlage und der frühsommerlichen Speisung durch Schmelzwasser handelt es sich dabei aber um eine eher frische Angelegenheit]


[Bild: An den Ufern des idyllischen Wannensees - Bei einer Wassertemperatur von nur knapp über 0 Grad Celsius dauert es meist nicht sehr lange, bis badende Wanderer wieder an Ufer kommen. Während wir eine kurze Pause am See machen und die Spiegelungen der Berge im Wasser bewundern, wird mir wieder einmal bewusst, wie sehr mir manchmal Seen und Gebirgsbäche in den (aufgrund von Topographie bzw. Geologie tendenziell doch eher trockeneren) Nördlichen Kalkalpen fehlen. Es ist schon eine feine Sache, wenn (gefühlt) alle paar Meter ein Gebirgssee auftaucht oder man an einem Wasserlauf seine Wasserflasche auffüllen kann]


[Bild: Unnahbar wirkt das Massiv der Fasulspitze (2835 m.) vom Wannensee aus. Und hier täuscht der Eindruck auch tatsächlich nicht, zählt die Besteigung des höchsten Punktes mit dem Namen Fasulnadel (links hinten) doch zum Anspruchsvollsten (V, starke Ausgesetztheit), was man hier in der Umgebung in Bezug auf eine Normalroute (!) unternehmen kann]


[Bild: Bei der langen Querung der vom Fasulkamm ins Schönverwalltal herabreichenden Bergflanken bleibt der Blick (nicht nur einmal) am höchsten Gipfel der Fluhgruppe hängen: dem Schrottenkopf (2890 m.) - Dieser schöne Berg wird von keinem bezeichneten Steig erreicht, kann jedoch von der Neuen Heilbronner Hütte aus weglos über die West- bzw. Südflanke erreicht werden. Mehr als ein bisschen einfache Kraxelei (max. I) wird für eine Besteigung nicht verlangt]


[Bild: Eine Landschaft, die mich ein bisschen an die weiten Fjell-Hochtäler Skandinaviens erinnert: Beim Abstieg ins hintere Schönverwalltal kommen wir aus dem Staunen kaum mehr heraus, so ästhetisch, so paradiesisch-grün präsentiert sich dieser (teilweise auch Ochsental genannte) Teil des Verwall. Gäbe es nicht zahlreiche markierte Wanderwege, Hütten und Schafherden im näheren Umfeld, man könnte mir dieses traumhaft schöne Hochtal als norwegische Wildnis verkaufen]


[Bild: Inmitten der frühsommerlichen, intensiv-grünen Weiten des hinteren Schönverwalltales (laut AV-Karte auch Ochsental genannt) - Unschwierig leitet der Bruckmannweg über die westlichen Hänge des Fasulkammes in südliche Richtung bergab, um dann im Talgrund schließlich einen Rechtsbogen zu machen und entlang des Flusses Rosanna wieder nach Norden (in Richtung Konstanzer Hütte) zu führen]


[Bild: Bevor der Weg durch das Schönverwalltal zurück zur Konstanzer Hütte schließlich in eine monotone Schotterpiste übergeht, geht es noch ein Stück an der malerischen Rosanna entlang. Die wandertechnische Pflicht ist geschafft, jetzt folgt bald die buchstäbliche „Hatscher-Kür“. Und so wandern wir vor uns hin, lassen den Gedanken freien Lauf, während linkerhand so unbekannte Spitzen wie der Valschavielkopf (2696 m.) vorbeiziehen]


[Bild: Inmitten des wunderbaren Schönverwalltales zwischen Patteriol, Fraschkopf (Faraschkopf) und Drosberg (Drosbergkopf) - Während wir entspannt das Tal in Richtung Konstanzer Hütte durchschreiten, fliegen die Gedanken unweigerlich empor zum erst vor wenigen Stunden betretenen Patteriol-Gipfel. Was für eine Wahnsinnstour das heute war! Es ist schon etwas Besonderes, auf solch einem wilden Felshorn zu stehen, das irgendwie (gefühlt) den Kletterern vorbehalten ist. Tatsächlich aber kann der Patteriol-Normalweg jedem absolut trittsicheren, schwindelfreien und kletteraffinen Alpinbergsteiger wärmstens empfohlen werden, geht die technische Schwierigkeit (sofern man sich nicht versteigt) doch nie über II. hinaus. Die Tour ist in Summe sehr anspruchsvoll, nicht zuletzt aufgrund der (trotz Steinmännchen) stellenweise etwas kniffligen Orientierung und des anhaltend ernsten Absturzgeländes. Man muss über ca. 4,5-5 Stunden seine sieben Sinne voll beisammen haben, kann man sich einen kapitalen Fehler zwischen Einstiegsrinne und Gipfel doch keinesfalls leisten. Am Patteriol ist alles steil, wild und vertikal. Wenn aber die genannten Anforderungen erfüllt werden und man dann auch noch von so wunderbarem Hochdruckwetter verwöhnt wird, wie wir es hatten, dann steht einem großen, erfüllenden Berg-Abenteuer im Herzen des Verwall nichts im Wege. Mein erster Verwall-Gipfel: der Patteriol. Hört sich in meinem Kopf wirklich sehr gut an und ich weiß, dass ich definitiv (!) wiederkommen werde. Die Kuchenspitze ruft...]



Pleisenspitze (2569 m.)


01. Mai 2025


[Bild: Ausblick von der herrlich gelegenen Pleisenhütte (1757 m.) zum Hohen Gleirsch (2492 m.) und seinem langgezogenen Westgrat, über den eine in weiten Abschnitten weglose, aber technisch wenig schwierige Anstiegsroute auf diesen lohnenden Aussichtsgipfel führt. Links vom Gleirsch präsentieren sich stolz die abweisenden Jägerkarspitzen und (ganz links) die Westliche Praxmarerkarspitze (2642 m.), während rechts im Hintergrund Brandjochspitzen und Kleiner Solstein (2637 m.) herübergrüßen. Bei der Aussicht kein Wunder, dass der legendäre Pleisentoni hier Mitte des 20. Jahrhunderts auf den Gedanken kam, ein Schutzhütte zu errichten]


[Bild: Ausblick von der Pleisenhütte (1757 m.) über den Talboden von Scharnitz zur Mieminger Kette - Während Hohe Munde (2662 m.) und Hochwand (2719 m.) in diesem Jahr Anfang Mai schon (fast) sommerlich wirken, ist im Verwall (links in der Ferne) noch tiefer Winter. Der Anstiegsweg von Scharnitz zur Pleisenhütte ist indes eine entspannte Angelegenheit, handelt es sich doch (abgesehen von ein paar optionalen Wanderweg-Shortcuts) die meiste Zeit um eine relativ flache Schotterpiste]


[Bild: Von der Pleisenhütte führt der Weg zunächst durch lichten Bergwald und weiter oben dann durch Latschen unschwierig bergauf bis zu einer Wegkreuzung (an dieser Stelle muss man sich zwischen Pleisenspitze und Toni-Gaugg-Weg entscheiden). Schon hier ist absehbar, dass es sich wohl auch weiterhin um eine ziemlich schneefreie Angelegenheit handeln wird, befindet sich doch bereits im kesselartigen Vorderkar kaum mehr vom „weißen Gold“]


[Bild: Im Gegensatz zum Hinteren Pleisengrat (auch als „die Pleisen“ bezeichnet) fristet der das Vorderkar westlich begrenzende Vordere Pleisengrat (links) ein ziemliches Schattendasein, weichen hier doch kaum je Wanderer vom markierten Normalweg ab. Ganz so verloren und entlegen wie so viele andere Hochkare im Karwendel ist das Vorderkar zwar nicht, aber auch hier gilt theoretisch die alte Weisheit, dass man im Grunde meistens nur wenige Meter von den markierten Hauptrouten abweichen muss, um Stille und Bergeinsamkeit vorzufinden - Nicht dass der Normalweg auf die Pleisenspitze heute überlaufen wäre! Abgesehen von uns sind heute nur noch zwei weitere Wanderer unterwegs...]


[Bild: Während wir dem markierten Wanderweg über grasige Schrofenhänge unschwierig bergauf folgen und langsam aber sicher die Kammhöhe der Pleisen (Hinterer Pleisengrat) gewinnen, weitet sich das Panorama mit jedem hinter uns liegenden Höhenmeter: Ob nun Stubaier Alpen, Verwall, Mieminger Kette oder Wetterstein, das Auge weiß im Grunde fast nicht, auf welcher grandiosen Ostalpen-Gebirgsgruppe es denn nun ruhen soll...]


[Bild: Im Anstieg zum Hinteren Pleisengrat - Nur wenige Karwendel-Gipfel der zentralen Hinterautal-Vomper-Kette (darunter z. B. die Birkkarspitze oder die Lamsenspitze) können so vergleichsweise einfach bestiegen werden, wie die Pleisenspitze. Kraxelei (oder gar Kletterei) wird an keiner Stelle verlangt, abgesehen von einem Mindestmaß an Trittsicherheit und Bergerfahrung braucht es hier (angesichts der 1600 zu bewältigenden Hm) letztlich v. a. Kondition]


[Bild: Im oberen Bereich der Pleisen wird der Hintere Pleisengrat zunehmend felsiger, aber nie wirklich steil oder technisch anspruchsvoll. Stets etwas links unterhalb der Kammhöhe geht es entspannt dahin, während der höchste Punkt nur langsam näher kommen will. Aber wir haben es nicht eilig, handelt es sich doch um einen wettertechnisch absolut stabilen, maximal sonnigen Traumtag]


[Bild: Rückblick vom Hinteren Pleisengrat zum Hoher Gleirsch W-Grat (links), zu den Solsteinen (links in der Ferne) und zu den noch tief verschneiten Ötztaler Alpen (mittig am Horizont) - Wie viele Wanderer, Bergsteiger und Skitourengeher wohl den heutigen Tag in Tirol nutzen...? An der Pleisenspitze hält sich die Zahl in jedem Fall erstaunlicherweise sehr in Grenzen]


[Bild: Am Gipfelaufbau der Pleisenspitze angekommen, offenbart sich erstmals ein spektakulärer Ausblick zur östlich gelegenen Larchetkarspitze (2541 m.) mit ihrem langgezogenen, zerklüfteten Südgrat, der u. a. vom unbekannten Gaugg-Turm (2491 m.) gekrönt wird. Der höchste Punkt des westlichen Endpunkts der Hinterautal-Vomper-Kette ist nun nicht mehr weit weg]


[Bild: Nur noch wenige Meter bis zum Gipfelkreuz der Pleisenspitze (2569 m.) - Bis auf zwei kurze, völlig harmlose Schneefelder im oberen Bereich der Pleisen war der Normalweg heute tatsächlich bereits zu 99 % schneefrei und das Anfang Mai! Was den Bergwanderer bzw. Bergsteiger tendenziell wohl freut, muss im Grunde genommen aber sehr zu denken geben. Ich bin mal gespannt, wie es den Ostalpen-Gletschern diesen Sommer ergehen wird...]


[Bild: Ausblick von der Pleisenspitze (2569 m.) zur Nördlichen Karwendelkette, die so illustre Berggestalten wie (links) den Wörner (2474 m.) und die Hochkarspitze (2482 m.) sowie (ganz rechts) die Vogelkarspitze (2522 m.) und die Östliche Karwendelspitze (2537 m.) aufweist. Ein jeder dieser schönen Gipfel kann auf lohnenden Normalrouten (Kraxelbereich I-II, viele davon weglos bzw. unmarkiert) bestiegen werden]


[Bild: Vom Gipfel der Pleisenspitze (2569 m.) kann man den Großteil des Aufstiegsweges über den Hinteren Pleisengrat sehr gut einsehen. Während der breite Kamm linkerhand (östlich) in steilen Felswänden ins Mitterkar abbricht, läuft er auf der anderen Seite vergleichsweise sanft aus. Grandios ist natürlich auch die Aussicht, zeigen sich im Hintergrund (von links nach rechts) doch so eindrucksvolle Gipfel wie die Westliche Praxmarerkarspitze (2642 m.), die Mittlere Jägerkarspitze (2608 m.), die Solsteine sowie die Erlspitze (2405 m.) - Ganz rechts am Horizont sind zudem Teile der Stubaier und Ötztaler Alpen erkennbar]


[Bild: Wörner (2474 m.) und Hochkarspitze (2482 m.) im Zoom von der Pleisenspitze (2569 m.) aus gesehen - Während der Wörner meist über die Westflanke (Stelle II, viel I, markiert) bestiegen wird, ist der Anstieg von Süden aus dem Großkar (II, brüchig und ausgesetzt laut AVF) den meisten Karwendel-Bergsteigern tendenziell unbekannt. Die südlichen Anstiege auf die formschöne Hochkarspitze (Südgrat, Route von SW aus dem Großkar, Route von SO aus dem Hochkar) sind ebenfalls nicht trivial, da sie v. a. weglos bzw. wenig begangen und daher entsprechend ernst sind]


[Bild: Die höchsten, noch tief verschneiten Karwendel-Gipfel im Zentrum der Hinterautal-Vomper-Kette (im Zoom) von der Pleisenspitze (2569 m.) - Ganz links erkennt man (im Vordergrund) die schroffe Larchetkarspitze (2541 m.), welche von dieser Seite von Südwesten eine ziemlich ruppige Angelegenheit (bis III- am Gipfelaufbau) ist, von der anderen Seite aus dem Hinterkar jedoch leicht (I) erstiegen werden kann. Direkt hinter der Larchetkarspitze erkennt man die Große Riedlkarspitze (2585 m.), welche auf einer Vielzahl von weglosen Anstiegen vergleichsweise einfach „zu haben“ ist. Im Hintergrund ragen indes (von links nach rechts) die Ödkarspitzen, die Birkkarspitze (2749 m.), die Kaltwasserkarspitze (2733 m.) und die Große Seekarspitze (2677 m.) in den Himmel: Höher geht's nimmer im Karwendel!]


[Bild: Vogelkarspitze (2522 m.) und Östliche Karwendelspitze (2537 m.) im Zoom von der Pleisenspitze - Hierbei handelt es sich um die beiden höchsten Gipfel der Nördlichen Karwendelkette, über die im westlichen Abschnitt die deutsch-österreichische Grenze verläuft. Beide Gipfel können von Süden vom Karwendelhaus bzw. Hochalmsattel in ca. 2,5-3 Stunden in verschiedensten Varianten bestiegen werden. Zwar erhält v. a. die Östliche Karwendelspitze (als höchster Berg der Kette) noch regelmäßig Besuch, doch angesichts der nahen Birkkarspitze sowie des verlockenden Übergangs zur Falkenhütte ist es nicht verwunderlich, dass der Großteil der Wanderer und Bergsteiger eine Besteigung tendenziell eher nicht in Erwägung zieht]


[Bild: Gipfelglück auf der Pleisenspitze (2569 m.) am westlichen Rand der Hinterautal-Vomper-Kette - Als ich vor ca. 3,5 Jahren erstmals die Pleisenhütte ansteuerte, tat es mir in der Seele weh, diesen lohnenden Gipfel (angesichts des damals anstehenden Mammutprogramms: die Begehung des Toni-Gaugg-Weges an einem einzigen Tag) auszulassen. Umso glücklicher bin ich, dass es nun endlich mit der Besteigung dieses herrlichen Aussichtsgipfels geklappt hat. Viva Karwendel!]


[Bild: Blick von der Pleisenspitze (2569 m.) über die Hinterautal-Vomper-Kette, von der indes nur ein Teilabschnitt erkennbar ist, da die höchsten Karwendelspitzen rund um die Ödkarspitzen sowie die Birkkarspitze die dahinter liegende Fortsetzung verbergen. Wohl nur wenige Gebirge der Nördlichen Kalkalpen (wenn nicht gar der Ostalpen) vermitteln das Gefühl einer solchen Urlandschaft...]


[Bild: Ausblick von der Pleisenspitze (2569 m.) in Richtung Seefelder Plateau (mittig im Hintergrund), welches von Karwendel, Wetterstein, Mieminger Kette und dem Abbruch zum Inntal hin eingerahmt wird. Etwa in Bildmitte ist zudem Scharnitz (der Ausgangspunkt für die heutige Tagestour) erkennbar: Es wird also ein vergleichsweise langer Rückmarsch (1600 Hm, 11 km einfach) werden. Wem das als Tagestour zu viel ist, dem ist bei entsprechender Öffnung eine Übernachtung in der urigen Pleisenhütte in jedem Fall (!) zu empfehlen]


[Bild: Vielleicht der eindrucksvollste Ausblick von der Pleisenspitze (2569 m.): der östlich angrenzende Abbruch ins Mitterkar, über dem das langgezogene, abweisende Felsmassiv der Larchetkarspitze (2541 m.) in den Himmel ragt. Rechterhand zeigt sich mit dem von der Westlichen Praxmarerkarspitze zum Großen Lafatscher reichenden Bergkamm der vielleicht eindrucksvollste Abschnitt der Gleirsch-Halltal-Kette, die nach Norden hin in furchteinflößend-düsteren, geschlossenen Felswänden abbricht. Aber auch das Bettelwurf-Massiv (mittig im Hintergrund) und die höchsten Gipfel der Hinterautal-Vomper-Kette (links) ziehen die Blicke geradezu magisch an. Es fällt wirklich schwer, sich von diesem tollen Panorama zu lösen...]


[Bild: Beim Abstieg von der Pleisenspitze zur Pleisenhütte. Wir befinden uns hier bereits wieder am Beginn des Vorderkares, wo der Weg irgendwann in dichte Latschen mündet und anschließend linkerhand unschwierig weiter bergab führt, bis das Ganze schließlich nahtlos in den Bergwald übergeht. Mittlerweile hat sich auch die Quellwolkenbildung intensiviert, es fühlt sich tatsächlich (fast) hochsommerlich an]


[Bild: Während einer letzten (größeren) Pause bei der Pleisenhütte (1757 m.) genießen wir noch ein Mal den spektakulären Ausblick zum Hohen Gleirsch (2492 m.) und zu seinem Himmelsleiter-artigen W-Grat. Eine Überschreitung dieses markanten Berges, vielleicht mit anschließender Übernachtung in der Möslalm und Besteigung der Jägerkarspitze tagsdarauf (die bergsteigerischen Möglichkeiten, sie sind im Karwendel im Grunde genommen unendlich), kommt mir natürlich sofort in den Sinn... Doch hier und heute heißt es nun erst einmal, die gelungene Besteigung der Pleisenspitze und den damit geglückten Start in die Bergsaison 2025 gebührend zu „feiern“. Schade, dass die Hütte heute noch nicht offen hat, doch die launigen Hüttenabende, sie werden kommen. Schee war's! Wie eigentlich immer im Karwendel. Bis zum nächsten Mal]


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