2011 – Sonntagshorn (1961 m.) - Überschreitung

stefanmitterer.de



Schwierigkeit:   PD-  oder  WS-   (T4-5  oder  W4-5)

Charakter:  Konditionell anspruchsvolle Überschreitung des höchsten Chiemgauer Berges. Abgesehen von der Schwarzachenalm gibt es keinerlei Einkehrmöglichkeiten. Der Aufstieg durch das Vordere Kraxenbachtal verlangt neben Orientierungssinn ein gutes Gespür für die Wegfindung. Die 60 Meter Kletterpassage verlangt sicheres Klettern im II. Schwierigkeitsgrad in teils schlechtem, grasdurchsetztem und häufig nassem Fels. Keine Drahtseile! Neben Trittsicherheit ist Schwindelfreiheit obligatorisch. Insgesamt eine alpine und spannende Tour, die neben einer großartigen Überschreitung auch ein gigantisches Panorama bietet.

Gefahren:  Außerhalb der Saison – also vor Juli / nach September – sind die Routen durch die Kraxenbachtäler, besonders durch das Vordere, ziemlich einsam. Die Kletterpassage ist schlecht zu sichern und – bei mehreren gleichzeitig Steigenden – steinschlaggefährdet. Ist man nicht hundertprozentig trittsicher und schwindelfrei – riskiert man hier Kopf und Kragen. Bei gutem Wetter bzw. guten Bedingungen und entsprechendem Können jedoch keine besonders gefährliche Tour.


20. April 2011

Ein-Tages-Tour in die Chiemgauer Alpen mit Besteigung und Überschreitung des Sonntagshorns. Aufstieg von Norden über das Vordere Kraxenbachtal. Abstieg über das Hintere Kraxenbachtal.

Privat organisierte Tour  -  alleine begangen

[Bild: Sonntagshorn Nordwand  -  höchster Berg der Chiemgauer Alpen]

Parkplatz Laubau  -  Vorderes Kraxenbachtal  -  Vordere Kraxenbachalm  -  Sonntagshorn  -  Hinteres Kraxenbachtal  -  Hintere Kraxenbachalm-Diensthütte  -  Parkplatz Laubau

Für meine erste Bergtour des Jahres habe ich mir den höchsten Gipfel der Chiemgauer Alpen  - das Sonntagshorn  -  als Ziel gesetzt. Zwar weiß ich, dass auf den Südseiten der Berge (unterhalb von 2000 Metern) bereits der meiste Schnee geschmolzen ist  -  mir wäre jedoch der Anstieg aus dem Heutal über die Hochalm nicht interessant genug. Auch wenn ich ziemlich sicher bin, dass nordseitig noch viel Schnee liegt, mache ich mich am Morgen vom Parkplatz Laubau auf in Richtung Vorderes Kraxenbachtal. Da ich unter der Woche unterwegs bin, es zu spät für Schneeschuh- / Skitouren ist und es zudem wie bereits erwähnt sehr früh im Jahr für eine sommerliche Bergtour ist, bin ich der Einzige, der an diesem Tag den Anstieg von Norden wagt. Auf einer langen und ebenen Forststraße geht es zunächst in Richtung Schwarzachenalm.

[Bild: Forststraße bis zur Schwarzachenalm]

Sie ist häufig Ziel von Wanderern und Mountainbikern, aber auch von Bergsteigern, die einen der Nordanstiege als Abstieg wählen und sich hier erholen. Der Weg führt rechts an der Alm vorbei und folgt anschließend dem Verlauf des Danzingbaches in Richtung Südosten. Der Steig ins Vordere Kraxenbachtal ist nicht markiert. An einem Schild, das den Weg in Richtung Hinteres Kraxenbachtal weist, muss man den Weg verlassen und das Bachbett nach rechts in Richtung Südwesten überqueren. Angeblich erleichtern Pfadspuren die Wegfindung – ich fand jedoch keinerlei Hinweise vor.

[Bild: Die Nordwand des Sonntagshorns erstrahlt im Sonnenlicht]

Ohne genaue Informationen im Vorfeld folgt man mit großer Wahrscheinlichkeit dem Weg in Richtung Triftklause und Hinterem Kraxenbachtal. Auf der westlichen Seite des Danzingbaches muss man zunächst einmal den eigentlichen Pfad finden. Dieser ist nämlich häufig durch Laub verdeckt und Markierungen erleichtern die Sache auch nur selten. Der Aufstieg durch das Vordere Kraxenbachtal kann durchaus als eine Art Abenteuerpfad bezeichnet werden. Er verlangt ein gutes Maß an Orientierungsvermögen und Gespür für den richtigen Weg. Einige Male muss ich stehen bleiben und mich nach dem richtigen Weg umsehen. Keine Menschenseele weit und breit. Nicht viele Menschen kommen offenbar auf die Idee das Sonntagshorn Ende April von Norden her zu ersteigen. Immerhin heißt es in der Literatur, dass die beste Zeit für diesen Anstieg Anfang Juli beginnt. Durch dichten Nadelwald führt der verschlungene Pfad  aufwärts. Von Zeit zu Zeit muss ich umgestürzte Baumstämme überqueren und an einigen Stellen ist das Gelände rutschig und steil.

Bild: Auf schmalen Pfaden geht es das Tal bergauf]

Mit zunehmender Höhe wird die Sicht nach Norden freier. Auch der Wald wird langsam lichter.

[Bild: Blick zum Seilbahnberg von Ruhpolding - dem Rauschberg 1645 m.]

Die Kulisse des Vorderen Kraxenbachtales, welches von mächtigen Felswänden umrahmt wird, ist  -  für Chiemgauer Verhältnisse  -  ziemlich beeindruckend.

[Bild: Sonntagshorn Nordwand]

Nach einiger Zeit erreiche ich die Vordere Kraxenbachalm (ca. 1350 m.)  -  an der ich eine kurze Pause einlege. Noch habe ich keinen Schnee gesehen und ich bin optimistisch, dass es weiter so gut vorangeht. Nachdem ich die Alm verlassen habe, folge ich dem Weg bergauf in Richtung Kar. Nach einiger Zeit merke ich jedoch, dass ich wohl noch 4-5 Wochen zu früh dran bin. Eine dünne Schneedecke verhindert, dass ich dem genauen Weg folgen kann. Zwar fällt die Orientierung aufgrund des nun offeneren Geländes relativ leicht, dennoch muss ich mir meinen eigenen Weg durch den Schnee suchen.

[Bild: Blick zu den Ausläufern des Vorderlahners]

Zunehmend werden die Bäume rar und nach einiger Zeit befinde ich mich im Kar, umgeben von den massigen Felswänden von Vorderlahner und Sonntagshorn. Eine solch eindrucksvolle Umgebung wird man in den Chiemgauer Alpen wohl nirgendwo finden.

[Bild: Aufstieg durch das Kar in Richtung Scharte]

Wo man im Sommer dem Weg auf einer Mischung aus Geröll, Schutt und Sand in Richtung Scharte folgt, muss ich mich durch Schnee bergauf quälen. Durch das Kar steige ich immer weiter in Richtung Kletterpassage.

[Bild: Düstere Felswände umrahmen den Zustieg in Richtung Scharte]

Das Gelände wird – bedingt durch den Schnee – jedoch immer steiler. Mit viel Mühe steige ich weiter in Richtung Einstieg. An einigen Stellen denke ich an Umkehr. Doch nachdem ich schon so weit gekommen bin, will ich jetzt nicht aufgeben. Auch wenn das Gelände an einigen Stellen etwa 40°Grad Steigung erreicht und der Schnee weich und rutschig ist, mühe ich mich immer weiter bergauf. Es hätte mit Sicherheit leichtere Möglichkeiten für die erste Bergtour des Jahres gegeben.

[Bild: Knapp unterhalb der Kletterpassage - das Gelände ist bedingt durch den Schnee sehr steil]

Schließlich erreiche ich den Einstieg. Hier beginnt im Grund die eigentliche Schwierigkeit. Auf mich warten noch über 60 Meter grasdurchsetzte Kletterei im Schwierigkeitsgrad II.  (UIAA)  -  Der Fels ist teilweise brüchig und von schlechter Qualität. Klettern mehrere Menschen gleichzeitig diese Passage, kann man durch Steinschlag bedroht werden. Immerhin ist diese kurze Kletterroute durch einige rote Punkte markiert. Zu den genannten Schwierigkeiten kommen in meinem Fall noch der Schnee – der die Kletterei durch die Nässe teilweise sehr heikel macht – sowie die Einsamkeit dazu. Es ist schon bedrückend, wenn man bei schönem Wetter am höchsten Berg der Chiemgauer Alpen keinen Menschen trifft. Ich bin auch froh, als ich schließlich die Scharte zwischen Sonntagshorn und Hirscheck erreiche und der Blick auf die schneeweißen Loferer Steinberge für die Mühen entschädigt.

[Bild: Durch das Heutal verläuft der Normalweg auf das Sonntagshorn - links im Hintergrund die Leoganger Steinberge und rechts daneben die Loferer Steinberge]

[Bild: Blick zurück ins Vordere Kraxenbachtal  -  im Hintergrund der Rauschberg 1645 m.]

Zwar bin ich noch nicht am Gipfel, doch der folgende Anstieg über den kurzen Westgrat, der an manchen Stellen leichte Kletterei erfordert (Schwierigkeitsgrad I.) bereit mir kein Kopfzerbrechen mehr. Immerhin sind Trittsicherheit und Schwindelfreiheit durchaus angebracht.

[Bild: Links das Hirscheck 1883 m. und rechts der zweithöchste Gipfel der Chiemgauer Alpen - der Vorderlahner 1909 m.]

Bedingt durch die Exposition muss ich mich nun auch nicht mehr mit Schnee plagen und erreiche zügig den Gipfel des Sonntagshorns (1961 m.)  -  Dort angekommen erlebe ich eine große Überraschung. Ich hatte zwar damit gerechnet, dass ich bei den nordseitigen Routen keinen Menschen treffen würde, dass dies jedoch auch auf den Gipfel zutrifft, hätte ich nicht gedacht.

[Bild: Der Gipfel des Sonntagshorns 1961 m.]

So habe ich das herrliche Gipfelpanorama zusammen mit einigen Dohlen ganz für mich allein: Watzmann, Hochkalter, Reiteralpe, Loferer Steinberge, Wilder – und Zahmer Kaiser und natürlich die Hohen Tauern. Bis auf die Chiemgauer Berge bzw. alle Gipfel unterhalb von 2000 Metern, liegen die Alpen noch unter einer dicken Schneedecke.

[Bild: Loferer Steinberge]

[Bild: Blick zum Wilden Kaiser]

[Bild: Links der Watzmann 2713 m. und rechts der Hochkalter 2607 m.]

[Bild: Blick in Richtung Ruhpolding  -  in der Ferne der Chiemgau]

Nach einer ausgiebigen Gipfelrast mache ich mich auf in Richtung Hinteres Kraxenbachtal. Da ich zum Ausgangspunkt in Laubau zurück muss, bietet sich natürlich die Überschreitung des Sonntagshorns an. Über den Ostgrat geht es zunächst ein kurzes Stück abwärts in eine Scharte. Dieser kurze Gratabstieg über kleine, geschichtete Abbrüche erfordert dringend Trittsicherheit.

Bild: Blick vom Ostgrat in Richtung Gipfel]

[Bild: Blick vom Ostgrat ins Hintere Kraxenbachtal - Laubau ist noch weit weg]

In der Scharte angekommen, muss ich leider feststellen, dass sich auch in diesem Kraxenbachtal der Schnee gehalten hat. Im Sommer zieht ein riesiges Geröll – bzw. Schotterfeld bis hinauf zur Scharte. Deswegen wird das Hintere Kraxenbachtal auch häufig im Abstieg begangen, da man dann – wenn man es beherrscht – im Geröll / Schotter abfahren kann. In meinem Fall muss ich allerdings im aufgeweichten Schnee abfahren - was schließlich auch dazu führt, dass meine Füße nicht trocken bleiben.

[Bild: Durch das mit Schnee gefüllte Kar geht es steil bergab]

[Bild: Das Abfahren im Schnee verläuft ohne Probleme - außer dass ich nasse Füße bekomme]

Während ich das Firnfeld abfahre, stelle ich immerhin fest, dass es nicht so schlimm ist, wie es von oben ausgesehen hat. Zügig erreiche ich die Latschenzone. Nachdem ich das Kar verlassen habe, finde ich zwischen den Latschen auch den Weg und folge ihm in Richtung Hinterer Kraxenbachalm – Diensthütte (ca. 1240 m.)  -  an der ich eine kurze Pause einlege.

[Bild: Die Hintere Kraxenbachalm liegt versteckt zwischen Bäumen]

Schließlich mache ich mich auf und folge dem Weg in Richtung Triftklause. Ein paar Mal überquere ich den Hinteren Kraxenbach – unter Anderem in der Nähe eines großen Wasserfalls. Seit der Hinteren Kraxenbachalm befinde ich mich zudem wieder im Wald.

[Bild: Großer Wasserfall]

Der Weg ist, verglichen mit dem Vorderen Kraxenbachtal, in einem guten Zustand – obwohl auch in diesem Tal umgestürzte Bäume überklettert werden müssen. So macht mir der Abstieg – auch wenn die Zeit drängt – richtig Spaß.

[Bild: Durch einsame Wälder geht es immer weiter bergab]

Zunehmend wird das Tal schmaler und der Wald dichter. Als ich schließlich die Triftklause erreiche, ist es bereits recht spät und so beeile ich mich, da ich – zumindest bei der Rückfahrt – auf den Bus angewiesen bin. Dadurch habe ich keine Zeit mehr, um die faszinierende Triftklause eingehender zu studieren.

[Bild: Mit solchen Klausen wurde früher das Wasser aufgestaut und dadurch das geschlagene Holz zu Tal transportiert]

Der weitere Weg führt an bewaldeten Hängen in Richtung Schwarzachenalm.

[Bild: Der Weg durch das Hintere Kraxenbachtal ist immer klar vorgegeben und nie zu verfehlen]

Nach einiger Zeit erreiche ich das Hinweisschild, das in Richtung Hinteres Kraxenbachtal weist. Nach einem weiteren kurzen Wegstück erreiche ich ebene Forststraße. An der Alm mache ich jedoch keine Pause, sondern gehe direkt weiter in Richtung Laubau. Bei einem Blick zurück wird mir bewusst, dass das Sonntagshorn ein sehr ansehnlicher Berg ist. Seine Nordwand ist durchaus beeindruckend.

[Bild: Blick zurück zum Sonntagshorn 1961 m.]

Im Grunde war damit diese Bergtour erledigt. Schlussendlich wurde mir jedoch der Rückmarsch von der Schwarzachenalm zum Parkplatz zum Verhängnis. So erreichte ich am späten Nachmittag Laubau, wobei ich allerdings den letzten Bus um etwa 10 Minuten verpasst hatte. Da mich keiner abholen konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als von Laubau bis zum Bahnhof in Ruhplding zu Fuß – in meinen nassen Schuhen – zu gehen. Alles in allem war es eine interessante und spannende Tour. Auch wenn ich wohl ein paar Wochen zu früh dran war, war die Tour Ende April durchführbar – wenn auch sehr mühsam und anstrengend bzw. gewiss schwieriger als im Sommer. Der Vorteil war, dass ich einen in der Regel stark besuchten Gipfel für mich allein hatte und dadurch das Bergerlebnis „Sonntagshorn Überschreitung“ umso intensiver wurde.

[Bild: Blick vom Bahnhof in Ruhpolding zum Sonntagshorn 1961 m.]

 

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