2012 – Radschulter (2697 m.)

stefanmitterer.de



Schwierigkeit:   F+  oder  L+   (T3  oder  W3)

Charakter:  Die Radschulter ist ein unbedeutender Nebengipfel des Hohen Rades  -  vor allem aber dessen markante Ostschulter. Die Radschulter dient zum einen als alpiner Übergang vom Radsattel zur Bielerhöhe, zum anderen auch als Ausgangspunkt für eine Besteigung des Hohen Rades. Der Weg von der Wiesbadener Hütte über den Radsattel zur Radschulter ist ein markierter alpiner Steig in landschaftlich eindrucksvoll-schroffer Urgesteinslandschaft. Beim Zustieg zur Radschulter müssen einige große Blockwerk – bzw. Geröllfelder überquert werden. Im Bereich der Radschulter halten sich  -  insbesondere auf der Nordseite  -  bis weit in den Sommer hinein steile Altschneefelder, welche unter Umständen Eispickel und Steigeisen erfordern können. Trittsicherheit und ein Mindestmaß alpiner Erfahrung werden bei dieser Tour ebenfalls verlangt. Der Zustieg zur Wiesbadener Hütte  -  über Großvermunt Alpe und Ochsental  -  erfolgt auf einem angelegten und markierten Steig. Bei schönem Wetter hat man während der Tour stets grandiose Ausblicke zum vergletscherten Hauptkamm der Silvretta (Großer Piz Buin, Silvrettahorn und Dreiländerspitze) oder beispielsweise in Richtung Verwallgruppe. Ebenso ist bei guten Verhältnissen die Besteigung des Hohen Rades  -  einer der schönsten Aussichtsgipfel der Silvretta  -  anzuraten, doch auch die Besteigung der Radschulter alleine bzw. der Übergang vom Radsattel zur Bielerhöhe (und umgekehrt) ergibt eine eindrucksvolle, leicht alpine Bergtour  -  mitten in der grandiosen Hochgebirgswelt der Silvretta.

Gefahren:  Im Bereich der Radschulter muss man (vor allem im Frühsommer) mit steilen  -  und unter Umständen blanken  -  Altschneefeldern rechnen. Wer dann nicht die entsprechende Ausrüstung (Eispickel, Steigeisen usw.) und Erfahrung hat, kann schnell in Schwierigkeiten geraten. Trittsicherheit und alpine Erfahrung sollte man beim Übergang über die Radschulter unbedingt haben, ansonsten ist der Umweg über das Bieltal anzuraten. Abgesehen davon weisen die markierten alpinen Steige rund um das Hohe Rad nur geringe technische Anforderungen sowie kaum objektive Gefahren auf. Wie an diesem Bericht jedoch wunderbar deutlich wird, sind es vor allem Wetter – und Wegverhältnisse, die den Schwierigkeitsgrad einer alpinen Bergtour bestimmen. Bei Nebel und starkem Regen  -  daraus resultierend – Orientierungsproblemen und Nässe  -  wird aus dieser Bergtour rasch eine anspruchsvolle und teilweise heikle Hochtour. Und dann hängt es ganz von den eigenen Fähigkeiten bzw. der Erfahrung ab, ob man wieder heil das Auto erreicht.


13. Juli  -  14. Juli 2012

Zwei-Tages-Tour in die Silvretta. Aufstieg von der Bielerhöhe zur Wiesbadener Hütte. Rückweg über die Radschulter - (Besteigung des Hohen Rades aufgrund von Nebel und Regen nicht möglich)

Privat organisierte Tour  -  alleine begangen

[Bild: Hohes Rad 2934 m.  -  rechts die Radschulter 2697 m.]

1. Tag        Bielerhöhe  -  Großvermunt Alpe  -  Ochsental  -  Wiesbadener Hütte

Die Radschulter ist die Ostschulter des Hohen Rades  -  des höchsten Berges zwischen Ochsental und Bieltal in der Silvretta. Die Radschulter dient generell als Ausgangspunkt für die Besteigung des Hohen Rades  -  vor allem aber als alpiner Übergang zwischen Bielerhöhe und Wiesbadener Hütte. Streng genommen ist die Radschulter aber als Gipfel zu bezeichnen, wenngleich sie auch höchst unselbstständig und unbedeutend ist bzw. nur selten als Gipfel wahrgenommen wird. Vergleichbar ist die Radschulter in etwa mit der Punta Giordani (4046 m.) im Monte Rosa Gebirgsmassiv in den Walliser Alpen. Die Punta Giordani ist selbst nur die Südostschulter der Vincent-Pyramide (4215 m.)  -  jedoch gilt sie als offizieller 4000er und vor allem – auch als Gipfel. Die Radschulter ist mit einer Schartenhöhe (Prominenz) von 7 Metern sogar etwas selbstständiger, als die Punta Giordani – mit 5 Metern. Insofern kann man die Radschulter durchaus als Gipfel bezeichnen  -  schließlich gibt es in den Alpen genug andere Beispiele, bei denen Erhebungen mit einer Schartenhöhe von weniger als 30 Metern als Gipfel bezeichnet werden  -  beispielsweise das Watzmann Hocheck. Zugegebenermaßen wird die Radschulter wohl so gut wie nie als eigenständiges Touren – oder Gipfelziel gelten  -  Unabhängig jedoch von den Gipfeldefinitionen ist die Radschulter ein markanter, hochalpiner Punkt inmitten der zentralen Silvretta und Ziel bzw. Knotenpunkt wichtiger alpiner Steige und Höhenrouten.

[Zur Erklärung: Ursprünglich ist vom 13. Juli bis zum 15. Juli eine „DAV-Sektion Karpaten  -  Alpingruppe Adonis“ – Hochtour zur Wiesbadener Hütte geplant, bei der unter anderem der Große Piz Buin (3312  m.) sowie die Dreiländerspitze (3197 m.) auf dem Programm stehen. Infolge einiger unglücklicher und bedauernswerter Missverständnisse bzw. Kommunikationsprobleme ist mir am späten Vormittag des 13. Juli nicht klar, dass die Tour aufgrund des unsicheren und wahrscheinlich schlechten Wetters abgesagt ist. Wie dies alles zustande gekommen ist, soll hier nicht erläutert werden. Nichtsdestotrotz ist es entscheidend für den Verlauf der Tour.]

[Bild: Bielerhöhe 2036 m.  -  höchster Punkt der Silvretta-Hochalpenstraße]

Am frühen Vormittag erreiche ich die Bielerhöhe (2036 m.) beim Silvretta-Stausee. Schon vor zwei Jahren startete ich von hier aus meine erste alpine Klettertour zur Saarbrücker Hütte, infolge derer wir den Großlitzner (3109 m.) besteigen konnten, jedoch am Ende in richtig schlechtes Wetter gerieten und erst nach hartem Kampf wieder die Hütte erreichten. In dem Glauben, dass am Nachmittag zur vereinbarten Zeit auch die anderen Tourenteilnehmer eintreffen, verbringe ich ein paar entspannte Stunden bei der Bielerhöhe  -  (Informationen: Bielerhöhe und Silvretta-Stausee). Das Wetter ist teilweise sogar richtig schön und ich schieße einige Fotos.

[Bild: Blick Richtung Silvrettadorf und zum Madlenerhaus 1986 m.]

[Bild: Vordere Getschnerspitze 2975 m. und Madlenerspitze 2969 m.  -  dazwischen die Getschnerscharte 2839 m.]

[Bild: Silvretta-Haus 2071 m.  -  ein modernes und preisgekröntes Berghotel oberhalb der Bielerhöhe]

[Bild: Blick über den Silvretta-Stausee zum Hohen Rad 2934 m.  -  in der Mitte Ochsentalergletscher und Kleiner Piz Buin 3255 m.  -  rechts Schattenspitze 3202 m.  -  Schattenspitzgletscher und Klostertaler Egghorn 3120 m.]

Als die Anderen auch 1,5 Stunden nach dem vereinbarten Zeitpunkt noch nicht eingetroffen sind, mache ich mich am frühen Abend schließlich auf in Richtung Wiesbadener Hütte. Wenn ich schon einmal hier bin, will ich auch eine Tour unternehmen. Außerdem hege ich die Hoffnung, dass ich bei der Hütte vielleicht auf einen Teil der Tourenteilnehmer treffe  -  vielleicht sind sie ja schon früher aufgestiegen oder ich habe sie womöglich verpasst. Von der Bielerhöhe geht es auf einer Fahrstraße direkt an der östlichen Seite des Stausees zunächst ein Stück Richtung Südosten  -  Hohes Rad (2934 m.)  -  Silvrettahorn (3244 m.) und Schattenspitze (3202 m.) immer im Blickfeld.

[Bild: Auf der östlichen Seite des Stausees geht es in Richtung Großvermunt Alpe  -  im Hintergrund: Hohes Rad 2934 m.  -  Schattenspitze 3202 m.  -  Schattenspitzgletscher und Klostertaler Egghorn 3120 m.]

Schließlich geht es  -  ein Stück oberhalb des Stausees  -  auf der Fahrstraße in südliche Richtung, bis ich eine Wegeteilung erreiche. Ich bleibe nicht auf der eintönigen Fahrstraße  -  welche in erster Linie für die Fahrzeuge, welche die Wiesbadener Hütte beliefern bzw. versorgen, gedacht ist  -  sondern nehme die linke Abzweigung.

[Bild: Oberhalb der Fahrstraße geht es auf einem angelegten Steig parallel zum Stausee in Richtung Süden  -  im Hintergrund Schattenspitze 3202 m. und Schattenspitzgletscher]

[Bild: Blick zurück zur Bielerhöhe 2036 m.  -  im Hintergrund von links: Kresperspitze 2620 m.  -  Schattenkopf 2654 m.  -  Bielerspitze 2506 m.  -  Kleine Vallüla 2643 m. und Vallüla 2813 m.]

Auf einem angelegten Steig geht es anschließend ein Stück oberhalb der Fahrstraße an den begrünten Hängen der Großvermunt Alpe in Richtung Süden.

[Bild: Auf markiertem Weg geht es über die begrünten Hänge der Großvermunt Alpe Richtung Ochsental  -  im Hintergrund die Kleine Schattenspitze 2703 m.]

Ich folge dem nur mäßig ansteigenden Weg an teilweise mit Blockwerk bedeckten Flanken entlang und in einem Bogen geht es schließlich ins Ochsental.

[Bild: Blick zu den einsamen Lobspitzen  -  alpinistisches Niemandsland]

An den Westausläufern des Hohen Rades geht es anschließend am Rand des Tales konstant in südöstliche Richtung.

[Bild: Beim Weg zur Wiesbadener Hütte hat man stets den grandiosen Piz Buin 3312 m. vor Augen]

Beeindruckend ist die Aussicht zum Piz Buin (3312 m.)  -  zur Schattenspitze und zu den Lobspitzen. Der angelegte und markierte Steig leitet an begrünten Hängen bergauf bis zu einer Anhöhe. Von dort geht es  -  hoch über dem Ochsental  -  an grasigen Steilflanken entlang, bis es schließlich zu regnen anfängt.

[Bild: Der Weg führt an begrünten Hängen entlang konstant in südöstliche Richtung  -  im Hintergrund Vermuntgletscher, Großer Piz Buin 3312 m.  -  Ochsentalergletscher und Kleiner Piz Buin 3255 m.  -  links die Dreiländerspitze 3197 m.]

[Bild: Großer Piz Buin 3312 m  -  dritthöchster Berg der Silvretta und höchster Punkt des Bundeslandes Vorarlberg  -  rechts Ochsentalergletscher und Kleiner Piz Buin 3255 m.]

Wie schon vor zwei Jahren zeigt sich mir die Silvretta von ihrer rauen Seite.

[Bild: Bei Regen im zentralen Hochgebirge der Silvretta]

[Bild: An begrünten und mit Blockwerk durchsetzten Flanken geht es oberhalb des Ochsentales Richtung Wiesbadener Hütte]

Ich überquere einen Gebirgsbach und folge anschließend dem Weg über begrünte und mit Blockwerk durchsetzte Flanken bis zu einer kleinen Geröll – und Felsflanke.

[Bild: Blick zurück Richtung Silvretta-Stausee  -  im Hintergrund die Lobspitzen]

[Bild: Kurz vor der Hütte muss diese Blockwerk - bzw. Geröllflanke überquert werden]

Ohne Schwierigkeiten geht es über die Felsblöcke weiter zu einer erdigen Rinne, bei der der Weg  -  vermutlich aufgrund intensiver Regenfälle  -  auf einigen Metern zu Tal befördert wurde.

[Bild: Blick zurück zur erdigen Rinne  -  der Weg wurde wohl aufgrund starker Regenfälle zerstört]

Etwas mühsam quere ich die rutschige und abschüssige Rinne und folge anschließend dem Weg wieder an begrünten Flanken entlang in Richtung Süden. Schließlich leitet der Weg in freies Gelände. Auf breitem Weg geht es das letzte Stück zur mittlerweile sichtbaren Wiesbadener Hütte.

[Bild: Wiesbadener Hütte 2443 m.  -  im Hintergrund Vermuntgletscher und Großer Piz Buin 3312 m.  -  rechts der Ochsentalergletscher]

Die Wiesbadener Hütte (2443 m.) liegt am südlichen Ende des Ochsentales  -  oberhalb der Moräne des Vermuntgletschers in der zentralen Silvretta. Das der DAV-Sektion Wiesbaden gehörende, sehr moderne und gut ausgestattete Schutzhaus der 1. Kategorie ist von Mitte Februar bis Anfang Mai sowie von Ende Juni bis Anfang Oktober geöffnet. Die Hütte beherbergt 80 Betten – und 100 Lagerplätze und ist  -  sowohl im Sommer, als auch im Winter bzw. Frühjahr  -  eine der am stärksten frequentierten Berghütten der Silvretta. Erreicht werden kann die Wiesbadener Hütte über eine Vielzahl von Wegen und Höhenrouten. Die üblichen Hüttenzustiege erfolgen von der Bielerhöhe  -  entweder über das Ochsental auf dem Fahrweg bzw. über den Steig oberhalb des Tales, oder über den Radsattel, welcher entweder über die Radschulter oder das Bieltal erreicht werden kann. Des Weiteren kann die Wiesbadener Hütte auch von der Jamtalhütte, von der Chamonna Tuoi (Tuoihütte), von der Silvrettahütte sowie von der Klostertaler Umwelthütte erreicht werden. In der Regel erfolgen diese hochalpinen Hüttenübergänge jedoch über spaltenreiche Gletscher und erfordern entsprechende Ausrüstung bzw. Erfahrung. Die Wiesbadener Hütte ist  -  aufgrund der Nähe zur Bielerhöhe  -  häufig das Ziel von Tagesgästen, Bergwanderern und Mountainbikern, im Grunde ist sie jedoch eine Hütte für klassische alpine Hoch – und Bergtouren im Umkreis. Auch wenn die Gletscher jedes Jahr an Masse und Länge verlieren und die Anforderungen sich dadurch jedes Jahr verändern bzw. häufig sogar erhöhen, so sind die Berg – und Gipfelziele rund um die Hütte (vor allem der Piz Buin) doch auch nach wie vor sehr begehrt. Die am häufigsten bestiegenen Berge sind hierbei – Dreiländerspitze (3197 m.)  -  Großer Piz Buin (3312 m.)  -  Silvrettahorn (3244 m.)  -  Schneeglocke (3223 m.)  -  Rauhkopf (3101 m.)  -  Ochsenkopf (3057 m.)  -  Haagspitze (3029 m.)  -  Hohes Rad (2934 m.) und Vermuntkopf (2851 m.)  -  Die Beschreibungen der einzelnen Touren  -  aber auch alle weiteren Informationen zur Wiesbadener Hütte  -  lassen sich auf der Homepage der Hütte nachlesen. Die Wiesbadener Hütte ist eine der bedeutendsten Berghütten der Silvretta und Ausgangspunkt für eine Vielzahl an Bergtouren. Sie richtet sich zwar hauptsächlich an Bergsteiger, die klassische Hochtouren mögen, aber auch in der heutigen modernen Zeit  -  in der vor allem Skitouren und Klettergärten boomen  -  wird die Hütte ihre große Bedeutung für den Bergsport wahren.

[Bild: Links der Große Piz Buin 3312 m.  -  rechts das Signalhorn 3210 m.  -  dazwischen der Ochsentalergletscher]

Aufgrund des Regens und der dichten Wolken habe ich leider nichts von der fantastischen Aussicht von der Terrasse der Hütte. Bei gutem Wetter bietet sich einem ein grandioser Ausblick auf Vermunt – und Ochsentalergletscher sowie zum darüber aufragenden Piz Buin. Doch auch die Ausblicke in Richtung Silvrettahorn, Schneeglockengletscher und Schattenspitze sind  -  bei besserem Wetter als an diesem Tag  -  spektakulär. Da ich diesmal nichts von der Aussicht habe, zieht es mich in die gemütliche Hütte. Beim nächsten Besuch der Wiesbadener Hütte  -  bei hoffentlich besserem Wetter  -  werde ich dann auch die Ausblicke Richtung Piz Buin und Silvrettahorn genießen können. Nachdem ich mir einen Lagerplatz besorgt und etwas gegessen habe, überlege ich mir das Vorgehen für den morgigen Tag. Wie erwartet habe ich keinen anderen Tourenteilnehmer in der Hütte angetroffen. Außerdem habe ich telefonisch schließlich die Gewissheit, dass die Tour heute Morgen aufgrund des schlechten Wetters abgesagt wurde. Wenn ich mich jedoch in der fast vollen Hütte umschaue, denke ich mir, dass man Sektionstouren bei schlechtem Wetter nicht unbedingt absagen müsste. Einige Gruppen erzählen mir, dass sie bei schlechtem Wetter beispielsweise die verschiedenen Knotentechniken wiederholen oder ansonsten in der Hütte beisammen sind und Karten spielen. Bei solchen Touren sollte es doch nicht ausschließlich um den Gipfelerfolg an prestigeträchtigen Bergen gehen. Das kameradschaftliche und gemeinsame Beisammensein in der Hütte ist doch auch etwas Schönes – vielleicht bin aber auch nur altmodisch? Bei einigermaßen  -  und kurzfristig  -  schönem Wetter kann man außerdem noch leichte und schnell erreichbare Gipfelziele wie den Vermuntkopf (2851 m.) in Angriff nehmen. Es gibt also immer genug Möglichkeiten, sich zu beschäftigen und die Zeit sinnvoll zu nutzen. Deswegen kann ich auch nicht nachvollziehen, dass die Tour abgesagt wurde. Nichtsdestotrotz überlege ich mir, wie ich morgen zur Bielerhöhe zurückkehren könnte. Da ich nicht über den Fahrweg durch das Ochsental zurückgehen möchte, nehme ich mir vor, morgen zum Radsattel aufzusteigen. Dort kann ich dann  -  je nach Wetterlage  -  entscheiden, ob ich durch das Bieltal absteige, oder ob ich den Übergang über die Radschulter wage und vielleicht sogar das Hohe Rad besteige. Mit gemischten Gefühlen gehe ich schließlich schlafen  -  Letztlich denke ich mir jedoch, dass all das nun einmal den Reiz des Bergsteigens ausmacht. Man weiß im Vorhinein nie genau, wie die Tour verlaufen wird. Und sollte ich morgen bei Sturm und Regen unterwegs sein, dann ist das nun einmal so  -  auch das gehört zum Bergsteigen dazu.

[Bild: Die Wiesbadener Hütte 2443 m. liegt mitten zentral in der Hochgebirgswelt der Silvretta  -  im Hintergrund Vermuntgletscher, Großer Piz Buin 3312 m. und Ochsentalergletscher]

2. Tag        Wiesbadener Hütte  -  Radsattel  -  Radschulter  -  Bielerhöhe

Als ich am Morgen vor die Hütte trete, wird mir sofort klar, dass es auch heute kein guter Tag für Hochtouren in der Silvretta ist. Es regnet leicht und dichte Wolken verhüllen die umliegenden 3000er. Während ich mich auf den Abmarsch von der Hütte vorbereite, kehrt eine Gruppe vom Ochsentalergletscher zurück. Sie waren früh in Richtung Piz Buin aufgebrochen, mussten jedoch aufgrund der Wetterverhältnisse letztlich aufgeben. Als es schließlich aufhört zu regnen, mache ich mich auf Richtung Radsattel. Von der Wiesbadener Hütte geht es zunächst auf einem Steig in Kehren eine begrünte Flanke bergauf.

[Bild: Auf einem Steig geht es von der Hütte zunächst ein Stück bergauf  -  im Hintergrund der Vermuntkopf 2851 m.]

Über einen mit Felsblöcken durchsetzten Hang geht es schließlich hinauf zu einer Anhöhe. Dort angekommen, breitet sich vor mir das weite, grüne Plateau südlich des Radsattels aus. Richtung Südosten fällt der Blick zum Vermuntkopf (2851 m.)  -  welcher von hier aus bestiegen werden kann.

[Bild: Blick in Richtung Radsattel  -  links das Hohe Rad 2934 m.]

Mein Ziel ist jedoch der Radsattel und so folge ich dem breiten Weg über begrünte Flächen in Richtung Norden.

[Bild: Mit Blick zum Hohen Rad 2934 geht es über das grüne Plateau Richtung Radsattel]

Nach kurzer Zeit fängt es erneut leicht zu regnen an. Immerhin ist das Hohe Rad noch frei von Wolken bzw. Nebel  -  und ich hoffe, dass dies auch noch für einige Zeit so bleibt. In einigem Auf und Ab geht es auf dem teilweise recht felsigen Weg über mehrere grüne Kuppen konstant Richtung Radsattel.

[Bild: Das Hohe Rad 2934 m. ist der höchste Berg zwischen Ochsen - und Bieltal  -  rechts der Radsattel 2652 m.]

In einem Bogen führt der Weg nach einiger Zeit ein kurzes Stück bergab und ich überquere ein großes Altschneefeld. Weiter geht es über den Grund des begrünten und mit Felsplatten durchsetzten Hochplateaus. Schließlich leitet der Weg zu der vom Radsattel herabziehenden Flanke. In  einigen Serpentinen geht es auf einem erdigen Steig den grasbewachsenen Hang empor zum weiten Radsattel (2652 m.)  -  der Landesgrenze  -  Vorarlberg – Tirol  -  zwischen dem Südostgrat des Hohen Rades und dem Punkt 2701 m.

[Bild: Blick zurück über das begrünte Plateau südlich des Radsattels  -  im Hintergrund der Ochsentalergletscher]

Mittlerweile hat der Regen wieder aufgehört  -  die dichten Wolken oberhalb von 3000 Metern bleiben aber weiterhin bestehen. Vom Radsattel aus besteht die Möglichkeit, am Radsee vorbei Richtung Nordosten ins Bieltal abzusteigen und von dort weiter zur Bielerhöhe zurückzuwandern. Aufgrund des mehr oder weniger ordentlichen Wetters entscheide ich mich jedoch für die alpinere Variante über die Radschulter.

[Bild: Blick vom Radsattel zum Hohen Rad 2934 m.]

[Bild: Ochsentalergletscher]

Vom Radsattel geht es auf breitem Weg am Beginn des Südostgrates des Hohen Rades vorbei in nördliche Richtung.

[Bild: Ein breiter Weg leitet vom Radsattel konstant Richtung Norden]

Nach kurzer Zeit leitet der Weg zum Beginn eines gewaltigen Geröllfeldes. Ich folge den Markierungen über Blockwerk und große Felsblöcke bis zu den Altschneefeldern unterhalb der Ostwand des Hohen Rades.

[Bild: Auf dem Weg zur Radschulter 2697 m.  -  links die Ostwand des Hohen Rades]

Teilweise sind die Markierungen von Schnee verdeckt und so steige ich weglos über Felsblöcke und Schutt an den Altschneefeldern vorbei. Direkt unterhalb der Ostwand muss ich einige aufgeweichte und tiefe Firnfelder überqueren.

[Bild: Über Geröll - und Altschneefelder geht es Richtung Radschulter]

[Bild: Hohes Rad Ostwand]

Schließlich geht es über große Felsblöcke am Rand eines steilen Schneefeldes in Richtung der von der Radschulter herabziehenden Flanke.

[Bild: Über große Felsblöcke geht es am Rand eines großen Altschneefeldes Richtung Radschulter]

Währenddessen beginnen jedoch dichte Nebelwolken das Bieltal heraufzuziehen. Hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch die Hoffnung, dass vielleicht sogar die Besteigung des Hohen Rades möglich wäre, so schlage ich mir diese Überlegung erst einmal aus dem Kopf. Schließlich geht es auf einem erdigen Steig in Kehren die begrünte Flanke südlich der Radschulter bergauf.

[Bild: Blick zurück zu den überquerten Schnee - und Geröllfeldern]

Oben angekommen, leiten die Markierungen in mittlerweile dichtem Nebel und bei starkem Regen über Blockwerk und ein Altschneefeld zu einem Wegweiser  -  der Mitte der Radschulter.

[Bild: Die Scharte der Radschulter 2690 m.]

[Bild: Die Höhenangabe bezieht sich auf die eigentliche Schulter  -  der Gipfel der Radschulter hat eine Höhe von 2697 m.]

Hinter dem Schild steige ich über gestufte Felsen empor zum Gipfel der Radschulter (2697 m.)  -  Mir ist vollkommen klar, dass eine Besteigung des Hohen Rades bei diesen Verhältnissen völlig ausgeschlossen ist. Bei Nebel und Nässe einen ungesicherten bzw. nicht markierten alpinen Steig (mit Kletterstellen im Schwierigkeitsgrad I) zu begehen, wäre viel zu riskant.

[Bild: An eine Besteigung des Hohen Rades ist bei diesen Verhältnissen nicht zu denken]

Mein naiver und unerschütterlicher Optimismus bringt mich trotzdem dazu, fast 20 Minuten im eiskalten Nebel und bei Regen in der Radschulter auszuharren, um vielleicht doch noch  -  wie bereits zweimal am heutigen Tag  -  eine Auflockerung zu erleben. Schließlich muss ich jedoch einsehen, dass ich diesmal keine Chance habe. Nun muss ich zusehen, dass ich wieder heil die Bielerhöhe erreiche.

[Bild: Aufgrund von Orientierungsproblemen währe ich beinahe diese lebensgefährlich-abschüssige Steilflanke in Richtung Bieltal abgestiegen]

Von der Radschulter geht es zunächst über heikel-nasses Geröll bergab zum Beginn eines steilen und extrem harten Altschneefeldes. Mit großer Vorsicht steige ich abwärts in den Grund eines weiten Firnfeldes.

[Bild: Abstieg von der Radschulter über ein steiles Altschneefeld]

Da ich die Markierungen mittlerweile verloren habe und ich aufgrund des dichten Nebels nicht sehr weit sehen kann, gestaltet sich das Gelände deutlich anspruchsvoller, als es normalerweise der Fall wäre. Von dem weiten Firnfeld geht es geradeaus weiter zu einer gerölligen Felsschneide. Auf dieser stoße ich glücklicherweise wieder auf die Markierungen. Anschließend geht es auf einem felsigen Steig zwischen Altschneefeldern konstant in nördliche Richtung bergab.

[Bild: Auf einem markierten Pfad geht es über Geröll und Altschneefelder bergab]

Dabei erfordert die Überquerung kleinerer Firnfelder sowie die Begehung schroffer und  -  aufgrund der Nässe  -  teilweise heikler Blockgrate große Umsicht und Erfahrung.

[Bild: Auf einem gerölligen Steig geht es Richtung Norden  -  dabei müssen einige Altschneefelder gequert werden]

Nach einiger Zeit leiten die Markierungen zu einer begrünten und mit Blockwerk bedeckten Fläche. Von dieser geht es auf einem Steig über grasbewachsene Hänge bergab.

[Bild: Auf einem Steig geht es über begrünte Flanken bergab Richtung Großvermunt Alpe]

An einer kleinen Felswand  leitet der Weg vorbei zu einer weiten, grünen Ebene. Ich folge dem nun wieder einfach begehbaren Pfad über die Ebene bis zu einer Blockflanke. Die Markierungen leiten in einem Bogen schräg über die Flanke Richtung Nordwesten. Nachdem ich die Nebelgrenze passiert habe, kann ich in der Ferne schließlich den Silvretta-Stausee erkennen.

[Bild: Über die grünen Bergflanken der Großvermunt Alpe geht es auf einem gerölligen Weg bergab Richtung Silvretta-Stausee]

Auf einem Steig geht es an begrünten Schrofenhängen über die Großvermunt Alpe das letzte Stück bergab zum Stausee und von dort zurück zur Bielerhöhe. Nachdem ich mich im Gasthof umgezogen habe und schließlich zum Auto gehe um die Heimreise anzutreten, muss ich feststellen, dass das Hohe Rad komplett frei von Wolken ist. Allerdings regnet es immer noch und so fällt mir der Abschied von der Silvretta dieses Mal relativ leicht. Bergsteigen hat nun einmal auch viel mit Glück zu tun.

[Bild: Kurz vor meiner Abreise von der Bielerhöhe ist das Hohe Rad wieder frei von Wolken  -  Bergsteigen ist nun einmal auch eine Frage des Glücks]

Ob die Radschulter (2697 m.) nun ein Gipfel ist – darüber lässt sich durchaus streiten. Streng genommen ist sie einer, auch wenn sie wohl in der Regel  -  wie es schon der Name ausdrückt  -  als Schulter wahrgenommen wird. Auch wenn diese Tour letztlich komplett anders verlaufen ist, als ich es gehofft hatte, so kann ich auch diesen zwei Tagen etwas Positives abgewinnen. Mir ist während dieser Tour klar geworden, dass es beim Bergsteigen nicht ausschließlich um markante, prestigeträchtige Gipfel bzw. gutes Wetter geht – wie an diesem Bericht hoffentlich deutlich wird, sind es letztendlich auch die Tage in den Bergen, an denen man mit starkem Regen und Nebel zu kämpfen hat, die zeigen, wer wir wirklich sind und wir mit solchen Situationen umgehen. Selbstverständlich ist es auch mir viel lieber, wenn ich während einer Tour schönes Wetter habe – (wem geht das nicht so?) – doch auch Tage wie diese gehören zum Bergsteigen dazu. Wenn jeder Tag immer gleich schön wäre  -  wie langweilig wäre doch das Leben. Abgesehen davon ist es  -  vor allem im Bezug auf Sektions – bzw. Gruppentouren  -  unglaublich wichtig, mit einander zu kommunizieren. Wenn man miteinander redet und sich bemüht, dann ist das Leben wesentlich unkomplizierter. Schlussendlich kann ich sagen, dass die Umrundung des Hohen Rades bzw. der Übergang vom Radsattel zur Bielerhöhe (mit Besteigung der Radschulter) eine wirklich eindrucksvolle und  -  je nach Weg – und Wetterverhältnissen  -  auch anspruchsvoll-alpine Bergtour inmitten der fantastischen Hochgebirgswelt der Silvretta ist. Unabhängig von den Gipfeldefinitionen ist die Radschulter ein markanter, hochalpiner Punkt inmitten der zentralen Silvretta und Ziel bzw. Knotenpunkt wichtiger alpiner Steige und Höhenrouten. Beim nächsten Mal in der Silvretta – werde ich bei besserem Wetter unterwegs ein  -  ganz bestimmt!

[Bild: Grandiose Hochgebirgswelt Silvretta]

 

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